»Tut mir leid, Jack«, sagte ich freundlich. »Ich wußte nicht, daß Sie etwas vorhatten. Viel Spaß.«
Er schnitt eine Grimasse und ging hinaus, mir kam es vor, als schwanke er auf seinen kurzen Beinen.
Ich nahm den Hörer ab und rief meine Sonderabteilung in der Industrie-Spionage an. »Heften Sie sich an Jack O’Sheas Fersen«, stieß ich hervor. »Er verläßt in Kürze das Gebäude. Verfolgen Sie ihn und jeden, mit dem er Kontakt aufnimmt. Tag und Nacht. Wenn etwas Positives dabei herauskommt, werden Sie und Ihre Leute befördert, und Sie erhalten einen Bonus. Aber Gott stehe Ihnen bei , wenn Sie versagen.«
Niemand wagte sich mehr in meine Nähe. Ich konnte nicht anders. Ich lebte nur noch für eines: für die täglichen Berichte über O’Shea. Alles andere langweilte und ärgerte mich.
Eines Abends war der Liste folgende Bemerkung hinzugefügt: Verbraucher, weiblich, um die dreißig, etwa einssechzig groß, Gewicht ca. 110 Pfund, rothaarig, Augenfarbe nicht erkannt, billig gekleidet. Besagte Person betrat Hash Heaven (Restaurant) um 18.37 Uhr, nachdem sie vierzehn Minuten draußen gewartet hatte, und ging sofort an den Tisch, den die neue Kontaktperson bediente, Tisch wurde unmittelbar vorher frei. Mutmaßung: Besagte Person zeigte sich in erster Linie an der Kellnerin interessiert.
Bestellte Haschee, aß sehr wenig, wechselte ein paar Worte mit der Kellnerin. Es könnten Papiere ausgetauscht worden sein, auf die große Entfernung hin nicht genau zu erkennen. Detektivin hat Kontakt aufgenommen.
Etwa dreißig, einssechzig, hundertzehn Pfund. Es könnte sein. Ich rief meine Spezialtruppe an und sagte: »Kümmern Sie sich um diese Person. Halten Sie mich unmittelbar auf dem laufenden. Wie war’s, wenn Sie sich das Restaurant einmal näher anschauten?«
Man erklärte mir bestürzt, daß man es selbstverständlich tun würde, wenn ich darauf bestünde, technisch jedoch sei es nicht ratsam. Gewöhnlich erführe die beschattete Person davon und…
»Gut«, sagte ich. »Erledigen Sie es auf Ihre Weise.«
»Einen Augenblick, Mr. Courtenay, bitte. Unsere Detektivin hat sich gerade gemeldet – die neue Kontaktperson ist ins Tauntongebäude zurückgegangen. Sie hat die Stufen 17-18 im fünfunddreißigsten Stock.«
»Für wen ist der fünfunddreißigste?« fragte ich mit schwerem Herzen.
»Für Ehepaare.«
»Ist sie…?«
»Sie ist allein, Mr. Courtenay. Unsere Detektivin tat so, als interessiere sie sich für den freien Platz. Man sagte ihr, Mrs. 17 halte 18 für die Ankunft ihres Mannes frei. Er hilft augenblicklich bei der Ernte.«
»Wann werden die Treppen bei Taunton geschlossen?« fragte ich.
»Um 22 Uhr, Mr. Courtenay.«
Ich blickte auf die Uhr. »Rufen Sie Ihren Detektiv zurück«, sagte ich. »Das war’s für heute.«
Ich stand auf und sagte zu meinen Leibwächtern: »Ich gehe ohne Sie aus, meine Herren. Bitte warten Sie hier. Leutnant, leihen Sie mir Ihre Pistole?«
»Natürlich, Mr. Courtenay«, sagte er und reichte mir eine 2561. Ich überprüfte das Magazin und ging allein zu Fuß aus dem Gebäude.
Als ich die Halle des Schocken-Hochhauses verließ, löste sich ein junger Mann von der Wand und folgte mir wie ein Schatten. Ich durchkreuzte seine Pläne, indem ich auf die leere Straße trat, ein dunkler Spalt zwischen den mächtigen Gebäuden der Innenstadt. Monoxyd und Smog hingen schwer in der Luft, aber ich trug Anti-Ruß-Stöpsel. Er nicht. Ich hörte ihn in beträchtlichem Abstand hinter mir keuchen. Ein einsames geschlossenes Taxi glitt an uns vorbei, der Fahrer schnaufte und keuchte, als er in die Pedale trat.
Ohne mich umzuschauen, bog ich um die Ecke des Schocken-Hochhauses und drückte mich gegen die Mauer. Mein Schatten trieb vorbei und blieb verblüfft stehen, schaute angestrengt in den Nebel.
