»Was soll ich sonst noch dazu sagen, Igor? Du bist ein Genie.« Das geistesabwesende Furzen von Roses, der draußen auf dem Balkon der Dorfkapelle zuhörte, wurde im Labor nicht bemerkt. »Dies ist ein Tag, von dem ich schon seit langem träumte. Ja, um den ich gebetet habe. Du hättest mir Bescheid sagen sollen, Igor!«
Professor Krawschensky verharrte in weisem Schweigen. Seine persönliche Würde – und die Gegenwart von Liza Simmons, die die Wahrheit kannte – machte jede Verstellung unmöglich. Eine technische Erläuterung half vielleicht, auf jede Eventualität vorzubereiten.
»Der Hund soll ungefähr drei Minuten im Zustand der Harmonie mit dem Zeitfluß bleiben«, sagte er und lehnte sich vorsichtig gegen den Computer. »Doch das läßt sich nicht exakt kontrollieren. Sobald man sich im Zustand der chronomischen Einheit befindet, gibt es kein Altern mehr. Selbstverständlich haben die Chronoküle keine abnützende Wirkung. Somit finden auch keine chemischen Veränderungen statt, denn sie sind die Folge eines chronokularen Drucks. Die einzig mögliche Zeitkontrolle geschieht auf elektro-chronomische Weise. Denn ich habe interessanterweise festgestellt, daß die Elektrizität sowohl innerhalb wie auch außerhalb des Chronos existiert. Sie ist zwar nicht die zuverlässigste Kraft, leider, aber wir tun, was wir können …«
Liza sah, daß der Gründer sich über sein Unvermögen, die Erläuterungen zu verstehen, ärgerte, und sagte rasch: »Was der Professor damit sagen will, ist, daß der Hund ein bißchen früher oder ein bißchen später, als vorausgesagt, in diese Dimension zurückkehren kann. Es ist sehr schwer, den Wiedereintritt exakt zu bestimmen.«
Sie hielt es nicht für notwendig, zu erwähnen, daß eine Reihe von Artefakten vollkommen verschwunden waren. Oder das andere wieder stark verändert aufgetaucht waren … Roses Varco spähte durch die offene Tür.
»Sie … Sie, was haben Sie mit dem kleinen, gescheckten Hund gemacht?«
Die beiden Männer ignorierten Roses. Er gehörte zum Hintergrund, zur Kulisse. Liza meinte, daß Roses eine Antwort verdiente.
»Er wird in ein paar Minuten wieder hier sein, Roses. Du mußt dir deswegen keine Sorgen machen.«
»Was ich wissen will – was habt ihr mit ihm gemacht?«
»Was«, sagte der Gründer, das Kommando mit einer Schärfe übernehmend, die bei Roses vollkommen verschwendet war, »was haben Sie hier zu suchen?«
»Suchen?«
»Haben Sie irgendeinen Job in diesem Labor übernommen?«
»Ich? Ich habe keinen Job.«
»Aha.«
Unbeeindruckt, obwohl ein größerer oder geringerer Mann als er vor Ehrfurcht erstarrt wäre, rückte Roses noch ein paar Schritte vor. »Alles, was ich wissen will, ist, was Sie mit dem kleinen gesprenkelten Hund angefangen haben!«
David Silberstein erschien jetzt auf dem Balkon, eine Explosion im richtigen Moment verhindernd. Er trat lächelnd in das Labor in Erwartung eines kleinen, todsicheren Experimentes mit Blei. Unten auf dem Dorfrasen stimmte die Kapelle gerade den Blumentanz an:
Trompete, Posaune, Trommel, bum-bum
Waldhorn und Harmonium …
»Wie steht es hier bei Ihnen?« fragte David Silberstein den Professor.
»Gut«, sagte Manny Littlejohn, »sehr gut. Sie sind so schrecklich britisch, P. L. Sie haben mich überhaupt nicht darauf vorbereitet, daß mich hier ein Wunder erwartet.«
David lächelte geschmeichelt. Er sah zwar keinen Anlaß für so überschwengliche Worte; aber ihm konnte es recht sein. Wenn der Gründer lächelte, lächelte die ganze Welt.
»Ich bin froh, daß Sie so zufrieden sind, Gründer. Vielleicht sind wir hier im Dorf ein bißchen verwöhnt von den Errungenschaften des Professors. Schließlich steckt eine enorme Arbeit in diesem Projekt, selbst wenn ein strukturell so einfacher Gegenstand wie …«
Diesmal rettete Roses’ Hartnäckigkeit den Projektleiter vor einer Panne.
»Was ich wissen will«, forderte er, »ist, was ihr mit dem kleinen gescheckten Hund gemacht habt!«
Und genau in diesem Moment, als sich häufende Mißverständnisse, Ärger und Spannungen sich wie ein Gewitter über dem Kopf eines Anwesenden zu entladen drohten, bekam Roses seine Antwort.
