Louis beobachtete, wie der Puppenspieler durch den Schlauch schwebte. Nessus trug den Druckanzug des Kzin bei sich. Er hatte die Augen fest geschlossen — eine Schande, denn die Aussicht war wundervoll.
»Schwerelosigkeit«, seufzte Teela, als Louis ihre Crashliege öffnete. »Ich fühle mich nicht gut. Du mußt mich stützen, Louis. Was ist los? Wo sind wir?«
Arm in Arm schwebte Louis mit Teela zur Luftschleuse und schilderte ihr in kurzen Worten die Lage. Sie hörte ihm zu, doch Louis hatte das Gefühl, als konzentrierte sie sich mehr auf das Loch in ihrem Magen. Sie sah tatsächlich nicht gut aus. »Auf dem anderen Schiff gibt es Schwerkraft«, tröstete Louis sie.
Er deutete auf die winzige Rosette. Sie war inzwischen mit bloßem Auge zu erkennen, ein Pentagon aus weißen Sternen. Teela drehte sich mit erstauntem Fragen im Blick zu Louis um. Die Bewegung war nichts für ihren Gleichgewichtssinn, und Louis sah gerade noch, wie sich ihr Gesichtsausdruck änderte, bevor sie in Richtung Luftschleuse davonschoß.
Kemplerer-Rosetten waren eine Sache, und Weltraumkrankheit eine ganz andere. Louis blickte Teela hinterher, während sie sich vor dem Hintergrund der unvertrauten Sterne entfernte.
Louis klappte den Deckel über der Stasisliege des Kzin auf und knurrte: »Machen Sie keine Dummheiten! Ich bin bewaffnet!«
In dem orangefarbenen Gesicht des Kzin zuckte kein Muskel. »Sind wir am Ziel?«
»Ja, das sind wir. Ich habe den Fusionsantrieb abgeklemmt. Sie werden den Schaden nicht rasch genug reparieren können, um zu verschwinden. Zwei große Rubinlaser sind auf uns gerichtet.«
»Und wenn ich in den Hyperraum verschwinde? Nein, mein Fehler. Wir sind wahrscheinlich im Bereich einer Singularität.«
»Lassen Sie sich überraschen! Es sind fünf Singularitäten!«
»Fünf? Tatsächlich? Aber Sie haben gelogen, was die Laser betrifft, Louis! Schämen Sie sich!«
Der Kzin stieg friedlich von seiner Liege. Louis folgte ihm mit schlagbereitem Schwert. In der Luftschleuse hielt der Kzin überrascht inne, als er das rasch größer werdende Fünfeck aus Sternen erblickte.
Der Anblick war tatsächlich atemberaubend.
Die Long Shot hatte sich der »Flotte« der Puppenspieler im Hyperraum genähert und eine halbe Lichtstunde vor ihr gestoppt: in etwas geringerer Entfernung als der mittleren Distanz zwischen Erde und Jupiter. Doch die »Flotte« bewegte sich mit ungeheurer Geschwindigkeit und folgte ihrem eigenen Licht dichtauf, so daß das Licht, das die Long Shot erreichte, aus weit größerer Entfernung kam. Als die Long Shot zum Stillstand kam, war die Rosette noch zu weit entfernt gewesen, um sie mit bloßem Auge zu erkennen. Sie war gerade erst sichtbar geworden, als Teela die Schleuse verließ. Doch jetzt war sie beeindruckend groß und wuchs mit enormer Geschwindigkeit.
Fünf blaßblaue Punkte, zu einem Fünfeck angeordnet, die sich blitzschnell auseinanderzogen, immer größer wurden, wuchsen…
Einen winzigen Augenblick war die Long Shot von fünf Welten umgeben. Dann waren sie verschwunden; nicht geschrumpft, sondern im wahrsten Sinne des Wortes verschwunden. Das von ihnen ausgehende Licht war rotverschoben bis zur Unsichtbarkeit. Und Derzu-den-Tieren-spricht hielt das Varioschwert.
»Bei Finagles Augen!« explodierte Louis. »Sind Sie denn niemals neugierig?«
Der Kzin dachte nach. »Ich kenne Neugierde. Aber mein Stolz ist größer.« Er ließ die Drahtklinge einfahren und gab Louis das Schwert zurück. »Eine Drohung ist immer zugleich eine Herausforderung. Gehen wir?«
Das Puppenspielerschiff war ein Roboter. Hinter der Luftschleuse befand sich das Lebenserhaltungssystem. Es war ein einziger großer Raum. Vier Crashliegen, den Körperformen ihrer voraussichtlichen Benutzer angepaßt, waren im Kreis um eine Erfrischungskonsole angeordnet.
Es gab keine Fenster.
