„Ich habe das Gefühl, in dieser Angelegenheit halten sie sich nicht unbedingt sehr genau an die Dienstvorschriften, habe ich recht?“
„Agenten in Ausübung ihrer Pflicht haben einen außerordentlich großen Freiraum. Den müssen sie haben.“
Ich zündete mir seufzend eine Zigarette an.
„Wie alt ist die Organisation, für die Sie arbeiten?“ fragte ich. Als ich sein Zögern bemerkte, fügte ich noch hinzu: „Sicherlich richtet es keinerlei Schaden an, wenn Sie es mir erzählen.“
„Vermutlich nicht. Einige tausend Jahre – nach Ihren Zeitmaßstäben.“
„Ich verstehe. Mit anderen Worten, es handelt sich um eine der größten und ältesten Bürokratien überhaupt.“
„Ich sehe in Ihrem Verstand, worauf Sie hinauswollen, aber …“
„Lassen Sie es mich trotzdem in Worte fassen. Als Student der Wirtschaftswissenschaften weiß ich, für eine solche Organisation gibt es Evolutionsregeln wie für jeden lebenden Organismus auch. Je länger sie existiert, desto mehr Auswüchse entwickelt sie, die ihre eigene Arbeit und Funktion hemmen. Sie erreicht die Entropie in einem Zustand des totalen Narzißmus. Nur noch die weit entfernten Leute können funktionell arbeiten – und auch das nur, indem sie bei jedem einzelnen ihrer Schritte ein Dutzend Regeln übertreten.“
„Ich gebe zu, dieser Blickwinkel entbehrt nicht eines Körnchens Wahrheit, aber in unserem Fall …“
„Ihre Vorgehensweise verletzt einige Regeln. Ich weiß das. Und ich muß kein Telepath sein, um zu wissen, daß Sie eben deswegen nicht besonders glücklich sind. Oder stimmt das etwa nicht?“
„Ich bin nicht befugt, über Politik oder interne Operationsprozeduren Auskunft zu geben.“
„Natürlich“, sagte ich. „Aber das mußte gesagt werden. Und nun erzählen Sie mir von dieser Analyse. Wie gehen Sie dabei vor?“
„Sie ist vergleichbar mit dem einfachen Wortassoziationstest, mit dem Sie ja vertraut sind. Der einzige Unterschied ist, ich werde es von innen her tun. Ich werde Ihre Reaktionen nicht erraten müssen. Ich werde sie genau wissen.“
„Wie ich dem entnehmen kann, sind Sie außerstande, direkt in mein Unterbewußtsein zu blicken.“
„Das ist richtig. Das kann ich nicht. Ich kann nur Ihre oberflächlichen Gedanken lesen. Wenn ich auf diese Weise etwas Interessantes erfahre, dann kann ich diesem Gedanken aber bis an seine Wurzeln folgen.“
„Ich verstehe. Dann gehört dazu also auch eine beträchtliche Kooperationsbereitschaft von meiner Seite, ohne die sie wenig ausrichten können.“
„O ja. Nur ein außerordentlich erfahrener Profi könnte gegen Ihren Willen eindringen.“
„Gott sei Dank sind keine verfügbar, ein Glück für mich.“
„Ich wünschte, wir hätten welche. Ich bin sicher, die Prozedur wird mir keinen sonderlichen Spaß machen.“
Ich trank meinen Kaffee leer und schenkte mir noch eine Tasse ein.
„Was halten Sie davon, wenn wir heute nachmittag beginnen?“ fragte Sibla.
„Warum nicht gleich?“
„Ich würde lieber warten, bis Ihr Nervensystem wieder seinen Normalzustand erreicht hat. Die Alkoholika, die Sie konsumiert haben, bewirken noch immer beträchtliche Nebeneffekte. Diese machen das Gedankenlesen schwieriger.“
„Ist das immer so?“
„Im Prinzip, ja.“
„Interessant.“
Ich nippte an meinem Kaffee.
„Jetzt machen Sie es ja schon wieder!“
„Was?“
„Diese Zahlen. Nur Zahlen!“
„Tut mir leid. Es ist schwer, nicht an sie zu denken.“
„Das ist nicht der Grund.“
Ich stand auf. Ich streckte mich.
„Entschuldigen Sie mich bitte. Ich muß noch einmal das Badezimmer benutzen.“
Sibla sprang auf, um mir den Weg zu verstellen, aber ich war schneller.
