Einige Augenblicke standen Bond und ich da, betäubt von dieser plötzlichen Erscheinung wie von einer religiösen Heimsuchung.
Der in mir vergrabene, begeisterungsfähige junge Mann — der Schatten des armen, verlorenen Moses — geriet angesichts dieser eleganten Maschine in Verzückung. Welch ein Abenteuer für diesen Piloten! Welch eine grandiose Aussicht! Und welch eines außerordentlichen Mutes es bedurft haben mußte, diese Maschine in die rauchverhangene Luft des Deutschland von 1944 zu schwingen — dieses Flugzeug so hoch steigen zu lassen, daß die Landschaft im Herzen Europas zu einer Art Landkarte reduziert wurde, eine strukturierte Tischplatte, die mit Sand und Meer und Wald bedeckt war, und mit winzigen, puppengleichen Menschen — und dann den Schalter umzulegen, der die Maschine durch die Zeit beförderte. Ich stellte mir vor, wie die Sonne wie ein Meteor über das Schiff ziehen würde, während unten der Bug, die Landschaft, von der Zeit umgestaltet wurde, immer wieder zerfloß und sich neu formierte…
Dann neigten sich die glitzernden Flügel erneut, und der Lärm des Propellers stürzte auf uns herab. Dann zog die Maschine hoch und verschwand, über den Wald und in Richtung des Expeditionskorps.
Hilary rannte den Strand hinauf, wobei ihr Humpeln asymmetrische Krater im Sand hinterließ.
»Wo wollen Sie hin?«
Sie erreichte ihre Stiefel und schlüpfte hastig hinein, ohne vorher die Strümpfe angezogen zu haben. »Ins Lager natürlich.«
»Aber…« Ich starrte auf unseren kleinen traurigen Hügel aus Muscheln. »Aber Sie können doch nicht mit dieser Messerschmitt mithalten. Was werden Sie tun?«
Sie nahm ihre Pistole und richtete sich auf. Sie schaute mich nur ausdruckslos an. Dann drehte sie sich um, stapfte durch die Palmenschößlinge, die den Waldrand säumten, und verschwand im Schatten der Dipterocarps.
Das Geräusch des Messerschmitt-Flugzeugs verklang allmählich und wurde vom Blätterdach des Waldes verschluckt. Ich war allein am Strand, mit den Muscheln und dem Plätschern der Brandung.
Es wirkte alles ziemlich irreal: Krieg, in diese Idylle im Paläozän importiert? Ich verspürte keine Furcht — nur ein Gefühl bizarrer Entrücktheit.
Ich schüttelte die Starre ab und schickte mich an, Bond in den Wald zu folgen.
Ich war noch nicht einmal bei meinen Stiefeln angekommen, als eine dünne, fließende Stimme über den Sand zu mir herüberdrang: » …Nein!… geh zum Wasser… nein! …«
Es war Nebogipfel: der Morlock taumelte durch den Sand auf mich zu, wobei seine improvisierte Krücke eine Reihe tiefer, kleiner Gruben hinterließ. Als er herantorkelte, sah ich, daß seine Gesichtsmaske an einer Seite lose herumbaumelte.
»Was ist? Siehst du denn nicht, was los ist? Die Zeitmaschine …«
»Das Wasser.« Er stützte sich auf die Krücke, so schlaff wie eine Stoffpuppe, und sein Keuchen ging stoßweise durch den ganzen Körper. Das Schnaufen hatte sich so verstärkt, daß seine Worte kaum noch zu verstehen waren. »Das Wasser… wir müssen ins…«
»Wir haben jetzt keine Zeit zum Baden, Mann!« blaffte ich indigniert. »Siehst du denn nicht…«
»Verstehst nicht«, keuchte er. »Du. Du verstehst nicht… Komm…«
Konsterniert drehte ich mich um und überblickte den Wald. Da konnte ich die schemenhafte Form der Zeitmaschine erkennen, die über den Baumwipfeln dahinjagte, wobei ihr grüner und blauer Anstrich einen lebhaften Kontrast zu den Blättern bildete. Ihre Geschwindigkeit war außerordentlich, und ihr entferntes Geräusch klang wie das zornige Brummen eines Insekts.
Dann hörte ich das stakkatoartige Belfern von Artilleriegeschützen und das Pfeifen von Granaten.
