In diesem Augenblick sagte eine scharfe Stimme ganz in ihrer Nähe: »Keine Bewegung! Wer einen Finger rührt, wird erschossen!«
Ein Mann war hinter einem Felsen unmittelbar über die Straße hervorgetreten; zwei weitere kamen hinter einem anderen unterhalb der Straße heraus. Diese beiden bedrohten Wojtowicz mit ihren Gewehren, während der andere zwei Revolver auf die übrigen Mitglieder der Gruppe gerichtet hielt. Alle drei trugen hellrote Masken über den Gesichtern, die nur die Augen freiließen. Der Mann über der Straße trug einen breitkrempigen schwarzen Hut tief über seiner Maske in die Stirn gedrückt; er war elegant und jugendlich gekleidet, wirkte aber trotzdem wesentlich älter als seine Genossen, obwohl seine Gesichtszüge nicht zu erkennen waren.
Jetzt kam er aus seinem Versteck auf die Straße herab und bewegte sich dabei erstaunlich rasch und sicher. Seine Augen wanderten ständig von einem Mitglied der Gruppe zum anderen, aber auch die Mündungen der beiden Revolver kamen keine Sekunde lang zur Ruhe.
»Sie haben den Zusammenhang mit der Schwarzen Dahlie tatsächlich richtig erraten«, stellte er fest. Er sprach rasch, betonte aber trotzdem jedes Wort peinlich genau. »Das war ein Meisterstück aus meiner Jugendzeit. Diesmal geht alles sehr viel harmloser über die Bühne — und mit einer Überlebenschance für Sie alle —, wenn der Mann mit dem Gewehr seine Waffe jetzt fallen läßt.« Wojtowicz löste seinen Griff, und das Gewehr schwankte eine Sekunde lang merkwürdig, bevor es fiel. »Die Männer treten jetzt fünf Meter hinter die Frauen zurück und stellen sich am Straßenrand auf, damit wir ...«
Der Unbekannte wurde unterbrochen, denn in diesem Augenblick fiel ein Schuß, der kaum einen Meter von einem der anderen Maskierten in den Felsen einschlug und als Querschläger davonsummte. Ray Hanks hatte sich von seiner Tragbahre aufgerichtet, das zurückgelassene Gewehr aufgenommen und dann geschossen.
Wojtowicz griff nach seiner eigenen Waffe und schoß aus der Hüfte auf die beiden Maskierten. Sie erwiderten sein Feuer fast gleichzeitig. Wojtowicz fiel zu Boden.
In der Zwischenzeit hatte Margo die graue Pistole aus ihrer Lederjacke gerissen, richtete sie jetzt auf den Mann mit dem schwarzen Hut und drückte auf den Feuerknopf. Der Maskierte wurde nach rückwärts gegen den Felsen geworfen, wo er mit ausgestreckten Armen hängenblieb, während die beiden Revolver nach rechts und links davonflogen. Der Felsen bewegte sich ebenfalls leicht.
Irgend jemand schrie entsetzt auf.
Wojtowicz kam wieder auf die Beine, die Männer mit den Gewehren schossen nochmals, aber dann hatte Margo bereits die Pistole auf sie gerichtet. Die beiden segelten rückwärts durch die Luft, schlugen Purzelbäume und verschwanden dann über den Rand des Felsabsturzes in der Tiefe. Ihre Waffen und einige Steine, die sich gelöst hatten, polterten hinter ihnen her.
Der Mann mit dem schwarzen Hut sank langsam in sich zusammen, so daß ein roter Fleck auf dem Felsen sichtbar wurde, wo sein Kopf mit dem Stein in Berührung gekommen war. Margo rannte auf ihn zu, zielte mit der Pistole auf ihn und trieb ihn mit einem einzigen Feuerstoß über die Straße und den Abhang, so daß er seinen Spießgesellen in die Schlucht folgte.
Doc, der unmittelbar in Margos Nähe gestanden hatte, tanzte plötzlich mit ausgestrecktem Arm umher, rutschte zwei oder drei Meter den Abhang hinunter und fand dort endlich an einem Felsvorsprung wieder Halt unter den Füßen.
Hunter rannte zu Margo, griff mit einer Hand nach der grauen Pistole, löste mit der anderen ihre Finger von dem Griff und rief dabei: »Nicht mehr schießen!« Margo nickte, ließ die Waffe sinken und begann zu schluchzen. Hunter legte ihr tröstend den Arm um die Schultern.
Der Ladestock lief auf Ida zu.
