Und dann tat sich die andere Seite seines Kopfes auf und sprach zu ihm, ganz ruhig, wie ein zweites Ich, das ihm eine Botschaft übermitteln wollte, wie man die ganze Sache viel einfacher handhaben konnte.
»Der richtige Weg, um die Geschichte mit dem Schlosser-Scheck ganz cool über die Bühne zu bringen«, sagte es ihm, »ist, zuerst einmal morgen in aller Herrgottsfrühe nach Harbor ‘rüberzufahren, die Rechnung zu begleichen und den Scheck zurückzukriegen. Tu das zuerst, bevor du irgendwas anderes tust. Erledige das auf der Stelle. Setz an diesem Ende an. Und danach, sobald das erledigt ist, nimm die anderen, ernsteren Probleme in Angriff. Richtig?« Richtig, dachte er. Auf diese Weise werde ich Boden gutmachen. Genau da muß ich ansetzen.
Er schaltete das Band auf Schnellvorlauf und ließ es so lange vorwärtsschießen, bis er aufgrund der Daten auf den Skalen vermuten konnte, daß es jetzt eine Nachtszene zeigen würde. Alle würden schlafen. Ein guter Vorwand, hier seinen Arbeitstag zu beschließen.
Alle Lichter im Haus waren gelöscht; die Kameras standen auf Infrarot. Luckman und Barris lagen in ihren Zimmern in den Betten. In Arctors Raum war außer Arctor noch eine Puppe; beide schliefen.
Wollen wir doch mal schauen, dachte Fred. Connie Irgendwas. Gespeichert in unseren Computern als abhängig von harten Drogen. Außerdem verdient sie sich das Geld für ihren Stoff durch Prostitution und dealt auch selbst. Ein geborener Verlierer.
»Wenigstens hast du nicht zusehen müssen, wie dein Objekt Geschlechtsverkehr hatte«, sagte einer der anderen Jedermann-Anzüge, der über Freds Schulter einen kurzen Blick auf die Schinne warf und dann weiterging.
»Immerhin ein Trost«, sagte Fred und betrachtete mit stoischer Ruhe die beiden schlafenden Gestalten auf dem Bett; in Gedanken war er bei dem Schlosser und dem, was er dort tun mußte. »Ich habe es schon immer gehaßt, bei –«
»Eine hübsche Sache, wenn man es selber macht«, pflichtete ihm der Jedermann-Anzug bei, »aber längst nicht so hübsch anzuschauen.«
Arctor schläft jetzt, dachte Fred. Mit seiner Fotze. Tja, dann kann ich wohl bald Schluß machen; bestimmt werden sie nach dem Wachwerden noch mal bumsen, aber mehr wird sich da wohl nicht tun.
Er konnte seine Blicke jedoch nicht abwenden. Der schlafende Bob Arctor … immer nur dieses eine Bild, dachte Fred, Stunde um Stunde. Und dann bemerkte er etwas, was er vorher nicht wahrgenommen hatte. Das sieht aber verdammt nach Donna Hawthorne aus! dachte er. Dort im Bett. Die Puppe, die mit Arctor in der Falle liegt.
Aber das paßt doch nicht zusammen, dachte er und schaltete die Holos mit einem Handgriff um. Er ließ das Band zurücklaufen, dann wieder vor. Bob Arctor und eine Puppe, aber nicht Donna! Es war die Junkiepuppe Connie! Er hatte recht gehabt.
Die beiden Individuen lagen Seite an Seite da, und beide schliefen.
Und dann, während Fred zuschaute, schmolzen und verblaßten Connies harte, kantige Gesichtszüge, wurden ganz weiß und verwandelten sich in Donna Hawthornes Gesicht.
Er schaltete das Band wieder aus. Saß verwirrt da. Ich kapier’s nicht, dachte er. Das ist ja wie eine – wie nennen die das doch gleich? Wie eine gottverdammte Überblendung! Ein filmisches Verfahren. Scheiße, was soll das bedeuten? Hat schon jemand das Material bearbeitet, um es im Fernsehen zu zeigen? Ein Regisseur, der spezielle visuelle Effekte verwendet?
Wieder spulte er das Band zurück und dann wieder vorwärts; genau in dem Augenblick, als die ersten Veränderungen in Connies Gesichtszügen eintraten, stoppte er dann den Bandvorlauf. Das Holoprogramm gefror zu einem Standbild.
Er drehte am Vergrößerer. Alle anderen Kuben verschwanden; ein großer Kubus formte sich aus den bisherigen acht. Eine einzige nächtliche Szene: Bob Arctor, reglos in seinem Bett, das Mädchen reglos neben ihm.
