Svengaard schüttelte erstaunt den Kopf. Das war Blasphemie …
»Und es kommt darauf hinaus«, fuhr Potter fort, »daß sich die Natur nicht ins Handwerk pfuschen läßt.«
Neben Svengaards Schreibtisch klingelte es. »Sicherheitsdienst?« fragte Potter.
»Nein, das heißt ›fertig‹. Sie sind jetzt soweit.«
»Und überall die Spürhunde vom Sicherheitsdienst«, stöhnte Potter. »Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich bei Ihnen oder mir zu melden. Wissen Sie, wir beide werden ja auch überwacht.«
»Ich … ich habe nichts zu verbergen«, sagte Svengaard.
»Natürlich nicht«, bestätigte Potter. Er ging um den Tisch herum und legte Svengaard einen Arm um die Schulter. »Kommen Sie. Zeit für uns, die Maske des Archäus aufzusetzen. Wir werden einen lebenden Körper formen. Wir sind wahrlich Götter.«
»Was werden sie mit … mit den Durants tun?« fragte Svengaard verwirrt.
»Tun? Verdammt wenig, wenn die Durants sie nicht herausfordern. Sie werden nicht einmal merken, daß sie überwacht werden. Aber die kleinen Buben von der Zentrale werden genau wissen, was in der kleinen Zelle vor sich geht. Die Durants werden nicht einmal rülpsen können ohne das Gas, das zu einer vollständigen Analyse gehört. Kommen Sie.«
Svengaard zögerte. »Doktor Potter«, sagte er, »was glauben Sie, was diese Argininkette im Keimling der Durants veranlaßt haben könnte?«
»Ich bin näher an der Antwort, als Sie glauben«, erwiderte Potter. »Wir kämpfen … gegen die Instabilität. Mit unseren falschen Isomeren, den Enzymverbesserungen und den Mesonenstrahlen haben wir die biologische Stabilität des Erbbildes verfälscht. Wir haben die chemische Stabilität der Moleküle im Keimplasma untergraben. Sie sind doch Arzt. Schauen Sie doch die Enzymrezepturen an, die wir alle brauchen. Wie genau müssen wir sie dosieren, damit wir überhaupt am Leben bleiben. So war es nicht immer. Und was immer es auch sein mag, das diese Stabilität früher bewirkte — es kämpft noch. Das ist es, was ich denke.«
Im Formsaal stellten die Pflegerinnen den Bruttank unter den Enzymtisch, schlossen die Schläuche an und machten den Computer für die Nährlösung fertig. Sie arbeiteten ruhig und geschickt, als Potter und Svengaard die Skalen prüften. Die Computerassistentin legte die Bänder ein und prüfte die Schaltanlage.
Potter war überwach, wie immer vor einem chirurgischen Eingriff. Er wußte, dem Gefühl der augenblicklichen Spannung würde dann die Sicherheit der Tat folgen.
Svengaard bewegte seine Finger in den Handschuhen, holte tief Atem. Es roch schwach nach Ammonium.
Potter trat an den Bruttank heran. Sein steriler Mantel knisterte beim Gehen. Er warf einen Blick auf den Bildschirm an der Wand, den Rückspielmonitor, der ungefähr das zeigte, was der Chirurg sah und was die Eltern beobachten konnten.
Verdammte Eltern, dachte er, ihretwegen fühle ich mich schuldig.
Auf dem Bruttank lagen die blitzenden Instrumente. Das Pumpengeräusch störte ihn. Svengaard wartete auf der anderen Seite des Tanks. Die Atemmaske verbarg die untere Gesichtshälfte, aber seine Augen drückten Ruhe aus. Er strahlte Verläßlichkeit und Beharrlichkeit aus.
Und wie sieht es wirklich in ihm aus? überlegte Potter. Er wußte, daß es bei einer Formung keinen besseren Assistenten gab als Sven.
»Sie können jetzt die Pyruvsäuregaben erhöhen«, sagte Potter.
Svengaard nickte und drückte den Hebel. Die Computerassistentin schaltete das Band ein.
Sie ließen die Skalen nicht aus den Augen, als die Krebsmarke stieg … 87,0 … 87,3 … 87,8 … 89,4 … 90,5 … 91,99 …
Jetzt, sagte sich Potter, hat die unwiderrufliche Bewegung des Wachstums begonnen. Nur der Tod kann sie aufhalten. »Sagen Sie mir, wenn die Krebsmarke auf hundertzehn steht«, befahl er.
