»Tja, Mavra, ich sehe, Sie haben es nicht geschafft«, sagte Obie seufzend.
Mavra seufzte ebenfalls.
»Obie!«rief sie.»Obie, wie sieht es da unten aus?«
Es blieb einen Augenblick still, dann erwiderte der Computer:»Schlimm. Dr. Zinder hat sich als erster erholt und mit mir in Verbindung gesetzt, und ich erhielt einige seiner Anweisungen, bevor Ben ihn wegriß. Zwei von den Aufsehern waren dabei, und sie hörten, wie ich zu Dr. Zinder sagte, daß wir in einem ganz anderen Bereich des Weltraumes sind. Sie begannen nach Schwamm zu schreien, und Trelig erschoß sie.«
»Sie sind also schon dahintergekommen«, erklärte sie.»Was ist auf der Oberfläche?«
»Trelig sagte sich, daß sie hinaufgehen und versuchen mußten, die anderen Aufseher unter Kontrolle zu halten. Sie hätten ihn hier unten in der Falle gehabt. Er hofft, daß er ihre Behandlung durch mich zur Heilung der Sucht für die Verhandlungen einsetzen kann, aber ich schätze nicht, daß er viel Erfolg haben wird. Die meisten würden einfach nicht glauben, daß er sie heilen kann, und die übrigen wären noch aufgebrachter, weil es eine solche Heilung gibt und sie nicht angewendet worden ist. Ich bin überzeugt davon, daß sie nur so lange mitmachen, bis die Heilung stattgefunden hat, um ihn dann doch umzubringen.«
»Und wenn du dir das ausrechnen kannst, kann Trelig es auch«, meinte Mavra.»Eine Heilung bringt ihm nichts. Obie, gibt es irgendeine Möglichkeit, daß wir zu dir hineinkönnten? Da ist Nikki — und einer der Aufseher, ein Verbündeter namens Renard.«
Obie seufzte wieder. Es war sonderbar, eine so menschliche Stimme und Reaktion von einer Maschine zu hören, aber Obie war viel mehr als eine Maschine.
»Ich fürchte, nein, jedenfalls nicht im Augenblick. Der große Spiegel ist im Kontakt mit dem Schacht erstarrt — dem gigantischen Markovier-Computer, der die Welt dort unten betreibt. Ich kann ihn im Augenblick nicht beeinflussen. Es kann eine Weile dauern — Tage, Wochen, sogar Jahre —, bis ich einen Weg finde, mich loszumachen, wenn es überhaupt einen gibt. Und was den kleinen Spiegel angeht — Trelig ist kein Dummkopf. Er ist gegangen, aber zuerst hat er Abwehrmechanismen in Betrieb genommen, auf die ich keinen Einfluß habe. Wenn ich den großen Spiegel hätte, könnte ich sie ausschalten, aber das ist nicht der Fall. Jeder, der versucht, in den kleinen Raum zu gelangen, muß zuerst über die Brücke im Schacht. Die Brücke wird den Tod bedeuten, wenn Treligs Code nicht genannt wird, und den kenne ich nicht.«
»Kannst du dann verhindern, daß jemand anderer alles zerstört?«
»Ich denke schon. Ich muß Strom durch die Schachtwände leiten. Das sollte jeden daran hindern, auf die Brücke zu treten.«
»Gut, Obie, ich muß wohl hin und Treligs edlen Hals retten«, sagte sie und schaltete auf Schub. Der neue Mond, der Neu-Pompeii geworden war, befand sich hinter dem fremden Planeten, und sie gab einen Abfangvektor ein.
»Warte! Nicht!«rief Obies Stimme.»Abbrechen! Sie müssen unter Neu-Pompeii hereinkommen, wenn Sie die Oberseite erreichen wollen, und dabei geraten Sie zu nahe an die Schachtwelt heran.«
Aber es war zu spät. Das Raumschiff flog bereits auf den Planeten zu, spürte die Zugkraft und benützte sie, um auf die andere Seite herumzufegen.
Hier bot sich ein unfaßbarer Anblick. Die Welt schimmerte aus der Nähe wie ein Traumgebilde und glich trotzdem einem riesigen, fremdartigen Juwel. Sie war auf irgendeine Weise facettiert; zahllose sechseckige Facetten irgendeiner Art, und unter dem, was die Facettierung hervorrief, die Andeutung von weiten Meeren, Gebirgen und grünen Flächen, über denen Wolken dahinfegten. Das heißt, so sah es unterhalb des Äquators aus. Der Äquator selbst wirkte seltsam, wie für den Globus eines Kindes entworfen. Ein dicker Streifen, halb durchsichtig, aber mit Bernsteinfärbung, zog sich wie ein breites Plastikband um die Welt. Der Norden — auch er zeigte sechseckige Facetten, aber die Landschaften dort enthielten nichts Vertrautes; er war unheimlich, öde, fremdartig. Auch die Pole sahen sonderbar aus — weite Flächen, doch von nichtspiegelnder Dunkelheit, beinahe so, als gäbe es sie gar nicht.
