Als wir Hilary nach besten Kräften versorgt hatten, nahmen wir die Bahre wieder auf und marschierten am Strand entlang. Stubbins und mein fast nackter Körper waren mit dem Ruß und der Asche des verbrannten Waldes bedeckt, und mit Hilarys zerstörtem Körper zwischen uns liefen wir durch den festeren, feuchten Sand an der Wasserlinie, dessen kühle, nasse Körner zwischen den Zehen kitzelten, und durch salzige Wellen, die an unsere Schienbeine platschten.
Als wir unser kleines Lager erreicht hatten, übernahm Nebogipfel das Kommando. Stubbins versuchte sich nützlich zu machen, war Nebogipfel aber nur im Weg, und der Morlock warf mir ein paar knurrige Blicke zu, bis ich Stubbins' Arm ergriff und ihn fortzog.
»Schau, junger Mann«, sagte ich, »der Morlock mag wohl etwas fremdartig aussehen, aber er versteht mehr von Medizin als ich — oder du, wie ich einmal unterstelle. Ich halte es für das beste, wenn wir ihm für eine Weile aus dem Weg gehen und ihn den Captain behandeln lassen.«
Stubbins' große Hände krümmten sich.
Dann kam mir eine Idee. »Wir müssen noch nach anderen Überlebenden suchen«, regte ich an. »Machen wir doch ein Feuer! Wenn du grünes Holz nimmst und für genügend Rauch sorgst, kannst du ein über viele Meilen sichtbares Signal erzeugen.«
Stubbins ging mit größtem Eifer auf diesen Vorschlag ein und tauchte im Wald unter. Er wirkte wie ein plumpes Tier, als er Äste aus dem Wald zerrte, aber ich war erleichtert, daß ich die in ihm brachliegenden Energien sinnvoll kanalisieren konnte.
Nebogipfel hatte eine Reihe geöffneter Kokosnußschalen im Sand plaziert, von denen jede mit einer milchigen Lotion gefüllt war. Er verlangte Stubbins' Klappmesser und schnitt damit Hilarys Kleidung auf. Nebogipfel schöpfte jeweils eine Handvoll von seiner Lotion und massierte sie mit seinen weichen Morlockfingern in das am schlimmsten verbrannte Fleisch ein.
Anfangs schrie Hilary bei dieser Behandlung auf; aber bald legte sich das, und sie schien in einen tieferen, friedlicheren Schlaf abzugleiten.
»Woraus besteht diese Lotion?«
»Es ist eine Salbe«, erklärte er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, »aus Kokosmilch, Muschelöl und Waldkräutern.« Er korrigierte den Sitz seiner Maske und hinterließ darauf Spuren der klebrigen Substanz. »Sie wird den Schmerz der Verbrennungen lindern.«
»Ich bin beeindruckt von deiner Umsicht«, lobte ich ihn.
»Dazu gehörte nicht viel Umsicht«, erwiderte er schlicht, »nach eurer selbstverschuldeten Katastrophe von gestern mit solchen Opfern zu rechnen.«
Das ärgerte mich irgendwie. Selbstverschuldet? Niemand von uns hatte den verdammten Deutschen gebeten, mit seiner Carolinumbombe durch die Zeit zu reisen. »Hol dich der Teufel, ich wollte dir nur zu deinen Bemühungen wegen dieses Mädchens gratulieren!«
»Aber mir wäre es lieber, wenn ihr mir nicht solche armen Opfer brächtet, bei denen ich mein Mitleid und Können unter Beweis stellen muß.«
Oh — verdammt! Der Morlock war manchmal wirklich unmöglich, dachte ich — richtig unmenschlich!
Stubbins und ich unterhielten unser Signalfeuer und schürten es mit so grünem Holz, daß es zischte und platzte und dichten weißen Rauch aufsteigen ließ. Stubbins begab sich auf kurze, ergebnislose Streifzüge durch den Wald; ich mußte ihm versprechen, unsere Expedition zum Epizentrum der Explosion wieder aufzunehmen, wenn das Feuer in ein paar Tagen noch keine Wirkung gezeigt haben sollte.
Es war am vierten Tag nach dem Bombenangriff, als weitere Überlebende bei uns ankamen. Sie kamen allein oder zu zweit, und alle waren sie verbrannt und erschöpft und steckten in den zerlumpten Überresten ihrer Tropenanzüge. Bald leitete Nebogipfel ein beachtliches Feldlazarett — eine Reihe mit Palmblättern bezogener Pritschen im Schatten der Dipterocarps — während die Einsatzfähigen unter uns zu pflegerischen Handreichungen und zur Vorratsbeschaffung eingeteilt wurden.
