»Gelackter Schnösel, labernder!«
»Vergiß es, alle Opfer reden so.«
»Glaubt wohl, er wär was Besseres als wir, mit seinem eingebildeten Juristengequatsche!«
»Werden ja sehen, wie er mit einem Stück Stahl im Leib redet!«
Hull lächelte kalt. »Ausgezeichnet. Ich glaube, die Situation ist geklärt. Wenn Sie mir nun bitte verraten würden, welche Waffen Sie verwenden.«
Einer nach dem anderen antworteten die Jäger:
»Streitkolben.«
»Netz und Dreizack.«
»Speer.«
»Siebenstern.«
»Bola.«
»Krummsäbel.«
»Gewehr mit Bajonett«, sagte Blaine, als er an der Reihe war.
»Breitschwert.«
»Streitaxt.«
»Säbel.«
»Danke, Gentleman«, sagte Hull. »Ich werde natürlich mit einem Rapier bewaffnet sein, ohne Rüstung. Wir treffen uns am Sonntag zum Morgengrauen auf meinem Grundstück. Der Butler wird Ihnen allen einen Zettel geben, auf dem genaue Anweisungen sind, wie Sie dort hinfinden. Lassen Sie den Bajonettmann hierbleiben. Dem Rest von Ihnen wünsche ich noch einen guten Morgen.«
Die Jäger gingen hinaus. Hull sagte: »Der Bajonettkampf ist eine ungewöhnliche Kunst. Wo haben Sie das gelernt?«
Blaine zögerte, dann sagte er: »In der Armee, von 1943 bis 1945.«
»Sie stammen aus der Vergangenheit?«
Blaine nickte.
»Interessant«, sagte Hull ohne besonderes Interesse zu zeigen. »Dann ist das wohl Ihre erste Jagd, wie?«
»Das ist sie.«
»Sie scheinen einigermaßen intelligent zu sein. Ich nehme an, daß Sie Ihre Gründe dafür haben, solch eine gefährliche und schlecht angesehene Tätigkeit zu wählen?«
»Ich bin knapp bei Kasse«, sagte Blaine, »und ich kann nichts anderes finden.«
»Natürlich«, sagte Hull, als hätte er es die ganze Zeit schon gewußt. »Also haben Sie sich der Jagd zugewandt. Und doch ist die Jagd nichts, dem man sich so einfach zuwendet; und die Bestie Mensch zu jagen ist nichts für jeden. Dieser Beruf erfordert gewisse Fähigkeiten, von denen nicht die unwichtigste die ist, töten zu können. Glauben Sie, daß Sie diese latente Fähigkeit haben?«
»Ich glaube schon«, sagte Blaine, obwohl er sich mit dieser Frage bisher noch nicht beschäftigt hatte.
»Ich weiß nicht«, sagte Hull nachdenklich. »Trotz Ihres kämpferischen Aussehens scheinen Sie mir nicht der Typ zu sein. Was, wenn Sie feststellen sollten, daß Sie nicht dazu in der Lage sind, mich zu töten? Was, wenn Sie im entscheidenden Augenblick, da Stahl auf Stahl trifft, zögern sollten?«
»Ich werd’s riskieren«, sagte Blaine.
Hull nickte freundlich. »Ich auch. Vielleicht glimmt, tief in Ihnen verborgen, der Funken des Mordes. Vielleicht auch nicht. Dieser Zweifel wird das Spiel noch aufregender machen – obwohl Sie vielleicht dann nicht mehr die Zeit dazu haben werden, es zu genießen.«
»Das ist mein Problem«, sagte Blaine und fühlte eine starke Abneigung gegen seinen eleganten und sprachgewandten Arbeitgeber in sich aufwallen. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Betrachten Sie mich als zu Ihren Diensten stehend.«
»Danke. Warum wollen Sie sterben?«
Hull starrte ihn an, dann brach er in Gelächter aus. »Jetzt weiß ich, daß Sie aus der Vergangenheit sind! Was für eine Frage!«
»Können Sie sie beantworten?«
»Natürlich«, sagte Hull. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und seine Augen nahmen den Ausdruck eines Mannes an, der eine Rede formuliert.
»Ich bin dreiundvierzig Jahre alt und der Tage und Nächte müde. Ich bin ein Mann von Reichtum und habe keinerlei Verpflichtungen. Ich habe experimentiert, intrigiert, gelacht, geweint, geliebt, gehaßt, gevöllt, getrunken – zur Genüge. Ich habe alles probiert, was mir die Erde bieten kann, und ich ziehe es vor, diese Erfahrung nicht geistlos immer wieder zu wiederholen. Als ich noch jung war, da stellte ich mir diesen wunderbaren grünen Planeten, der auf so geheimnisvolle Weise um seinen flammenden gelben Lichtspender kreist, als eine Schatztruhe vor, als eine Messingkiste von unermeßlichem Inhalt, voller Freuden, deren Auswirkungen auf meine immer eifrigen Wünsche nicht auszuloten waren. Aber nun habe ich leider länger gelebt, bin älter geworden und habe das Ende der Reize erlebt. Und nun sehe ich, mit welch spießbürgerlicher Selbstzufriedenheit unsere fette runde Erde sich dreht, in sicherem Abstand und in fester Bahn um ihren schimmernden, gefürchteten Stern herum. Und die angebliche Schatztruhe der Erde erweist sich nun als eine gemalte Spielzeugkiste für Kinder, mit wertlosem Inhalt und mittelmäßigen Auswirkungen auf Nerven, die viel zu schnell für alle Reize taub werden.«
Hull blickte Blaine an, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten, dann fuhr er fort.