Zu Louis’ Erleichterung gab es Schwerkraft. Sie entsprach nicht ganz irdischen Verhältnissen, genausowenig wie die Luft. Der Druck war ein wenig zu hoch. Gerüche erfüllten den Raum, eigenartig, aber nicht unangenehm. Louis roch Ozon, Kohlenwasserstoffe, Puppenspieler — Dutzende von Puppenspielern — und andere Dinge, die er nicht identifizieren konnte und auch nicht zu identifizieren erwartete.
Es gab keine Ecken. Die gekrümmten Wände gingen ohne Übergang in Decke und Boden über. Die Liegen und die Erfrischungskonsole sahen aus, als wären sie halb geschmolzen und dann wieder erstarrt. In der Welt der Puppenspieler gab es nichts Scharfes oder Kantiges, nichts, an dem man sich stoßen oder verletzen konnte.
Nessus lag zusammengesunken auf seiner Couch. Er wirkte beinahe haarsträubend lächerlich und entspannt.
»Er will nicht reden.« Teela lachte.
»Natürlich nicht«, flötete der Puppenspieler. »Ich hätte alles zweimal erzählen müssen, weil Louis und Der-zu-den-Tierenspricht jetzt erst eingetroffen sind. Zweifellos haben Sie sich gefragt, was es mit den…«
»… fliegende Welten!« unterbrach ihn der Kzin.
»Eine Kemplerer-Rosette«, sagte Louis. Ein fast unhörbares Summen informierte ihn, daß das Schiff sich in Bewegung gesetzt hatte. Teela reichte ihm lächelnd einen roten, fruchtigen Drink in einem Quetschbehälter.
»Wieviel Zeit werden wir brauchen?« fragte Louis den Puppenspieler.
»Eine Stunde bis zur Landung. Dann erhalten Sie Aufschluß über unser endgültiges Ziel.«
»Schön. Das sollte reichen. In Ordnung, klären Sie uns auf. Warum ganze Welten? Irgendwie scheint es mir ziemlich waghalsig, bewohnte Planeten so sorglos durch das All zu schleudern.«
»Ganz im Gegenteil, Louis!« Der Puppenspieler war todernst. »Viel sicherer als dieses Raumschiff beispielsweise, und dieses Schiff ist im Vergleich zu den meisten von Menschen konstruierten Modellen äußerst sicher! Wir besitzen viel Übung im Rangieren von Planeten.«
»Übung? Woher?«
»Dazu muß ich weiter ausholen. Ich muß von Abwärme erzählen und von… Geburtenkontrolle. Ich trete Ihnen hoffentlich nicht zu nahe?«
Alle verneinten. Louis besaß genügend Takt, um nicht zu lachen. Teela kicherte.
»Bei uns ist Geburtenkontrolle ein sehr schwieriges Problem. Für uns gibt es nur zwei Methoden, Nachkommen zu vermeiden. Entweder ein chirurgischer Eingriff oder völlige Enthaltsamkeit…«
Teela war schockiert. »Aber das ist ja entsetzlich!«
»Es ist ein Handikap. Verstehen Sie mich nicht falsch. Der chirurgische Eingriff ist kein Ersatz für Abstinenz — er erzwingt sie. Heutzutage ist der Prozeß reversibel; in der Vergangenheit war das unmöglich. Nur wenige meiner Artgenossen würden sich freiwillig einer derartigen Operation unterziehen.«
Louis pfiff. »Kann ich mir denken. Also hängt Ihre Geburtenkontrolle von Willenskraft ab?«
»Ja. Abstinenz hat unangenehme Nebenerscheinungen, bei uns genauso wie bei den meisten Lebewesen. Das Resultat war traditionellerweise Überbevölkerung. Vor einer halben Million Jahre zählte unsere Bevölkerung nach Ihrem menschlichen Zahlensystem noch fünfhundert Milliarden. Nach dem Zahlensystem der Kzinti…«
»Ich bin ganz gut in Mathematik«, entgegnete der Kzin. »Mir scheint allerdings, daß Ihre Probleme nichts mit Ihrer ungewöhnlichen Raumflotte zu tun haben.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Der-zu-den-Tieren-spricht hatte sich aus der Erfrischungskonsole eine zweihändige Kanne in Kzinti-Design gezogen, die gut eineinhalb Liter faßte.
»Doch, das haben sie, Sprecher-zu-den-Tieren. Eine halbe Billion zivilisierter Wesen erzeugen viel Wärme als Abfallprodukt ihrer Zivilisation.«
»Ist Ihre Zivilisation denn schon so alt?« fragte Louis.
»Sicher. Welche primitive Kultur könnte eine so große Bevölkerung ernähren? Das Ackerland war uns schon lange ausgegangen, und wir waren gezwungen, zwei Planeten unseres Sonnensystems landwirtschaftlich zu terraformieren. Dazu mußten wir diese Planeten in eine sonnennähere Kreisbahn schieben. Sie verstehen?«
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