Wir hatten uns dem Epizentrum der Druckwelle jetzt so weit genähert, daß die meisten Bäume umgestürzt und zerstört waren — Bäume, die sonst vielleicht Jahrhunderte überlebt hätten, in einem kurzen Augenblick vernichtet —, und wir mußten über die verkohlten, zertrümmerten Überreste von Baumstämmen und durch die versengten Überbleibsel des Blätterdachs steigen. Und selbst da, wo die Auswirkungen der ersten Druckwelle weniger gravierend waren, sahen wir die Wunden des Feuersturms, der ganze Gruppen von Dipterocarps in ein Gewirr verkohlter Stämme verwandelt hatte, wie riesige abgebrannte Streichhölzer. Die Kuppel aus Blättern war überwiegend zerstört, und das Tageslicht, das auf den Waldboden durchdrang, war intensiver, als ich es bisher gewohnt war. Aber noch immer war der Wald ein Ort der Schatten und des Zwielichts; und die purpurne Glut dieser tödlichen, anhaltenden Explosion überzog die verkohlten Überreste der Bäume und Fauna mit einem schwachen Glühen.
Es überraschte mich nicht, daß die überlebenden Tiere und Vögel — sogar die Insekten — aus dem verheerten Wald geflohen waren, und wir bewegten uns in einer unheimlichen Stille, die nur durch das Knacken unserer eigenen Schritte und den stöhnenden, heißen Atem der Höllenglut der Bombe durchbrochen wurde.
An einigen Stellen war das Holz noch so heiß, daß es rauchte oder gar dunkelrot glühte, und an meinen bloßen Füßen bildeten sich bald Brandblasen. Zu ihrem Schutz wickelte ich Gras um die Sohlen und erinnerte mich daran, wie ich mir auf die gleiche Art einen Weg aus dem Wald gebahnt hatte, den ich im Jahre 802701 in Brand gesetzt hatte. Mehrmals stießen wir auf die Kadaver von Tieren, die von einem Desaster weit jenseits ihrer Vorstellungskraft ereilt worden waren; trotz der Explosion waren die Selbstheilungskräfte des Waldes intensiv am Wirken, und wir mußten uns auf unserem Weg durch einen Gestank nach Verfall und Tod quälen. Einmal tappte ich auf die sich verflüssigenden Überreste einer kleinen Kreatur — es mußte wohl ein Planetatherium gewesen sein — und der arme Stubbins mußte auf mich warten, während ich mir fluchend die ekligen Reste des kleinen Tieres von den Füßen kratzte.
Nach vielleicht einer Stunde näherten wir uns einer reglosen, gekrümmten Gestalt auf dem Waldboden. Der Gestank war so übel, daß ich mir die Fetzen meines Taschentuchs auf das Gesicht drücken mußte. Der Körper war so schlimm verbrannt und entstellt, daß ich ihn zuerst für den Kadaver eines Tieres hielt — eines jungen Diatrymas vielleicht — aber dann hörte ich Stubbins etwas rufen. Ich trat an seine Seite; und da sah ich, am Ende einer am Boden ausgestreckten verkohlten Extremität, die unversehrte Hand einer Frau. Aufgrund irgendeines bizarren Zufalls hatte das Feuer die Hand fast ganz verschont; die Finger waren wie im Schlaf gekrümmt, und ein schmaler Goldring funkelte am vierten Ringfinger.
Der arme Stubbins stolperte zwischen die Bäume, wo ich ihn sich übergeben hörte. Ich fühlte mich elend, hilflos und desolat, wie ich hier in diesem zerstörten Wald mit den sinnlos am Hals baumelnden Trinkgefäßen stand.
»Was, wenn alles so aussieht wie das hier, Sir?« fragte Stubbins. »Sie wissen…« Er schaffte es nicht, die Leiche anzusehen oder auch nur darauf zu zeigen. »Was, wenn wir keine Überlebenden finden? Was, wenn sie alle tot sind, alle so verbrannt wie…?«
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und suchte in mir nach einer Stärke, die ich nicht hatte. »Wenn es wirklich so ist, gehen wir zum Strand zurück und suchen nach einer Möglichkeit zum Überleben«, erwiderte ich. »Wir werden das Beste daraus machen; das ist es, was wir tun werden, Stubbins. Aber Sie dürfen nicht aufgeben, Mann — wir haben doch gerade erst mit der Suche begonnen.«
Seine Augen standen weiß in einem Gesicht, das so schwarz war wie das eines Schornsteinfegers. »Nein«, sagte er. »Sie haben recht. Wir dürfen nicht aufgeben. Wir werden das Beste daraus machen; was bleibt uns auch anderes übrig? Aber…«
»Ja?«
»Oh — nichts«, winkte er ab; und dann richtete er seine Uniform, bereit zum Weitermarsch.