»Vor mir erstreckt sich nun die Langeweile wie eine riesige, unfruchtbare Ebene – und ich ziehe es vor, mich nicht zu langweilen. Ich ziehe es statt dessen vor, weiterzugehen, vorwärtszugehen, hinauszugehen; das letzte große Abenteuer der Erde zu kosten – das Abenteuer des Todes, des Tors zum Jenseits. Verstehen Sie das?«
»Natürlich«, sagte Blaine, der von Hulls theatralischem Benehmen irritiert, aber auch beeindruckt war. »Aber warum die Eile? Das Leben könnte doch immer noch ein paar schöne Sachen für Sie in petto haben. Der Tod ist doch sowieso unvermeidlich. Warum ihn dann beschleunigen?«
»Wie ein echter Optimist des zwanzigsten Jahrhunderts gesprochen«, sagte Hull lachend. »›Das Leben ist wirklich, das Leben ist ernst …‹ In Ihrer Zeit mußte man doch einfach daran glauben, daß das Leben wirklich und ernst sei. Was gab es denn für Alternativen? Wie viele von Ihnen haben denn wirklich an ein Leben nach dem Tode geglaubt?«
»Das ändert nichts am Wert meines Standpunkts«, sagte Blaine und haßte die verhaltene, vorsichtige, rationale Position, in die er gedrängt wurde.
»Aber ja doch! Die Perspektiven des Lebens und des Todes haben sich jetzt geändert. Anstatt Longfellows weitschweifigem Rat zu folgen, halten wir uns nun an Nietzsches Diktum – zur rechten Zeit zu sterben! Intelligente Menschen klammern sich nicht an die letzten Reste des Lebens wie Ertrinkende an ein Stück Holz. Sie wissen, daß das Leben des Körpers nur ein unendlich winziger Teil der Gesamtexistenz des Menschen ist. Warum sollten sie da nicht den Abgang des Körpers um ein paar Jahre beschleunigen, wenn ihnen danach ist? Warum sollten diese klugen Schüler nicht die eine oder andere Klasse überspringen? Nur die Verängstigten, die Dummen, die Ungebildeten klammern sich an jede nur mögliche monotone Sekunde auf Erden.«
»Die Verängstigten, Dummen und Ungebildeten«, wiederholte Blaine. »Und die Unglücklichen, die sich keine Jenseitsversicherung leisten können.«
»Reichtum und Klasse haben eben ihre Privilegien«, sagte Hull mit mattem Lächeln. »Ebenso wie ihre Verpflichtungen. Eine dieser Verpflichtungen besteht darin, zur rechten Zeit zu sterben bevor man anfängt, seine Zeitgenossen zu langweilen und sich selbst abscheulich zu werden. Aber der Akt des Sterbens transzendiert Klasse und Herkunft. Er ist der Adelsbrief eines jeden Menschen, sein Königsruf, sein ritterliches Abenteuer, die größte Tat seines Lebens. Und wie er sich bei diesem einsamen und gefährlichen Unternehmen hält, das ist sein wahrer Wertmaßstab als Mensch.«
Hulls blaue Augen glitzerten intensiv. Er sagte: »Ich wünsche nicht, dieses wichtige Ereignis im Bett zu erleben. Ich wünsche keinen langweiligen, zahmen, alltäglichen Tod, der mich als Schlaf verkleidet überfällt. Ich wünsche – kämpfend zu sterben.«
Blaine nickte und bedauerte seinen eigenen prosaischen Tod. Ein Autounfall! Wie langweilig, zahm und alltäglich! Und wie seltsam, dunkel, atavistisch und edel wirkte Hulls herrscherliche Todeswahl dagegen! Anmaßend natürlich; aber schließlich war das Leben selbst ja auch nichts als eine Anmaßung in dem riesigen Universum unbelebter Materie. Hull war wie ein alter japanischer Edelmann, der sich ruhig hinkniete, um die Zeremonie des Hara-Kiri durchzuführen und die Wichtigkeit des Lebens sogar in der Wahl seines Todes zu betonen wußte. Aber Hara-Kiri war ein passives östliches Ritual, während Hulls Form des Sterbens ein westlicher Tod war, wild, gewalttätig, ekstatisch.
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