»Wir konnten es nicht anders erwarten. Obwohl im elften Jahrhundert das Wetter besser ist als in unserer Zeit, befinden wir uns doch im hohen Norden, und die durchschnittliche Regenmenge …«
»Sparen Sie sich den Vortrag. Ich muß sicher sein, daß Ottar bis zuletzt mitmacht — sonst wage ich es nicht, mit dem Film zu beginnen. Ich habe Angst, daß er in seinem neuen Schiff wegsegelt oder sonst etwas Dummes anstellt. Überhaupt — was macht er hier? Er sieht mir gar nicht nach einem friedlichen Farmer aus.«
»Er lebt im Moment im Exil. Offensichtlich schätzt er die Bekehrung zum Christentum nicht in der Art, wie König Olaf Trygvessøn sie praktiziert. Nach einem verlorenen Kampf mußte er aus Norwegen fliehen.«
»Was hat er denn gegen das Christentum?«
»Olaf wollte ihn zuerst einer Probe unterziehen, ob er auch würdig sei. Bei dieser Probe wird das Mundstück einer Lure — das ist ein großes Kriegshorn aus Messing — dem Opfer in den Hals geschoben. Dann wirft man eine Giftschlange in den Horntrichter und erhitzt das Horn, bis die Schlange Zuflucht im Schlund des Heiden sucht.«
»Hübsch. Und was geschah, als er Norwegen verließ?«
»Er war unterwegs nach Island, aber er erlitt bei einem Sturm Schiffbruch. Mit ein paar seiner Leute konnte er sich hierher retten. Das alles geschah kurz vor unserer Ankunft hier.«
»Wenn er ein Schiffbrüchiger ist — dann kann das Haus doch nicht ihm gehören?«
»Nein. Er und seine Leute haben den früheren Besitzer getötet.«
»Eine herrliche Lebensart — aber für mich waren es gute Nachrichten. Er wird hierbleiben, solange er gut bezahlt wird und genug zu trinken hat.«
Amory Blestead kam herein und brachte eine Windbö und einen Regenguß mit. »Hängen Sie Ihre Sachen an die Tür, damit sie dort abtropfen«, sagte Barney. »Hier ist Kaffee. Wie steht es mit dem Umbau?«
»Fast fertig«, sagte Amory und rührte in der Tasse. »Wir haben die Rückwand des Hauses herausgebrochen, um die Kameras und Scheinwerfer einbauen zu können. Dann haben wir sie durch eine Sperrholzplatte ersetzt und die Decke um einen guten Meter angehoben. Das war viel leichter, als ich dachte. Wir lösten einfach die Balken und stützten sie ab, während die Einheimischen die Wände aufstockten. Diese Kerle können eben noch arbeiten.«
»Und sie sind billig«, sagte Barney. »Bis jetzt ist bei diesem Film lediglich das Budget in Ordnung.« Er sah das Drehbuch durch und kreuzte ein paar Szenen rot an. »Können wir jetzt mit den Innenaufnahmen beginnen?«
»Jederzeit.«
»Also, zieht die Gummistiefel an! Was sagen Sie zu den Probeaufnahmen, Amory?«
»Absolute Klasse! Dieser Wikinger ist ein Naturwunder.«
»Ja.« Barney kaute am Bleistift und legte ihn dann weg. »Hoffentlich. Er könnte eine oder zwei Szenen schaffen — aber wie halten wir ihn während des ganzen Films bei Laune? Ich wollte für den Anfang ein paar einfache Szenen drehen — das Besteigen des Bootes und ein heroischer Blick in die untergehende Sonne. Aber das Wetter hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Also gut, wagen wir uns an die Innenaufnahmen — und halten Sie mir den Daumen.«
Regen drang in den Jeep, als sie langsam durch die Schlammspur den Hügel hinauffuhren. Auf dem Feld hinter Ottars Haus parkten ein paar Fahrzeuge, darunter auch der Wagen mit dem Vremeatron. Sie fuhren so nahe wie möglich an das Haus heran und patschten durch den aufgeweichten Boden. Im Windschutz der Hütte drängte sich das Gesinde zusammen. Sie waren naß und unglücklich. Ottar hatte sie hinausgeworfen, damit für die Filmleute mehr Platz war. Durch die Sperrholztür drangen dicke elektrische Kabel. Barney ging hinein.
»Wir brauchen Licht«, sagte er und schüttelte seinen nassen Mantel aus. »Ich möchte diese Bettnische sehen.«
»Vorsicht, die Farbe ist immer noch etwas feucht«, warnte Amory und deutete auf die dunkel gestrichenen Bretter und die Doppeltür, die man in die Wand eingebaut hatte.