»Sie schlagen zurück«, sagte ich zu Nebogipfel, elektrisiert von diesem Streiflicht des Krieges. »Begreifst du? Die Flugmaschine hat das Expeditionskorps offensichtlich ausgemacht, aber sie beschießen es mit ihren Geschützen…«
»Das Meer«, meinte Nebogipfel nur. Mit Fingern, die so schwach waren wie die eines Babies, zupfte er an meinem Ärmel, und diese Geste war so unmittelbar, so flehend, daß ich meine Augen einfach von dem Luftkampf loßreißen mußte. Hinter der groben Maske waren seine Augen nur als Schlitze zu erkennen, und der Mund war eine nach unten gezogene, zitternde Öffnung. »Das ist der einzige Schutz, der nahe genug ist. Es könnte genug sein…«
»Schutz? Das Gefecht ist mehr als zwei Meilen entfernt. Wie könnten wir dann verletzt werden, wenn wir nur auf diesem leeren Strand stehen?«
»Aber die Bombe… die Bombe, die der Deutsche hat; hast du sie denn nicht gesehen?…« Sein Haar klebte feucht an dem schmalen Schädel. »Die Bomben dieser Historie sind zwar nicht sehr weit entwickelt — wenig mehr als Brocken reinen Carolinums, die mit unoxidiertem Cydonator-Zündstoff beschichtet und in einem hermetisch abgedichteten Membraniummantel eingeschlossen sind… Aber trotzdem sind sie noch effektiv genug.
Es gibt nichts, was du für die Expedition noch tun könntest! — nichts mehr… Wir müssen warten, bis die Schlacht zu Ende ist.« Er starrte zu mir hoch. »Begreifst du das? Komm!« sagte er und zog mich wieder am Arm. Er hatte die Krücke fallenlassen und stützte sich an meinem Arm ab.
Wie ein Kind ließ ich mich von ihm ins Wasser führen.
Bald waren wir bei einer Tiefe von vier Fuß angelangt. Das Wasser reichte dem Morlock bis zu den Schultern; er forderte mich auf, in die Hocke zu gehen, so daß auch ich mehr oder weniger vom Wasser bedeckt wurde.
Über dem Wald wendete die Messerschmitt und setzte zu einem neuen Anflug an, wobei sie wie ein Raubvogel aus Metall und Öl über die Bäume fegte; die Artilleriegeschütze feuerten brüllend auf die Zeitmaschine, und die Granaten zerplatzten in Rauchwolken, die sich in der Luft des Paläozäns verloren.
Ich gestehe, daß mich dieser Luftkampf in seinen Bann zog — der erste, den ich jemals erlebt hatte. In meinem Kopf überschlugen sich die Visionen ausgedehnter Luftkämpfe, mit denen 1944 der Himmel über Europa angefüllt gewesen sein mußte: Ich sah Männer, die in den Himmel stürmten und töteten und wie Erzengel fielen; ich sah Helden auf die erstaunte Erde regnen. Das war die Apotheose des Krieges, dachte ich naiv: was war der dumpfe Schlagabtausch von Schwertkämpfern, das Aufeinanderprallen von Streitwagen — und noch viel weniger der Dreck und Schmutz der Schützengräben — gegen diesen hehren Triumph, diesen rasenden Flug zu Ruhm oder Tod?
Nun schraubte sich die Messerschmitt fast träge aus den Flugbahnen der explodierenden Granaten und begann zu steigen. Im Scheitelpunkt dieses Manövers schien sie — nur für einen Moment — Tausende von Fuß reglos über der Erde zu schweben.
Dann sah ich, wie die Bombe — dieser tödliche blaue Metallbehälter — von ihrem Träger ausgeklinkt wurde und ihren Fall zur Erde begann.
Eine einzelne Granate stieg über den Wald empor und schlug ein Loch in den Flügel der fliegenden Maschine. Flammen loderten auf, und die Zeitmaschine schmierte in grotesken Schleifen ab, eingehüllt in Rauch.
Ich stieß einen Jubelschrei aus. »Gut getroffen! Nebogipfel — hast du das gesehen?«
Aber der Morlock hatte einen Arm aus dem Wasser gestreckt und drückte mit seiner weichen Hand auf meinen Kopf. »Runter!«, befahl er. »Geh unter Wasser!«
Das letzte, was ich von dem Kampf sah, war die Rauchspur, die den Pfad der trudelnden Messerschmitt markierte — und dann im Vordergrund einen aufleuchtenden Stern, der fast zu hell war, als daß man hätte hinsehen können: die explodierende Bombe.
Ich drückte den Kopf unter Wasser.
Schlagartig wurde das liebliche Licht des Paläozäns ausgeblendet.
Ein purpurrotes Lodern überflutete die Luft über der Wasseroberfläche. Ein ohrenbetäubendes Geräusch schlug über mir zusammen: das Krachen einer heftigen Explosion, das jedoch von einem Brüllen und vom Geräusch des Zertrümmerns und Zerfetzens überlagert wurde. Dieses ganze Szenario wurde zwar durch die paar Zoll Wasser über mir gefiltert, war aber immer noch so laut, daß ich die Hände auf die Ohren pressen mußte; ich schrie auf, und Luftblasen entwichen aus meinem Mund und glitten an meinem Gesicht vorbei.
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