Der Anblick bannte sie fest. Und Schub und Brennschluß waren vorher eingegeben worden. Um wegzukommen, würde Mavra ohnehin tangential zum Äquator herumfliegen müssen.
»Zu spät! Zu spät!« klagte Obie.»Schnell! Alle rasch in die Rettungskapseln!«
Mavra war verwirrt. Alles schien normal zu sein, und plötzlich sah sie Neu-Pompeii, halb grün und glänzend, halb mit dem großen Spiegel überzogen.
»Tun wir lieber, was er sagt«, meinte Renard hastig.»Wo ist das Rettungsboot? Ich hole Nikki.«
»Bringen Sie sie her«, sagte Mavra.»Wenn etwas schiefgeht, dichtet sich die Brücke ab.«
Als Renard nach hinten eilte, schwebte das kleine Schiff auf Neu-Pompeii zu, und Mavra konnte keine Gefahr erkennen.
»Verdammt, mir fehlt nichts!«hörte sie Nikki schreien. Sie drehte sich um, als das Mädchen zornig hereinkam, gefolgt von Renard.
»Ihr Vater ist am Leben, Nikki«, sagte Mavra.»Ich stehe in Verbindung mit Obie. Vielleicht —«
In diesem Augenblick erzitterte das Schiff, und die ganze Elektronik, einschließlich der Beleuchtung, flackerte und erlosch.
»Was ist denn?«Mavra betätigte verzweifelt Schalter und Tastaturen. Die Brücke war stockdunkel, man hörte kein Motorengeräusch, kein Summen. Selbst Notbeleuchtung und Sicherheitssteuerung waren ausgefallen, obwohl das gar nicht sein konnte.
»Renard!«rief sie.»Setzen Sie Nikki in Ihren Sessel, und Sie kommen mit in meinen! Ich glaube, wir passen zu zweit hinein. Nikki! Anschnallen, so fest es geht!«
»Wa — was ist denn?«rief das Mädchen.
»Tun Sie, was ich sage! Schnell! Aus irgendeinem Grund ist alles ausgefallen, sogar die Notsteuerung! Wir sind zu nah am Planeten! Wenn wir keinen Strom bekommen —«
Sie hörte, wie Nikki in den Sessel stolperte. Sie spürte Renards Hand an ihrem Gesicht. Ihre eigenen Augen, von Obie verändert, nahmen im Infrarotbereich die beiden wahr. Sonst gab es auf der Brücke keine Wärmequelle.
Sie riß Renard zu sich in den Sessel. Es war sehr eng und funktionierte nicht ganz. Der verdammte Schweif! dachte sie wütend.
»Ich muß auf Ihrem Schoß sitzen«, sagte sie.
»Au!«schrie er.»Ein bißchen weiter herunter! Der Schwanzknochen drückt auf meine empfindliche Stelle!«
Sie schob sich ein wenig hinunter, er zog mit Mühe die Gurte über sie, dann legte er die Arme um ihren Körper.
Plötzlich schaltete sich alles wieder ein.
Der Bildschirm zeigte, daß sie während des Ausfalls enorm an Höhe verloren hatten. Sie konnten vor sich ein Meer sehen, dahinter Berge.
»Wir sind jedenfalls über den Äquator in den Süden gekommen«, stieß Mavra hervor.»Ich will sehen, ob ich uns von hier fortbekommen kann.«
Sie wollte die Gurte öffnen, als plötzlich der Schirm zeigte, daß sie das Meer überflogen hatten, und bevor sie sich umsah, war alles wieder dunkel.
»Verdammt!«fluchte sie.»Wenn ich nur wüßte, was, zum Teufel, hier vorgeht!«
»Wir stürzen ab, nicht wahr?«fragte Nikki resigniert.
»Sieht so aus«, antwortete Mavra.»Wir beginnen gleich mit der Auflösung, wenn nicht wieder alles funktioniert.«
»Auflösung?«fragte Renard.
»Es gibt drei Systeme in diesen Schiffen«, erklärte Mavra.»Zwei elektrische, ein mechanisches. Ich hoffe, das mechanische funktioniert, weil wir keinen Strom haben. Bei zwei von den Systemen, das mechanische eingeschlossen, löst das Schiff sich in Kapseln auf. Durch die Mechanik werden dreißig Sekunden nach der Trennung Fallschirme ausgelöst, und durch den Luftwiderstand wird der Hauptschirm herausgerissen. Es wird ungemütlich werden.«
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