»Nicht schlecht«, sagte Barney.
Jens Lyn knurrte. »Nicht gut! Ich erklärte ihnen, daß in einem so einfachen Haus die Leute auf den Schlafbänken rund um den Raum liegen, daß es aber möglicherweise eine winzige Bettnische gibt, die in die Wand eingebaut ist. Winzig, weil sie dann die Körperwärme zurückhält — das ist der Sinn der Bettnische.« Er riß die Doppeltür in der Wand auf und deutete in die Nische, die mit einer Schaumgummimatratze und Nylon-Bettüchern ausgestattet war. »Aber das hier — es ist entsetzlich!«
»Nur ruhig, Doc«, meinte Barney und sah sich die Nische durch den Sucher an. »Wir drehen schließlich einen Film. Es wäre unmöglich, ein paar Leute und die Kamera in einem winzigen Sarg unterzubringen. Also gut, weg mit der Rückwand!«
Zwei Zimmerleute holten die Rückwand der Kammer weg. Eine Kamera wurde sichtbar.
»Gehen Sie nach hinten, Gino«, befahl Barney. »Ich kümmere mich darum, daß die Handlung läuft. Wir machen Szene vierundfünfzig. Ah, Ottar, du kommst gerade recht.«
Der Wikinger platschte herein, in Plastikregenmäntel gehüllt. Ein besorgter Maskenbildner hielt ihm zusätzlich einen Schirm über den Kopf.
»He, Barney«, rief Ottar. »Ich sehe gut aus, nicht?«
Er sah tatsächlich gut aus. Man hatte ihn in einen Zuber geweicht — das Wasser mußte dreimal gewechselt werden — sein Haar und sein Bart waren gewaschen, getönt und geschnitten worden, und Rufs Kostüm war für seine Figur erweitert worden. Er war eindrucksvoll, und er wußte es und sonnte sich in seinem Glanz.
»Du bist eine Wucht«, sagte Barney. »So großartig, daß ich noch ein paar Aufnahmen von dir machen möchte. Du siehst sie dir sicher gern an, nicht wahr?«
»Gute Idee. Ich bin auf Bildern schön.«
»Genau. Und jetzt hör zu, was du tun sollst.« Barney schloß die Nischentür. »Ich werde mit der Kamera da drinnen sein. Du stehst hier und öffnest die Tür — so — und wenn sie weit offen ist, wirfst du einen Blick auf das Bett — so — und lächelst langsam. Das ist alles.«
»Klingt dumm. Mach doch hier draußen ein Bild von mir.«
»Vielen Dank für den Vorschlag, Ottar, aber ich glaube, wir machen es so, wie ich es sagte. Schließlich bekommst du pro Tag eine Flasche, und dafür kannst du schon etwas tun.«
»Das stimmt — jeden Tag eine Flasche. Wo ist Flasche von heute?«
»Die bekommst du, wenn wir mit der Arbeit fertig sind. Also, bleib hier stehen. Ich gehe mit der Kamera da hinein.« Er zog den Regenmantel an und watete zum Aufnahmeschuppen hinüber.
Nach lautem Hin- und Herrufen und einigen Fehlstarts schien Ottar zu verstehen, was man von ihm wollte. Die Türen wurden noch einmal geschlossen, und Barney winkte den Kameraleuten. Die Kameras schnurrten los, als die Türen mit viel Kraft aufgerissen wurden. Einer der Griffe blieb in Ottars Hand, und er warf ihn zu Boden.
»Mist, verdammt«, knurrte er.
Barney holte tief Luft. »So darfst du nicht spielen, Ottar«, sagte er. »Du mußt dich in deine Rolle hineindenken. Du kommst unverhofft heim, du bist müde. Du öffnest die Bettnische, um dich auszuruhen, und entdeckst die schlafende Gudrid in deinem Bett. Du lächelst auf sie herab.«
»Niemand auf der Insel, der Gudrid heißt.«
»Gudrid ist in diesem Film Slitheys Name. Du weißt, wer Slithey ist.«
»Ja, aber sie ist nicht hier. Barney, das alles ist dumm.«
Barney hatte jahrelang mit gleichgültigen und schlechten Schauspielern zu tun gehabt und blieb deshalb ruhig. »Warte einen Moment«, sagte er. »Dann versuchen wir es noch einmal.«
Ottar knurrte. Aber schließlich ging die Tür wieder auf, diesmal etwas weniger heftig. Ottar starrte finster in die Kamera. Dann warf er einen Blick auf das Bett, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln. Seine Augen wurden groß, und seine Hand schnellte ins Innere.
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