»Und«, sagte sie kaum hörbar, »Was hast du zu gewinnen?«
»Hör auf, Zeit herauszuschinden. Ruf Schocken an.«
»Nicht ohne es vorher noch einmal zu versuchen, Mitch. Besonders ein Wort hat mich getroffen – fanatisch. Aus zweierlei Gründen habe ich Runstead gebeten, dich zu entführen. Ich wollte verhindern, daß du Tauntons Mördern in die Hände fällst, und ich wollte, daß du erfährst, wie Verbraucher wirklich leben. Ich dachte, du würdest erkennen, wie verfahren die Situation ist. Wenn man oben in der Starklasse sitzt, merkt man davon kaum etwas. Unten kriegt man da mehr mit. Ich dachte, du würdest zur Vernunft kommen, und wir könnten gemeinsam für die einzig sinnvolle Sache arbeiten. Es hat nicht geklappt. Dein verdammter Verstand – so fähig und so verdorben. All deine Bemühungen zielen darauf hin, wieder in die Starklasse zu kommen, ein bißchen besser essen, trinken und schlafen zu können als die anderen. Schade, daß du nicht auch ein Fanatiker bist. Derselbe alte Mitch. Immerhin, ich habe es versucht. Mach so weiter, tu, was du für richtig hältst. Kümmere dich nicht darum, daß du mir weh tun könntest. Es kann nicht schlimmer werden als früher, wenn wir uns anschrien. Oder wenn ich für die Natschus zu tun hatte und es dir nicht sagen konnte und zusehen mußte, wie du eifersüchtig wurdest. Oder als ich dich in die Chlorellafabrik bringen ließ und versuchte, aus dir einen gesunden, vernünftigen Menschen zu machen, trotz all der Texterei. Oder daß ich dich niemals richtig lieben konnte, mich dir niemals ganz hingeben konnte, weder seelisch noch körperlich, weil dieses Geheimnis zwischen uns stand. Es hat mir weh getan. Ein Schlag mit einer Pistole ist nichts gegen den Schmerz, den ich ertragen habe.«
Es entstand eine Pause, die eine Ewigkeit zu dauern schien. »Ruf Schocken an«, sagte ich dann. »Sag ihm, er soll hierherkommen. Dann geh und nimm den Sterngucker mit. Ich – ich weiß nicht, was ich ihm sagen werde. Aber ich gebe dir und deinen Freunden ein paar Tage Galgenfrist. Damit ihr die Hauptquartiere verlegen, die Signale und all den übrigen Unsinn verändern könnt. Ruf Schocken an und mach, daß du fortkommst. Ich will dich nie wiedersehen.«
Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, als sie den Hörer abnahm und eine Nummer wählte.
»Die Sekretärin von Mr. Schocken bitte«, sagte sie. »Hier spricht Dr. Nevin – die Witwe von Mr. Courtenay. Ich stehe glaube ich, auf der Liste… vielen Dank. Die Sekretärin von Mr. Schocken bitte. Hier spricht Dr. Nevin, die Witwe von Mr. Courtenay. Kann ich bitte Mr. Schockens Sekretärin sprechen? Ich stehe auf der Liste… vielen Dank… Hallo, Miß Grice; hier ist Dr. Nevin. Kann ich bitte Mr. Schocken sprechen?… Gewiß… vielen Dank…« Sie wandte sich zu mir und sagte: »Ich muß warten.« Die Minuten vergingen schweigend, dann sagte sie: »Hallo, Mr. Schocken… Ja, vielen Dank. Könnten Sie vielleicht vorbeikommen, es geht um eine wichtige Angelegenheit… geschäftlich und persönlich… je eher desto besser, fürchte ich… Einkaufsstraße Eins, direkt an der Empfangshalle bei Dr. Astron… nein, nein. Das ist ein Ort, wo man sich sehr gut treffen kann. Vielen Dank, Mr. Schocken.«
Ich entwand ihr den Hörer und hörte wie Fowler Schockens Stimme sagte: »Schon gut, meine Liebe. Das ist ja sehr geheimnisvoll und spannend. Auf Wiedersehen.« Klick. Ich hätte ihr durchaus zugetraut, eine einseitige Unterhaltung vorzutäuschen. Die Stimme war jedoch unverkennbar. Sie weckte Erinnerungen an morgendliche Konferenzen mit den brillanten dialektischen Einlagen, an harte, befriedigende Arbeitsstunden, deren Höhepunkte ein ›Ausgezeichnet‹ war und an ausgeklügelte Manöver und Taktiken. Heimweh überwältigte mich. Ich war fast wieder daheim.
Schweigend nahm Kathy den schlaffen Körper des Sternguckers auf die Schulter. Ohne ein Wort verließ sie das Observatorium. Eine Tür wurde geöffnet und fiel dann ins Schloß.
