»Wir sind einander auf fünfzig Welten gefolgt«, sagte Marquoz trocken. »Dann mal los.«
»Yua? Gehen wir zusammen?«fragte Mavra.
Die Olympierin schluckte hörbar.
»Ja, das — das möchte ich«, erwiderte sie. »Ich — o! Das kitzelt, nicht wahr?«
»Nicht anders als bei Obie, glaube ich«, gab Mavra zurück.
»Es — es ist so dunkel… «
Nun waren sie alle fort.
Brazil seufzte, zündete sich eine Zigarette an und tastete die Angaben für die Rückkehr zum Raumschiff und von dort zu Nautilus ein. Es ist geschehen, dachte er. Es hat angefangen. Verdammt! Wenn ich nur wissen könnte, was am anderen Ende vorgeht.
»Mavra! Hilf mir hoch, ja? Mir ist schwindlig«, murmelte Yua.
Mavra knickte an den Vorderbeinen ein und half der Olympierin hoch.
»Das war entschieden unbehaglich«, knurrte Marquoz. Er wirkte selbst ein wenig wacklig.
Mavra schaute sich verwirrt um.
»Wo ist Zigeuner?«
Die anderen beiden erkannten erst jetzt, daß sie nur zu dritt waren, und schauten sich ebenfalls um. Die Kammer war riesengroß; sie standen auf einer flachen, glatten, glasigschwarzen Oberfläche von unbekannter Beschaffenheit. Die Platte war sechskantig, aber die Halle war von solcher Größe, daß man sie schwer schätzen konnte. Das Licht kam von einer riesigen, sechsseitigen Tafel an der Decke. Ein Geländer, das offenbar einen Laufgang verbarg, führte rund um den Raum. Zu Lücken im Geländer führten Stufen hinauf.
»Wir müssen trotzdem weiter«, sagte Mavra und ging zu der nächstgelegenen Treppe, die aus Stein zu sein schien. Der Laufgang bestand aus einer Reihe von Fließbändern, wie sie sahen, die aber jetzt stillstanden.
»Sie sind schon einmal hiergewesen«, sagte Marquoz zu Mavra. »Wie setzen wir das da in Bewegung?«
Sie lachte leise.
»Ich bin nie hiergewesen. Hier kamen alle anderen an, die nicht hier geboren waren. Ich landete mit einem Raumschiff. Eine Bruchlandung. Ich war nur einmal kurz als Gefangene in einer Botschaft in Zone. Ich fürchte, für mich ist das ebenso neu wie für euch. Vergeßt nicht, daß ich zwar schon auf diesem Planeten gewesen bin, aber nicht durch den Schacht ging. Ich weiß so wenig wie ihr, was uns erwartet.«
Plötzlich hörten sie weit weg ein Surren und spürten im Geländer ein Vibrieren.
»Unser Empfangskomitee scheint unterwegs zu sein«, meinte Mavra.
Marquoz schaute sich um.
»Aber wo ist Zigeuner? Ich weiß, daß er hierhergekommen ist. Er war der erste.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mavra seufzend. »Er hatte von Anfang an etwas Unheimliches an sich. Er ist Ihr Freund. Ich weiß keinen Grund, weshalb er nicht hier sein sollte, gleichgültig, wer oder was er war.«
»Ich kenne ihn seit Jahren und kenne ihn doch nicht«, gab Marquoz achselzuckend zurück. »Vielleicht haben wir alle nur eine Maske gesehen. Vielleicht war er eine nicht auf Kohlenstoff aufgebaute, fremde Lebensform, die uns Menschengestalt nur vortäuschte, so daß er jetzt in Zone Nord ist. Wer weiß? Obie hat es wohl gewußt. Aber es ist wohl das beste, wenn wir ihn vorerst nicht erwähnen. Es könnte mehr im Gange sein, als wir wissen.«
»Richtig«, sagte Mavra. »Aber mir gefällt das nicht.«
Marquoz zeigte plötzlich nach vorn.
Ein riesiges Wesen kam auf sie zu. Es besaß einen dunkelbraunen, menschenähnlichen Rumpf, aber gepanzert. Sechs Arme ragten aus den Rumpfseiten, vier davon an Kugelgelenken, aber alle mit Händen, die Finger besaßen. Alle sechs Arme wirkten hart und muskulös. Der Kopf war eiförmig und besaß keine Ohren. Tiefschwarze Menschenaugen standen neben einer Plattnase, unter der ein mächtiger, weißer Schnurrbart sproß. Der Rumpf ging in lange Schlangenwindungen über.
Das Wesen kam furchtlos heran — ganz natürlich, da es hier offenbar Herr war. Er klatschte laut an die Wand, als er auf einige Meter herangefahren war, und das Fließband stand still. Buschige, weiße Brauen stiegen hoch.