Ich schlug ihm den langen Pistolenlauf in den Nacken – ein gezielter, gekonnter Schlag – und ging weiter. Vermutlich war er einer meiner eigenen Leute; aber ich wollte allein sein. Gegen 21.59 Uhr erreichte ich den Eingang für die Nachtbewohner des Taunton-Gebäudes. Hinter mir wurde die Tür durch das Zeitschloß verriegelt. Es gab einen kleinen Aufzug. Ich steckte eine Münze in den Schlitz, drückte auf 35 und las, während der Aufzug ächzend hinauffuhr.
»NACHTBEWOHNER SIND VERANTWORTLICH FÜR SICH SELBST. DAS MANAGEMENT HAFTET NICHT FÜR DIEBSTAHL, ÜBERFALL ODER RAUB!
DIE SPERRE WIRD UM 22.10 UHR GESCHLOSSEN! NATÜRLICHE BEDÜRFNISSE SIND ENTSPRECHEND EINZURICHTEN. DIE MIETE IST PRO NACHT IM VORAUS ZU ENTRICHTEN, ZAHLBAR AM AUTOMATEN.
DAS MANAGEMENT BEHÄLT SICH DAS RECHT VOR, STARRZELIUSKUNDEN DIE AUFNAHME ZU VERWEIGERN.«
Die Tür öffnete sich zum Treppensatz des fünfunddreißigsten Stockwerks. Die Treppe glich einem Käse voller Maden. Die Männer und Frauen wanden sich unbehaglich, versuchten eine bequeme Lage zu finden, bevor sich die Sperren schlössen. Ich blickte auf die Uhr, es war 22.08 Uhr. Ich stieg sehr vorsichtig und sehr langsam unter vielen Entschuldigungen im Dämmerlicht über die Glieder und Körper; ich zählte… Auf der siebzehnten Stufe stieg ich über eine zusammengekauerte Gestalt hinweg, als meine Uhr gerade auf 22.10 Uhr rückte.
Mit rostigem Klirren fielen die Sperren zu und schlossen die Stufen 17-18; in dem winzigen Käfig waren ich und…
Sie richtete sich auf; sie sah verängstigt und ärgerlich aus, in der Hand hielt sie eine kleine Pistole.
»Kathy«, sagte ich.
Sie senkte die Pistole. »Mitch. Du Narr.« Ihre Stimme klang leise und eindringlich. »Was tust du hier? Man hat dich noch nicht aufgegeben, sie wollen dich noch immer umbringen…«
»Das weiß ich«, sagte ich. »Ich bin trotzdem gekommen, Kathy. Ich lege meinen Kopf in den Rachen des Löwen, um dir zu beweisen, daß ich es ernst meine, wenn ich sage, daß du recht hattest und ich mich geirrt habe.«
»Wie hast du mich gefunden?« fragte sie mißtrauisch.
»O’Shea roch nach deinem Parfüm. Ménage à Deux.«
Sie schaute sich in dem überfüllten Quartier um und kicherte. »Stimmt, nicht wahr?«
»Ich habe mich abgekühlt, Kathy«, sagte ich. »Ich bin nicht hier, um dich anzufassen, mit oder ohne deine Zustimmung. Ich bin hier, um dir zu sagen, daß ich auf deiner Seite stehe. Nenn den Preis und ich zahle.«
Sie blickte mich aus schmalen Augenschlitzen an und fragte: »Die Venus?«
»Sie gehört dir.«
»Mitch«, sagte sie, »wenn du lügst…«
»Wenn wir hier lebendig herauskommen, wirst du es morgen wissen. Bis dahin läßt sich nichts weiter darüber sagen, nicht wahr? Heute nacht sitzen wir fest.«
»Ja«, sagte sie. »Heute nacht sitzen wir fest.« Dann fügte sie plötzlich leidenschaftlich hinzu: »Mein Gott, habe ich dich vermißt!«
Der Weckruf ertönte um sechs Uhr. Diese Unterschalltöne sprengten einem fast den Schädel; doch sie stellten immerhin sicher, daß kein Langschläfer die morgendliche Evakuierung behinderte.
Kathy begann geschwind, das Bettzeug unter die Stufe zu schieben. »In fünf Minuten werden die Sperren eingezogen«, sagte sie kurz. Sie öffnete die Schublade von Treppe siebzehn und holte eine flache Schachtel heraus, die sich als Schminkgarnitur entpuppte. »Stillhalten.«
Ich schrie auf, als sie mit einem Rasiermesser über meine rechte Augenbraue fuhr. »Stillhalten!« und schon hatte ich einen Verband über der linken Augenbraue. Geschwind betupfte sie hier und dort mein Gesicht mit geheimnisvollen Bürsten.
»Flopp!« sagte ich, als sie mir ein Kunststoffplättchen unter die Oberlippe schob. Zwei kleine Pflaster klebten meine abstehenden Ohren fest an den Kopf, dann sagte sie: »Da«, und hielt mir den Spiegel vors Gesicht.
»Gut«, sagte ich. »Es ist mir schon einmal gelungen, morgens mit der Menschenmenge hier herauszukommen. Vielleicht klappt es noch einmal.«
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