Aufrecht ging Fred in das Hologramm hinein, in die dreidimensionale Projektion, und stellte sich dicht neben das Bett, um das Gesicht des Mädchens genauer zu mustern.
Auf dem halben Wege dazwischen, entschied er. Immer noch halb Connie; aber zugleich auch schon halb Donna. Am besten übergebe ich das hier dem Labor, dachte er; da hat ein Experte dran rumgedreht. Man hat mir manipulierte Bänder untergeschoben. Aber wer? fragte er sich. Er trat aus dem Holo-Kubus, ließ ihn zusammenbrechen und veränderte die Einstellung, bis wieder acht kleine Kuben an seine Stelle getreten waren. Saß erneut da, fieberhaft nachdenkend.
Jemand hatte die Bänder frisiert, indem er Connies Bild mit dem Donnas überlagerte. Sorgfältig gefälschte Beweise dafür, daß Arctor die kleine Hawthorne bumste. Und? Ein guter Techniker konnte das schon immer bei Tonbändern oder auch bei Videobändern machen, und nun hielt er eben den Beweis in der Hand, daß so etwas auch bei Holo-Bändern möglich war. Sicherlich eine schwierige Aufgabe, aber …
Wenn unsere Abtastkameras nur in Intervallen arbeiten würden, dachte er, hätten wir jetzt eine Sequenz, die zeigt, wie Arctor mit einem Mädchen im Bett liegt, das er vielleicht nie ins Bett gekriegt hat und auch nie ins Bett kriegen wird. Aber auf dem Band ist genau das zu sehen.
Oder handelt es sich vielleicht nur um einen elektronischen Bildfehler oder Bildzusammenbruch? überlegte er. Was man bei Tonbändern Durchmagnetisierung nennt. Eine Art elektronische Durchmagnetisierung von einem Abschnitt des Bandes auf einen anderen. Wenn die Bildimpulse bei der Aufnahme zu hoch verstärkt waren und zwei Bandsektionen zu lange in Berührung miteinander kamen, dann mochten die Impulse sozusagen abfärben. Himmel, dachte er. Das Bild Donnas stammt aus einer vorangegangenen oder einer nachfolgenden Szene, vielleicht aus der im Wohnzimmer.
Wenn ich bloß mehr über die technische Seite des Überwachungsvorganges wüßte, dachte er. Ich verschaffe mir lieber mehr Hintergrundinformationen darüber, bevor ich die Sache an die große Glocke hänge. Manchmal gibt es ja auch beim Rundfunk Wellensalat; ein Sender überlagert einen – Überlagerungseffekte, entschied er. Zufällige Überlagerungseffekte.
Wie die Geisterbilder auf einem Fernsehbildschirm. Technisch bedingt, eine Fehlfunktion. Störimpulse eines anderen Senders. Wieder ließ er das Band vorwärts laufen. Der Schirm zeigte jetzt wieder nur Connie und würde auch weiterhin nur Connie zeigen. Und dann … wieder sah Fred, wie Donnas Gesicht sich in das Bild stahl, und diesmal wachte der schlafende Mann neben ihr im Bett – Bob Arctor – nach einem Augenblick auf und setzte sich mit einem Ruck hin, tastete dann nach der Lampe auf dem Nachttisch; die Lampe fiel zu Boden, und Arctor saß da und starrte unverwandt auf das schlafende Mädchen, auf die schlafende Donna.
Als Connies Gesicht ganz allmählich wieder Donnas Gesicht verdrängte, entspannte sich Arctor, und schließlich sank er wieder zurück und schlief weiter. Aber sein Schlaf war nicht mehr so ruhig wie zuvor.
Tja, das erledigt wohl die Theorie mit den technisch bedingten Fehlfunktionen, dachte Fred. Hat sich was mit elektronischem Abfärben oder Überlagerungseffekten. Arctor hat es auch gesehen. Ist aufgewacht, hat es gesehen, hingestarrt und dann aufgegeben.
Heiliger Himmel, dachte Fred und desaktivierte die ganze Anlage vor ihm vollständig. »Schätze, ich hab’ genug für heute«, erklärte er und erhob sich zittrig auf die Füße. »Mir reicht’s.«
»Wohl ein bißchen abartigen Sex gesehen, was?« fragte ein Jedermann-Anzug. »Na, du wirst dich schon an diesen Job gewöhnen.«
»Ich werde mich nie an diesen Job gewöhnen«, sagte Fred. »Darauf kannst du wetten.«
Da jetzt nicht mehr nur sein Cephskop, sondern sein Wagen reif für eine Reparatur war, fuhr er am nächsten Morgen mit dem Taxi bei der Schlosserei Englesohn vor, vierzig Dollar in bar in der Tasche und eine gute Dosis Besorgnis im Herzen.
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