Harry McHeath kniete neben Wojtowicz, der breit zu grinsen begann. »Keine Angst, Kleiner, ich wollte mich nach dem ersten Schuß ohnehin fallen lassen. Nur ein Streifschuß an der Schulter — glaube ich jedenfalls. Am besten sehen wir gleich nach.«
Doc kam herangetrabt und fragte Margo und Hunter: »Mein Gott, was für eine Waffe haben Sie da? Mein linker Arm ist in den Strahl geraten — mir war wie einem Hammerwerfer zumute, der vergessen hat, den Hammer loszulassen.«
»Sie brauchen keine Angst zu haben, daß die Pistole jetzt nicht mehr schießt«, sagte Margo rasch zu Hunter. »Sie ist noch immer halb geladen — die violette Linie im Griff zeigt an, wieviel Energie noch zur Verfügung steht.«
»Lassen Sie mich ...«, begann Doc, aber dann richtete er sich plötzlich auf und starrte nach vorn. »McHeath, bringen Sie mir Wojtowicz' Gewehr!« rief er laut. »Rama Joan, kümmern Sie sich um Wojtowicz. Hixon, holen Sie sich Hanks' Gewehr — wenn der Held es überhaupt aus der Hand geben will. Ross, geben Sie Margo die Pistole zurück. Sie weiß, wie man mit dem Ding umgeht. Margo Sie und ich erkunden jetzt die nähere Umgebung, bis wir sicher wissen, daß keine anderen Banditen mehr auf uns lauern. Sie gehen links von mir und schießen auf jeden, der eine Waffe trägt und nicht zu uns gehört. Achten Sie aber diesmal darauf, wohin Sie zielen!«
Margo fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, nickte zustimmend und stellte sich links neben Doc auf. Wanda, die nach vorn gekommen war, um dem Ladestock behilflich zu sein der sich um Ida bemühte, warf Margo einen erschrockenen Blick zu und wich vor ihr zurück.
Der kleine Mann sagte nachdenklich: »Ich glaube fast, daß er wirklich der Mörder der Schwarzen Dahlie war, aber jetzt werden wir vermutlich nie erfahren, wie er ausgesehen hat. Vielleicht hätten wir ihn sogar erkannt.«
Wojtowicz zuckte zusammen, als Rama Joan das blutverkrustete Hemd über seiner Schulter aufschnitt, und meinte wegwerfend: »Unsinn, Doddsy!«
Rama Joan richtete sich auf und nickte dem kleinen Mann zu. »Holen Sie Ihren Erste-Hilfe-Kasten, Mister Dodd?« bat sie dann.
Doc nahm Harry McHeath das Gewehr aus der Hand, schob eine neue Patrone in den Lauf und setzte sich in Bewegung. »Kommen Sie, wir müssen gehen, bevor es zu dunkel wird«, sagte er dabei zu Margo. »Vermutlich verbringen wir hier die Nacht, deshalb wäre es mir lieber, wenn wir die Umgebung gründlich absuchen könnten.«
Barbara Katz unterdrückte einen leisen Aufschrei, als der große Polizist seinen Kopf und eine Taschenlampe durch das rückwärtige Fenster der Limousine an ihrer Seite schob und fragte: »Habt ihr Neger den Wagen irgendwo geklaut?«
Sie begann aufgeregt zu sprechen und versuchte dabei, ihrer Rolle als Reisebegleiterin von Knolls Kelsey Kettering III. gerecht zu werden, während sie gleichzeitig mit einer Hand auf den Fensterrahmen klopfte, um die Aufmerksamkeit des Polizisten auf den Hundertdollarschein zu lenken, den sie in den Fingern hielt. Aber der Mann achtete nicht darauf, sondern leuchtete weiter mit der Taschenlampe in ihre Gesichter.
Als der helle Lichtschein auf den alten KKK fiel, stellte Barbara erschrocken fest, daß das runzelige und eingefallene Gesicht des Alten tatsächlich einem Neger hätte gehören können. Und KKK lehnte wie bewußtlos in seinem Sitz — die Hitze war zuviel für ihn gewesen. Aber dann öffneten sich die blaßblauen Augen und eine schwache, aber arrogante Stimme sagte: »Hören Sie endlich auf, mir ins Gesicht zu leuchten, Sie Trottel!«
Der Polizist schien mit dieser Auskunft zufrieden zu sein denn er schaltete die Lampe aus. Barbara spürte, daß der Geldschein aus ihren Fingern gezogen wurde. Der Uniformierte zog den Kopf aus dem Fenster zurück und meinte gutgelaunt: »Okay, jetzt können Sie weiterfahren. Aber vorher erzählen Sie mir vielleicht noch, wovor Sie eigentlich fliehen? Die meisten sagen, daß sie Angst vor einer hohen Flut haben, aber dabei ist doch nicht einmal ein Hurrikan gemeldet. In einigen Wagen war die Rede davon, daß etwas von Kuba aus übers Meer kommt. Und alle laufen wie Hasen davon — das verstehe ich einfach nicht.«
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