Seine Zigarre war wieder ausgegangen. Er kaute daran, bis er die Meldung auf seinem Schreibtisch durchgelesen hatte, dann zündete er den Stummel von neuem an. Eine blaue Wolke stieg auf und löste sich im dichten Dunst auf, der schon unter der Decke des kahlen kleinen Raumes hing. Das Büro und seine Kleider stanken nach kaltem Rauch. Er merkte es nicht.
„Verdammt!“ Der Drehstuhl ächzte unter seinem Gewicht. Er war ein bulliger, untersetzter Mann mit einem fleischigen Gesicht, kurzen grauen Haaren und stechenden Augen über der Hakennase. Der Kragen seiner zerknautschten Uniform war offen.
Es war nicht nur, daß eine Maschine vermißt wurde und daß der Pilot wahrscheinlich tot war. Abschüsse waren keine Seltenheit. Der Junge hatte eben Pech gehabt. Wie hieß er eigentlich, ja, Fähnrich Dominic Flandry. Gut, daß ich ihn nie kennengelernt habe. Gut, daß ich seinen Eltern nicht schreiben muß. Aber die Gegend, wo er als vermißt gemeldet wurde, das war beunruhigend. Sein Auftrag war ein Aufklärungsflug über der Zletovarsee gewesen, kaum tausend Kilometer entfernt. Wenn die Merseier ihre Aktivität so weit ausgedehnt hatten…
Aber waren sie überhaupt verantwortlich zu machen? Niemand schien es zu wissen, was der Grund war, daß man die Meldung ihm zugeschoben hatte. Eine Suchmaschine hatte außer den üblichen Handelsschiffen und Fischerbooten nichts gesehen. Nun, auch ein Defekt war nicht ausgeschlossen; es mangelte an Ersatzteilen, und das Bodenpersonal konnte nicht jedes Zeichen mechanischer Überbeanspruchung im voraus erkennen. Andererseits galten diese kleinen Aufklärungsmaschinen als sehr sicher und wenig störanfällig.
Und die Merseier verstärkten ihre Anstrengungen. Die von ihnen kontrollierten Gebiete vergrößerten sich ständig. Bisher hatte ein Viertel des Planetenumfanges zwischen ihrem Einflußbereich und der Insel Kursoviki eine Art Pufferzone abgegeben, und so war die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße in Grenzen geblieben. Aber wenn sie sich in dieser Richtung ausdehnten?
Fragen wir, dachte Abrams. Es kann nicht schaden.
Er drückte auf einen Telefonknopf, und das müde Gesicht eines Vermittlers blickte aus der Mattscheibe. „Verbinden Sie mich mit Runei“, befahl Abrams.
„Jawohl, Herr Oberst. Wenn möglich.“
„Was heißt: wenn möglich? Wofür werden Sie bezahlt? Sagen Sie seinem Verbindungsmann, daß ich meinen nächsten Zug machen will.“
„Wie bitte?“ Der Vermittler war neu hier.
„Sie haben mich gehört.“
Es würde eine Weile dauern, bis die Verbindung hergestellt wäre. Abrams öffnete eine Schublade, holte sein magnetisches Schachbrett heraus und grübelte. Sein schwarzer König saß in einer bösen Klemme; nahm er ihn zurück, geriet die Königin in Gefahr… aber hier, der Läufer konnte ihn abschirmen und zugleich den weißen Turm bedrohen… das war es.
„Kommandant Runei, Herr Oberst.“
Die Mattscheibe wurde dunkel, dann erschien ein neues Gesicht. Abrams konnte die individuellen Unterschiede zwischen Nichtmenschen ebenso leicht erkennen wie bei seinen eigenen Rassegenossen. Das gehörte zu seinem Geschäft. Ein ungeübtes Auge sah nur die Fremdartigkeit. Nicht, daß die Merseier besonders auffallend gewesen wären. Runei gehörte zur Gattung der echten Säuger und stammte von einem erdähnlichen Planeten. Die Reptilienahnen waren ein wenig deutlicher zu erkennen als beim Homo Sapiens; die haarlose, schwach geschuppte Haut und die kurzen, dreieckigen Rückenknorpel, die vom Nacken bis zur Spitze des dicken und langen Schwanzes verliefen, bezeugten es. Der Schwanz bildete das Gegengewicht zu einer vorgeneigten Körperhaltung und diente zusammen mit den Beinen als Sitzgelegenheit. Aber davon abgesehen, ähnelte Runei einem großen, breiten und etwas kurzbeinigen Mann. Starke Überaugenbögen und knochige Auswüchse an Stelle der Ohren änderten nichts daran, daß Kopf und Gesicht auf eine fast bestürzende Weise menschlich aussahen. Er trug die anliegende, schwarze, mit Silber abgesetzte Uniform seiner Waffengattung. Hinter ihm an der Wand waren ein Schiffsmodell, eine sonderbare Statuette und eigenartig geformte Hieb- oder Stichwaffen zu sehen; Erinnerungsstücke an ferne Welten.