Eine Zeitlang hofften wir, daß es irgendwo noch ein besser ausgerüstetes Lager als das unsrige gäbe. Ich spekulierte, daß vielleicht Guy Gibson überlebt und die Dinge in seiner praktischen und vernünftigen Art in die Hand genommen hätte.
Wir verspürten einen kurzen Anflug von Optimismus, als ein Motorfahrzeug den Strand entlang gefahren kam. Der Wagen war mit zwei Soldaten besetzt, beides junge Frauen. Diese beiden Mädchen waren die am weitesten draußen operierende Forschungsgruppe gewesen, die das Korps ausgesandt hatte: sie waren der Küste in westlicher Richtung gefolgt und hatten nach einer Inlandspassage gesucht.
In den Wochen, die auf das Bombardement folgten, schickten wir Patrouillen am Strand entlang und in den Wald. Diese stießen gelegentlich auf die Überreste eines bedauernswerten Bombenopfers. Einige von ihnen schienen die Explosion zunächst überlebt zu haben, waren aber infolge ihrer Verletzungen zu schwach gewesen, sich selbst zu versorgen oder um Hilfe zu rufen. Manchmal wurden auch Ausrüstungsgegenstände mitgebracht. (Nebogipfel hatte darauf bestanden, daß alle Metallteile geborgen werden sollten, denn seiner Meinung nach würde es noch einige Zeit dauern, bis unsere kleine Kolonie in der Lage war, Erz zu schmelzen.) Aber wir fanden keine weiteren Überlebenden mehr; die zwei Frauen in ihrem Fahrzeug waren die letzten, die sich uns anschlossen.
Trotzdem hielten wir das Signalfeuer Tag und Nacht am Brennen, auch als schon lange keine realistische Aussicht auf weitere Überlebende mehr bestand.
Alles in allem hatten von den hundertzwölf Expeditionsteilnehmern einundzwanzig Personen — elf Frauen, neun Männer, und Nebogipfel — den Bombenangriff und den Feuersturm überlebt. Von Guy Gibson fand sich keine Spur, und auch der Gurkha-Doktor blieb verschwunden.
So beschäftigten wir uns mit der Versorgung der Verwundeten, mit der Suche nach den Dingen des täglichen Bedarfs und mit Überlegungen, wie unsere Kolonie in Zukunft aussehen sollte… denn nach der Zerstörung der Juggernauts wurde uns allen recht schnell klar, daß wir nicht mehr in unser Ausgangsjahrhundert zurückkehren konnten: die Erde des Paläozäns würde unser Grab werden.
Vier weitere starben kurz nach ihrer Einlieferung in das Lager an Brandwunden und anderen Verletzungen. Wenigstens schienen ihre Qualen nur kurz zu sein, und ich fragte mich, ob Nebogipfel seine improvisierten Medikamente nicht vielleicht irgendwie gepanscht hatte, um die Leiden der Betroffenen zu verkürzen.
Ich behielt diese Spekulationen indessen für mich.
Jeder Verlust traf unsere kleine Kolonie hart. Ich selbst fühlte mich benommen, als ob meine Seele sich im Griff eines solchen Schreckens befände, daß sie zu weiteren Reaktionen nicht mehr imstande wäre. Ich beobachtete, wie die zerschlagenen jungen Soldaten in ihren zerlumpten, blutigen Uniformresten ihr trauriges Tagewerk verrichteten; und ich wußte, daß diese neuen Todesfälle inmitten des brutalen, primitiven Schmutzes jeden von ihnen zwang, sich immer wieder von neuem seiner oder ihrer Sterblichkeit bewußt zu werden.
Und es kam noch schlimmer: nach einigen Wochen begann eine neue Krankheit in unseren ausgedünnten Reihen zu wüten. Sie befiel einige von denen, die schon verwundet waren, und leider auch andere, die das Bombardement heil überstanden hatten. Die Symptome waren erschreckend: Erbrechen, Blutungen aus allen Körperöffnungen, Haarausfall, Verlust von Fingernägeln und sogar der Zähne.
Nebogipfel nahm mich beiseite. »Es ist so, wie ich befürchtet habe«, flüsterte er. »Es ist eine Krankheit, die durch die Einwirkung der Carolinum-Strahlung verursacht wird.«
»Ist irgend jemand von uns sicher davor — oder werden wir alle sterben?«
»Wir haben keine Möglichkeit zu ihrer Behandlung und können höchstens einige der schlimmsten Symptome lindern. Und was die Sicherheit betrifft…«
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