Er stellte Mikroskop und Mikrogeräte ein und ließ sie einrasten. Werde ich das zu sehen bekommen, was Sven sah? überlegte er. Er wußte, es war nicht wahrscheinlich. Der Blitz von außerhalb hatte noch nie zweimal an der gleichen Stelle getroffen. Er kam. Er tat das, was keine menschliche Hand zu tun vermochte. Er verschwand.
Wohin? überlegte Potter.
Die Interribosomallücken schwammen ins Blickfeld. Er erfaßte sie, verstärkte das Mikroskop und ging zu den DNA-Spiralen hinunter. Ja, genau das hatte Sven beschrieben. Der Embryo der Durants war einer von jenen, die in die Übermenschenzentrale hinüberwechseln konnten … falls die Chirurgen Erfolg hatten.
Potter richtete sich auf. »Na, und?« fragte Sven.
»Ziemlich genauso, wie Sie es beschrieben haben. Eine recht eindeutige Geschichte. Ganz glatt.« Das war für die Eltern bestimmt.
Was mochte der Sicherheitsdienst über die Durants herausgebracht haben? Würde man sie mit Vernehmungen, Vorschriften und Einschränkungen belasten? Möglich. Aber es gingen Gerüchte um von neuen Praktiken des Elternuntergrunds, von den Cyborgs, die nun aus den Schatten heraustraten, die sie seit Jahrhunderten verborgen gehalten hatten … falls es überhaupt noch Cyborgs gab. Potter war davon nicht überzeugt.
»Pyruvsäure reduzieren«, wies Svengaard die Computerassistentin an. Sie bestätigte die Anweisung.
Potter richtete seine Aufmerksamkeit auf den Ständer mit den wichtigsten Stoffen, der neben ihm stand. In der ersten Reihe hatten die Pyrimidine, Nukleinsäuren und Proteine Platz gefunden, dann folgten die Aneurin-, Riboflavin-, Pyridoxin- und Pantothensäuren, die Pteroylglutaminsäure, Cholin, Inositol und Sulfhydryl.
Er räusperte sich, um seinen Plan für seine Attakke auf die Abwehrkräfte des Keimlings vorzutragen. »Ich werde versuchen, eine Pilotenzelle zu finden, indem ich die Cysteine an einer bestimmten Stelle markiere. Halten Sie Sulfhydryl bereit und richten Sie ein Ersatzband für die Proteinsynthese her.«
»Fertig.« Svengaard nickte der Computerassistentin zu, die mit sicherer Hand das Ersatzband einlegte.
»Krebszyklus?« fragte Potter.
»Steigt auf hundertzehn«, meldete Svengaard.
Gespanntes Schweigen.
»Marke«, sagte Svengaard.
Wieder beugte sich Potter über das Mikroskop. »Band laufen lassen«, ordnete er an. »Zweimal Minimum Sulfhydryl.«
Langsam verstärkte Potter das Mikroskop, wählte eine Zelle für die Maskierung. Der Intrusionsschleier löste sich auf, und er suchte die umgebenden Zellen nach Hinweisen dafür ab, ob die Kernteilung auf der von ihm angepeilten Linie liegen könnte. Langsam … Er hatte gerade erst begonnen, und schon fühlten sich seine Hände schweißfeucht an.
»Adenosintriphosphat bereithalten«, sagte er.
Svengaard schob den Schlauch in den Mikromanipulator und nickte der Tankassistentin zu. Schon ATP. Das war eine heikle Sache.
»Minimum ATP«, wies Potter an.
Svengaard drückte die Zufuhrtaste. Das Summen der Computerbänder klang unnatürlich laut.
Potter schüttelte den Kopf. »Falsche Zelle«, sagte er, »wir müssen eine andere versuchen. Alles noch mal. Genau wie vorher.«
Wieder beugte er sich über das Mikroskop, hantierte geschickt mit den Mikrogeräten, verstärkte Spurweise die Vergrößerung, versuchte in die Zellmasse einzudringen — zart, ganz vorsichtig. Schon das Mikroskop konnte unwiderrufliche Schäden hervorrufen.
Tief im Keiminnern erkannte er endlich eine aktive Zelle. Die Tankstasis hatte hier nur schwach verzögernd gewirkt. Er erkannte die an einer Zuckerphosphathelix hängenden Grundschleifen, als sie durch sein Sichtfeld trieben.
Seine anfängliche Unruhe war verflogen und hatte der altgewohnten Sicherheit Platz gemacht. Die Morula schien ein Ozean zu sein, in dem er schwamm, und der Zellkern war seine Heimat.
»Zweimal Minimum Sulfhydryl«, sagte Potter.
»Sulfhydryl, zweimal Minimum«, antwortete Svengaard, »ATP bereit.«
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