»Ein Mensch, gewissermaßen, eine Dillianerin und ein Ghlomonese? Was hat das zu bedeuten? Versteht ihr, was ich sage?«
Mavra nickte.
»Vollkommen«, sagte sie. »Wir sind vom Kom-Bund.«
Das Wesen sah sie entgeistert an.
»Vom Kom! Und keiner von euch ein echter Mensch! Du meine Güte! Wie muß sich alles verändert haben, seidem ich das letztemal dort war!«
Yua hielt den Atem an.
» Sie sind einmal im Kom gewesen?«
Er lächelte sehr menschlich unter dem buschigen Schnurrbart.
»Gewiß. Ich war auch einmal ein Mensch, nur ohne Schweif, und ein Mann.«
»Im Kom gibt es jetzt viele Rassen«, sagte Mavra. »Und alle leben friedlich zusammen. Miteinander, heißt das. Gemeinsam haben wir gerade einen Krieg mit einer kompromißlosen nicht-menschlichen Rasse ausgetragen.«
»Multirassische Zusammenarbeit im Kom!«sagte das Wesen staunend. »Wer hätte das gedacht! Einen Krieg hat es gegeben, sagen Sie? Seid ihr deshalb hier?«
»Ich weiß nicht, warum wir hier sind«, sagte Mavra schnell. »Ich weiß nicht einmal genau, was ›hier‹ ist. Nein, es war nicht der Krieg. Den haben wir gewonnen, dabei aber einen Riß im Raum-Zeit-Kontinuum hervorgerufen. Er beginnt, den Kom-Bereich zu verschlingen. Man könnte sagen, daß wir Flüchtlinge sind, obwohl ich nicht weiß, wieso wir hier landen. Wir sind auf einer alten Welt gelandet, um darüber abzustimmen, wohin wir gehen sollen, und auf einmal erlosch das Licht. Aufgewacht sind wir hier.«
Das Wesen nickte. Das entsprach ungefähr seinen Erwartungen — und aus diesem Grund hatte man diese Geschichte erfunden.
Das Wesen glitt zurück, um auf dem Fließband Platz zu machen.
»Ihr könnt die Raumanzüge übrigens ausziehen. Der Schacht sorgt für Druckausgleich. Oder behaltet sie an, bis wir in meinem Büro sind, wie ihr wollt.«
Er schlug mit der untersten linken Hand an die Wand, und das Band begann zu laufen.
»Ich bin Tourifreet, eine Rhone«, sagte Mavra. »Der Mensch ist Yua, eine Olympierin, und der Chugach heißt Marquoz.«
»Freut mich«, sagte das Wesen liebenswürdig. »Es ist lange her, seit jemand aus meinen alten Revieren vorbeigekommen ist. Leute fallen die ganze Zeit in diese Löcher, wie auch ich, aber in den letzten ein—, zweihundert Jahren waren keine Menschen dabei. Ich bin übrigens Serge Ortega.«
Mavras Kopf zuckte hoch, und in ihren Augen begann es seltsam zu funkeln. Ortega, der ihr den Rücken zudrehte, sah nichts davon.
»Ruhig, Mädchen«, flüsterte Marquoz.
Ortega! dachte sie. Nach all der Zeit! Nach all der… Ortega, immer noch am Leben, immer noch am Drücker. Der einzige Mann, den sie mit brennendem Haß verfolgte.
Sie verließen die große Kammer und fuhren durch einen ovalen Tunnel, einen großen Korridor aus schwerem, körnigem Gestein, das stumpfgelb gestrichen worden war.
Sie kamen in dem gewundenen Tunnel an anderen Kammern vorbei; es handelte sich nicht um einen einzelnen Korridor, sondern um ein Labyrinth. Jede Kammer barg nach Ortegas Worten eine Mini-Biosphäre für eine der fünfzehnhundertsechzig Rassen der Schacht-Welt. Hier in diesem Bereich befanden sich die Botschaften der siebenhundertachtzig südlichen Sechsecke.
Als sie sein Büro erreichten und sich ausruhten, ließ Ortega Essen und Trinken kommen. Er erzählte ihnen, was sie schon wußten, von der Schacht-Welt und ihrer Gründung, von den Sechsecken, Zone-Bereichen und Toren. Interessant für sie war Ortegas politische Karte der Schacht-Welt. Sie sahen zum erstenmal ihre riesigen Ozeane und die Topographie der Landschaft. Mavra fand die Gebiete, wo sie gewesen war, und entdeckte Glathriel, wo, wie Ortega überflüssigerweise erklärte, jetzt die menschliche Rasse in primitiven Stämmen zusammen lebte.
Daneben lag Ambreza, die ursprüngliche Heimat der Menschheit und jene Stelle, wo Nathan Brazil auftauchen mußte. Das war ihr erstes Ziel.
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