„Sie denken doch nicht daran, sich aus dem Staub zu machen? Sind das die Gedanken, die Sie vor mir verbergen?“
„Ich habe nichts dergleichen gesagt.“
„Das ist auch nicht nötig. Ich kann es fühlen. Sie machen einen Fehler, wenn Sie das tun.“
Ich ging zur Tür. Sibla beeilte sich, mir zu folgen.
„Ich werde Ihnen nicht erlauben zu gehen – nicht nach all den Erniedrigungen, die ich in diesem miesen Körper Ihretwegen habe hinnehmen müssen.“
„Das ist keine Art, mit jemandem zu reden“, sagte ich. „Schon gar nicht, wenn man von dem Betreffenden etwas will.“
Ich rannte den Korridor entlang ins Klo hinein. Sibla kam hinterhergeklappert.
„ Wir tun Ihnen einen Gefallen! Sie sind nur zu dumm, um das zu erkennen!“
„,Uninformiert’ wäre wohl das bessere Wort – und das ist einzig und allein Ihre Schuld!“
Ich schlug die Tür zu und verriegelte sie.
„Warten Sie! Hören Sie zu! Wenn Sie jetzt gehen, dann können Sie in ernsthafte Schwierigkeiten kommen!“
Ich lachte. „Tut mir leid. Sie tragen ein wenig zu dick auf!“
„Dann gehen Sie eben, Sie ungebildeter Affe! Werfen Sie Ihre Chance auf Zivilisation weg!“
„Wovon sprechen Sie?“
Stille.
Dann: „Nichts. Tut mir leid. Aber Sie müssen wissen, es ist sehr wichtig.“
„Das wußte ich bereits. Was ich noch wissen möchte ist, warum?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Dann gehen Sie zum Teufel“, sagte ich.
„Ich wußte, es würde den Aufwand nicht wert sein“, sagte Sibla. „Nach allem, was ich gesehen habe, ist Ihre Rasse lediglich ein Haufen von Barbaren und Degenerierten.“
Ich wandte mich dem Fenster zu, öffnete es weit. Dann schwang ich mich auf den Sims, wo ich einen Moment verharrte, um die Entfernung zu schätzen.
„Immer noch besser als ein Haufen Klugscheißer“, sagte ich, dann sprang ich.
Dennis Wexroth sagte kein einziges verdammtes Wort. Hätte er es getan, ich hätte ihn wahrscheinlich auf der Stelle erschlagen. Er stand da, die Handflächen gegen die Wand gepreßt, eine zunehmende Röte verunstaltete seine rechte Augenhöhle, wahrscheinlich würde binnen kurzem ein ansehnliches Veilchen daraus werden. Der Hörer seines Telefons lag im Papierkorb, dort hatte ich ihn hingeschleudert.
In meinen Händen hielt ich ein prächtig aussehendes Pergament, das besagte, daß ybissaC mahgninnuC kcirederF sich den Grad eines eigoloporhtnA red drotkoD erworben hatte.
Ich kämpfte um meine Selbstbeherrschung, legte das Dokument auf den Schreibtisch zurück und dämmte den Strom meiner Verwünschungen ein.
„Wie?“ fragte ich. „Wie um alles in der Welt konnten Sie das nur bewerkstelligen? Das … das ist illegal!“
„Es ist, im Gegenteil, vollkommen legal“, sagte er. „Glauben Sie mir, es wurde unter notarieller Aufsicht angefertigt.“
„Nun, warten wir ab, was die Gerichte zu dieser Sache meinen“, sagte ich. „Ich hätte niemals zu einer Graduierung zugelassen werden können, ich habe weder eine Dissertation vorgelegt, noch habe ich mich irgendwelchen mündlichen Prüfungen unterzogen, geschweige denn meine Graduierungsunterlagen eingereicht. Und nun sagen Sie mir einmal, wie Sie mich rechtens zum Doktor machen wollen. Das würde mich wirklich sehr interessieren.“
„Zuerst einmal sind Sie hier eingeschrieben“, sagte er. „Das macht Sie würdig, hier graduieren zu dürfen.“
„Würdig, ja – berechtigt, nein. Das ist ein großer Unterschied.“
„Das stimmt, aber die Voraussetzungen für eine Graduierung werden von der Universitätsleitung erstellt.“
„Was haben Sie getan? Sich mit ihnen zu einer speziellen Audienz verabredet?“
„Natürlich gab es eine außerordentliche Konferenz. Dort wurde unter anderem das Postulat aufgestellt, daß die Einschreibung zum Vollzeitstudenten nur mit dem Ziel erfolgen kann, als Abschluß zu graduieren. Konsequenterweise, wenn alle anderen Faktoren zutreffend sind …“
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