Mit lautem Knall und heftigem Luftdruck, fast eine Minute früher, als die Computeruhr die Rückkehr des Hundes ankündigte (und eine Dreiviertelstunde nach der Abfahrt des letzten Zuges von Melbourne nach Mumblejug) war die Bühne wieder besetzt.
Der Lärm der Explosion verhallte rasch in dem schalldichten Raum. Man rückte näher an die Bühne heran, fasziniert, noch nicht bereit zu glauben, was man sah, noch unentschlossen, ob es etwas Schreckliches war oder nicht. Ein zweiter Blick genügte, um jeden (nur vielleicht Roses noch nicht) zu überzeugen. Entsetzlich.
»Was ist das?« krächzte David Silberstein.
Das war eine verständliche Frage. Auf der Startbühne stand ein kleines hölzernes Gestell, wie man es gebraucht, um Tiere für Experimentierzwecke festzubinden. Zwischen den Beinen des Gestells, offenbar aus den Riemen herausgerutscht, die es festhalten sollten, lag ein sonderbar geflecktes Fell. Es ähnelte irgendwie einem Bettvorleger mit vier plattgewalzten Beinen. Seltsam bisher, aber nicht schrecklich. Es wurde erst zu einem Alptraum, wenn man die Augen in dem Bettvorleger sah und begriff, daß der Bettvorleger lebte.
»Jammerschade«, sagte Professor Krawschensky, »die Knochenstruktur scheint den Wiedereintritt nicht überlebt zu haben. Die Probleme sind so komplex, wissen Sie …«
Dann gingen ihm die Worte aus. Wenn man seine Phantasie anstrengte, war dieser Bettvorleger wiederzuerkennen. Selbstverständlich würden bei einem Hundekopf, dem die Schädelknochen fehlten, die Trommelfelle nach außen gedrückt, da das freischwebende Gehirn darauf lastete. Erklärlich war auch das wirre Durcheinander der Zähne im knochenlosen Kiefer. Und die braune Lache unter dem Vorleger, die immer größer wurde, weil Eingeweide und Blase ihren Inhalt nicht halten konnten. Auch die absolute Reglosigkeit war verständlich, trotz des Lebens, das noch in den Augen war – ohne Knochen als Stütze war auch die kleinste Muskelkontraktion eine schreckliche Qual …
Trompete, Posaune, Trommel, bum-bum
Waldhorn und Harmonium …
Liza trat zur Seite, obwohl sie wußte, was hier getan werden mußte – sofort, bitte, bitte, sofort –, und es doch nicht fertigbrachte. David Silberstein rückte noch näher heran, als wäre er Zeuge bei einem Autounfall, aber entlastet durch das noch nachwirkende Mißverständnis (hatte wirklich jemand vor ein paar Sekunden noch von einem Hund gesprochen?). Professor Krawschensky nahm seinen Bleistift aus dem Kittel, beugte sich vor und tippte vorsichtig auf das Fell, um sich zu überzeugen – ganz beseelt von der Neugier des Wissenschaftlers –, daß wirklich kein Knochen darinsteckte. Und Manny Littlejohn, der sich vielleicht in diesem Moment vorstellte, daß er eines Tages auch so aussehen würde – wendete den Kopf ab und erbrach sich leise in sein Taschentuch. Er war ein alter Mann und sollte von solchen Bildern verschont werden.
Es war vorauszusehen, daß Roses Varco dieses »lebende Bild« zerstören würde. Endlich diesen Bettvorleger mit dem gescheckten Hund in Zusammenhang bringend, den er in das Labor gebracht hatte, trat er vor, drängte die anderen mit den Ellenbogen zur Seite und hob das klägliche Fellgebilde hoch, ehe ihn jemand daran hindern konnte. Es schrie gellend und starb. Ohne Brustkorb sprengte die Muskelanstrengung, die zu diesem Schrei nötig war, die Lungen und das Herz. Roses hatte den Hund nicht gekannt und bevorzugte von Natur aus Katzen. Trotzdem weinte er – obwohl die Dorfkapelle gerade seine Lieblingsmelodie spielte –, mit Exkrementen an den Händen und einem unbestimmten Haß in seinem Herzen.
Manny Littlejohn konnte Leid besser tragen als Roses. Er zog sich in eine Ecke des Labors zurück und setzte sich über seinen Armbandsender mit seinem Salonzug in Verbindung. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß seine Trabanten dort ihre bezahlte Arbeit verrichteten, verließ er wortlos das Labor und setzte seine Besichtigungstour fort. David Silberstein begleitete ihn, wie seine Pflicht es verlangte.
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