Er brauchte seinen Satz auch gar nicht zu beenden, um mir seine Bedeutung zu vermitteln! Wenn die ganze Expedition bis auf uns zwei und den Morlock ausgelöscht war, dann wußte Stubbins, daß wir bis an unser Lebensende in unseren Hütten am Strand sitzen würden. Danach würde die Flut unsere Knochen bedecken, und wir könnten noch von Glück sagen, als Fossilien zu enden, die ein neugieriger Hausbesitzer fünfzig Millionen Jahre später in Hampstead oder Kew beim Umgraben seines Gartens ausbuddeln würde.
Es war eine düstere, unbefriedigende Aussicht; und was — würde Stubbins sicher wissen wollen — war wohl das Beste, das man aus dieser Situation machen konnte?
In düsterem Schweigen ließen wir die verkohlte Leiche der jungen Frau zurück und gingen weiter.
Wir hatten keine Möglichkeit, im Wald die Zeit zu bestimmen, und der Tag war lang in diesem grauenhaften Trümmerfeld; selbst die Sonne schien ihren täglichen Umlauf am Himmel eingestellt zu haben, und die Schatten der Baumstümpfe schienen sich weder zu verkürzen noch über den Erdboden zu wandern. Aber in Wirklichkeit war es erst eine Stunde später, als wir ein splitterndes, krachendes Geräusch hörten, das aus dem Waldesinneren auf uns zukam.
Zuerst konnten wir die Quelle nicht ausmachen — Stubbins' vor Furcht geweitete Augen stachen so weiß wie Elfenbein aus dem Zwielicht — und wir warteten mit angehaltenem Atem.
Eine Gestalt näherte sich uns, schälte sich aus den verkohlten Schatten, stolperte und prallte gegen die Baumstümpfe; es war eine kleine, schmale Gestalt, ganz klar in Not — aber dennoch unverkennbar menschlich.
Mit einem Kloß im Hals eilte ich vorwärts, wobei ich nicht mehr auf den verkrusteten, geschwärzten Bewuchs unter den Füßen achtete. Stubbins hielt sich neben mir.
Es war eine Frau, deren Gesicht und Oberkörper indessen so verbrannt und schwarz waren, daß ich sie nicht identifizieren konnte. Mit einem gurgelnden, erleichtert klingenden Seufzer fiel sie in unsere Arme.
Stubbins lehnte die Frau mit dem Rücken an einen gesplitterten Baumstumpf und begleitete seine Bemühungen mit unbeholfenen, beruhigenden Worten: »Machen Sie sich keine Sorgen — es wird alles wieder gut, ich werde mich um Sie kümmern…« und dergleichen versicherte er mit würgender Stimme. Sie trug noch immer die Überreste eines Twillhemdes und einer Khakihose, aber das Ganze war geschwärzt und zerrissen; und ihre Arme waren böse verbrannt, vor allem an der Unterseite der Unterarme. Ihr Gesicht sah ebenfalls schlimm aus — sie mußte in die Richtung der Explosion geschaut haben — aber wie ich jetzt sah, befanden sich noch Abschnitte unversehrten Fleisches um Mund und Augen. Ich vermutete, daß sie bei der Explosion die Arme vor das Gesicht gehalten und dadurch die Unterarme ruiniert, aber wenigstens das Gesicht einigermaßen geschützt hatte.
Nun schlug sie die Augen auf: sie waren stahlblau. Ihr Mund öffnete sich, und ein insektengleiches Flüstern drang hervor. Ich beugte mich zu ihr hinunter, wobei ich den Ekel und Abscheu angesichts der geschwärzten Ruinen ihrer Nase und Ohren unterdrückte.
»Wasser. Um Gottes willen — Wasser …«
Es war Hilary Bond.
Stubbins und ich blieben für einige Stunden bei Hilary und flößten ihr Wasser aus unseren Nußschalen ein. In regelmäßigen Intervallen begab sich Stubbins auf kurze kreisförmige Wanderungen durch den Wald und rief laut, um die Aufmerksamkeit weiterer Überlebender zu erregen. Wir versuchten, Hilarys Wunden mit Stubbins' Verbandspäckchen zu behandeln; aber der Inhalt dieses Päckchens — das für Quetschungen, Schnittverletzungen und ähnliche kleinere Verwundungen gedacht war — reichte bei weitem nicht aus, um Verbrennungen solchen Ausmaßes und einer derartigen Schwere wie bei Hilary zu behandeln.
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