Zum Teufel mit ihr…
Minuten vergingen, dann erklang die fröhliche Stimme von Fowler Schocken: »Kathy! Ist jemand da?«
»Herein«, rief ich.
Zwei unserer Leute von Brink und Fowler Schocken traten ein. Sein Gesicht lief purpurrot an. »Wo ist…« begann er. Und dann: »Sie sehen aus wie… Sie sind es! Mitch.« Er packte mich und tanzte mit mir ausgelassen durch den runden Raum, während die Wachtposten mit offenem Munde dastanden. »Warum haben Sie einem alten Mann einen so schmutzigen Streich gespielt? Was ist passiert, Junge? Wo ist Kathy?« Er hielt inne und schnaufte vor Anstrengung.
»Ich habe ein bißchen im Untergrund gearbeitet«, sagte ich, »und fürchte ich bin dabei in Schwierigkeiten geraten. Würden Sie bitte noch mehr Wachtposten rufen? Es könnte sein, daß es zu einem Zusammenstoß kommt mit Burns’ Leuten.« Bei dieser Vorstellung ging ein glückliches Grinsen über die Gesichter unserer Brinkleute, die stolz auf ihre Arbeit waren.
»Gewiß Mitch. Erledigen Sie das«, sagte er zu dem Sergeanten. »Nun erzählen Sie, was los ist.«
»Im Augenblick«, erwiderte ich, »möchte ich nichts weiter sagen, als daß ich mich an die Außenarbeit gewagt habe, und daß die Sache schiefgegangen ist. Sagen wir, ich habe mich vorübergehend freiwillig degradiert, um zu erfahren, wie die Verbraucher zum Venusprojekt stehen – das ging ins Auge. Fowler, bitte, ersparen Sie mir weitere Einzelheiten. Es geht mir nicht gut. Ich bin hungrig, müde, besorgt und schmutzig.«
»Gut, Mitch. Sie kennen meine Politik. Wenn man ein gutes Pferd hat, soll man ihm die Zügel schießen lassen und es bis zur äußersten Grenze unterstützen. Sie haben mich nie enttäuscht – und bei Gott, ich bin froh, daß Sie wieder da sind. Die Venussektion braucht Sie. Alles geht schief. Die Tabellen für Nordamerika liegen bei 3.77, anstatt bei 4.0 oder darüber. Und die Leute? Gott! Die Arbeitskräfte wechseln ständig! Ich bin hier, um ein paar Nachforschungen anzustellen: Ein kleiner Überfall auf die Luna City Inc. Mondminen und die übrigen Läden. Ich versuchte, einige Leute zu bekommen, die an den Weltraum gewöhnt sind.«
Es war gut, wieder daheim zu sein. »Wer leitet das Projekt?« fragte ich.
»Ich. Wir haben ein paar Direktoren ausgewechselt, konnten aber beim besten Willen keinen geeigneten Mann finden, dem wir die Leitung hätten anvertrauen können. Trotz meiner anderen Aufgaben mußte ich die Venussektion selbst übernehmen. Bin ich froh, daß Sie wieder da sind!«
»Runstead?«
»Er ist mein Stellvertreter, der arme Mann. Warum sind Sie eigentlich in Schwierigkeiten mit den Wachtposten geraten? Wo ist Kathy?«
»Später bitte… Ich werde auf der Erde gesucht wegen Mordes und Handelsverbrechen. Hier oben bin ich ein verdächtiges Subjekt ohne Passierschein und Aufenthaltsgenehmigung. Außerdem habe ich mich der Festnahme widersetzt, einen Wachtposten niedergeschlagen und Eigentum von Luna City beschädigt.«
Er sah ernst aus. »Sie wissen ja, daß ich bei Handelsverbrechen keinen Spaß verstehe. Ich denke, der Kontrakt wies Mängel auf?«
»Verschiedene«, versicherte ich ihm.
Er strahlte wieder. »Dann zahlen wir die Geldstrafe und gehen wegen des Handelsverbrechens vor die Handelskammer, wenn’s sein muß. Welche Firma?«
»Chlorella Costa Rica.«
»Hm. Mittlere Größe, aber solide. Ausgezeichnete Leute allesamt. Ein Vergnügen, mit ihnen Geschäfte zu machen. Ich bin sicher, daß die vernünftig sind. Und wenn nicht – ich habe ohnehin die Mehrheit der Handelskammer in der Tasche. Ich muß doch schließlich etwas für meine Gefolgsleute tun, was?«
Er versetzte mir einen freundschaftlichen Stoß in die Rippen. Seine Erleichterung darüber, daß er die Venussektion vom Halse hatte, war überwältigend.
Ein Dutzend Brinkleute schwärmten in den Raum. »Das sollte genügen«, strahlte Fowler Schocken. »Leutnant, die Leute von Burns, Luna City Inc. könnten versuchen, Mr. Courtenay zu verhaften. Das wollen wir doch nicht, oder?«
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