„Ich begrüße Sie, Kommandant“, sagte Runei mit musikalischer, akzentloser Aussprache. „Sie machen Überstunden?“
„Und Sie gehören zu den Frühaufstehern, wie mir scheint“, grunzte Abrams. „Bei Ihnen muß gerade die Sonne aufgehen.“
Abrams versuchte sich das gegnerische Hauptquartier vorzustellen. Starkad war ein großer Planet, dessen dichte und feuchte Atmosphäre die Landmassen benagte, eine Welt flacher Ozeane, vom Wind und den Monden aufgewühlt; eine Welt zahlloser großer und kleiner Inseln, aber ohne wirkliche Kontinente. Die Merseier hatten sich in einer Region niedergelassen, die sie Kimraigsee nannten, und ihre Flieger beherrschten den Luftraum. Selten kam ein Aufklärer nach Highport zurück, um zu berichten, wie es dort aussah. Eines Tages, dachte Abrams, wird jemand das stillschweigende Abkommen brechen und ein paar Beobachtungssatelliten in den Himmel schießen. Warum nicht wir? Natürlich werden die anderen dann statt mit Transportern mit Kriegsschiffen kommen und auf die Satelliten Jagd machen. Und dann müssen wir mit größeren Kriegsschiffen kommen…
„Gut, daß Sie angerufen haben“, sagte Runei. „Ich habe mich schon bei Admiral Enriques für die Destillierpumpe bedankt, aber ein besonderes Vergnügen ist es mir, diesen Dank einem Freund zu wiederholen.“
„Wie?“
„Sie wissen nichts davon? Eine unserer Wasserentsalzungsanlagen war ausgefallen. Ihr Admiral war so gütig, uns ein Ersatzteil zur Verfügung zu stellen, das wir im Moment nicht vorrätig hatten.“
„Ach ja, diese Sache.“ Abrams rollte die Zigarre zwischen den Zähnen. Lächerliche Zustände, dachte er grimmig. Menschen und Merseier bekriegten sich auf Starkad, brachten einander um. Nichtsdestoweniger hatte Runei noch nie vergessen, Glückwünsche zu schicken, wenn ein Geburtstag fällig war. Und Enriques hatte Runei davor bewahrt, mangels Trinkwasser seine Biervorräte opfern zu müssen.
Denn dies war kein Krieg. Nicht offiziell. Nicht einmal zwischen den beiden hier beheimateten Rassen. Land- und Seebewohner hatten einander wahrscheinlich schon zu allen Zeiten bekämpft. Aber in ihrem Kampf hatte es nichts Systematisches gegeben. Es waren die gelegentlichen Zusammenstöße zwischen natürlichen Feinden gewesen. Bis die Merseier angefangen hatten, die Meeresbewohner mit Material und Ratgebern zu unterstützen, so daß sie die Landbewohner zurückdrängen konnten. Als man auf Erden davon erfahren hatte, war es eine politische Selbstverständlichkeit gewesen, den Landbewohnern eine entsprechende Hilfeleistung zu gewähren und das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen, damit Starkad nicht als Marionette der Merseier geeint werde. Als Resultat hatten die Merseier ihre Hilfe verstärkt, das Imperium hatte mit gleichen Maßnahmen geantwortet, und so ging es immer noch weiter.
Und die beiden Großmächte lebten im Frieden. Was sie hier stationiert hatten, waren Hilfsmissionen, nicht wahr? Das Imperium hatte seinen Stützpunkt auf der Narpaspitze auf Grund eines Abkommens mit den Getigerten — wie die Landbewohner genannt wurden — von Ujanka, Merseia saß im Kimraiggebiet, nachdem es mit den Herren des Meeres ein ähnliches Abkommen geschlossen hatte. Die Merseier schossen keine von Menschen bemannten Aufklärer ab. Das taten nur ihre Techniker, die den Seetrollen — wie sie von den Getigerten genannt wurden — bei der Verteidigung ihres Luftraums halfen. Das Imperium hatte nichts damit zu tun, daß eine Gruppe Merseier, die am Westkap gelandet war, in einen Hinterhalt geriet und aufgerieben wurde; seine Truppen halfen den Verbündeten lediglich bei der Bewachung der Grenzen.
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