»Harriet? Geben Sie mir noch einmal die Direktübertragung von der Nahrungsfabrik«, sagte ich.
Das Hologramm entstand, und der Junge redete immer noch mit seiner schrillen, quäkenden Stimme. Ich versuchte den Sinn des Gesagten zu erfassen – etwas von einem Toten Mann (nur war es kein Mann, weil der Name »Henrietta« lautete), der mit ihm gesprochen hatte (also nicht tot war?), von einem Gateway-Flug, an dem Henrietta teilgenommen hatte. (Wann? Weshalb hatte ich nichts von ihr gehört?) Es war alles sehr verwirrend, und mir fiel etwas Besseres ein. »Albert Einstein, bitte«, sagte ich, und das Hologramm geriet ins Kreiseln und zeigte das eindrucksvolle alte und faltige Gesicht, das mich anstarrte.
»Ja, Robin«, sagte mein Wissenschaftsprogramm und griff nach Pfeife und Tabak, wie er es fast immer tut, wenn wir miteinander reden.
»Ich brauche von dir ein paar kluge Schätzungen über die Nahrungsfabrik und den Jungen, der dort aufgetaucht ist.«
»Klare Sache, Robin«, sagte er und drückte den Tabak mit dem Daumen hinein. »Der Junge heißt Wan. Er scheint zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt zu sein, vermutlich eher jünger, und ich möchte annehmen, dass er genetisch eindeutig ein Mensch ist.«
»Woher kommt er?«
»Ah, da habe ich nur Vermutungen, Robin. Er spricht von einer ›Hauptstation‹, mutmaßlich einem anderen Hitschi-Gebilde, das in irgendeiner Form Gateway, Gateway Zwei oder der Nahrungsfabrik selbst ähnelt, aber ohne irgendeine offensichtliche Funktion. Dort scheinen keine anderen lebenden Menschen zu sein. Er spricht von ›Toten Menschen‹, die eine Art Computerprogramm wie ich zu sein scheinen, obwohl nicht klar ist, ob sie in Wirklichkeit nicht völlig anderen Ursprungs sein könnten. Er erwähnt ferner lebende Wesen, die er ›die Alten‹ oder ›Froschgesichter‹ nennt. Er hat wenig Kontakt mit ihnen, er meidet sie sogar, und es ist nicht klar, woher sie kommen.«
Ich atmete tief ein.
»Hitschi?«
»Ich weiß es nicht, Robin. Ich kann nicht einmal eine Vermutung anstellen. Nach Occams Verfahren könnte man davon ausgehen, dass lebende Nicht-Menschen, die ein Hitschi-Gebilde bewohnen, durchaus Hitschi sein müssten – aber es gibt keine direkten Hinweise. Wir haben keine Ahnung, wie Hitschi aussehen.«
Ich wusste es. Es war ein ernüchternder Gedanke, dass wir es vielleicht bald erfahren würden.
»Sonst noch etwas? Kannst du mir sagen, wie weit die Versuche gediehen sind, die Fabrik zurückzubringen?«
»Klare Sache, Robin«, sagte er und zündete die Pfeife mit einem Streichholz an. »Aber ich fürchte, die Nachrichten sind nicht gut. Das Objekt scheint kursprogrammiert zu sein und unter starrer Kontrolle zu stehen. Was wir auch tun mögen, es leistet Widerstand.«
Es war eine knappe Entscheidung gewesen, ob die Nahrungsfabrik draußen in der Oort’schen Wolke bleiben und man versuchen sollte, auf irgendeine Weise Nahrung zur Erde zurückzutransportieren, oder ob das ganze Gebilde hergeschafft werden sollte. Nun sah es ganz so aus, als würden wir keine Wahl haben.
»Glaubst du, dass es unter Hitschi-Kontrolle steht?«
»Es gibt noch keine Möglichkeit, das zu beurteilen. Ich neige eher zu der gegenteiligen Meinung. Aber es gibt auch etwas Ermutigendes«, fuhr er fort, an seiner Pfeife ziehend. »Darf ich Ihnen Aufnahmen von der Fabrik zeigen?«
»Bitte, ja«, sagte ich, aber er hatte gar nicht gewartet; Albert ist ein höfliches Programm, aber auch ein kluges. Er verschwand, und ich betrachtete eine Szene, in welcher Wan, der Jüngling, Peter Herter zeigte, wie man in der Wand eines Ganges das öffnete, was nach einer Luke aussah. Er zog schlaffe, weiche Päckchen unbestimmbaren Inhalts in grellroter Verpackung heraus.
»Unsere Annahme über die Art des Gebildes scheint sich zu bestätigen, Robin. Das sind essbare Stoffe, und laut Wan werden sie ständig erneuert. Er ernährt sich schon fast sein ganzes Leben davon und scheint, wie Sie sehen können, im Grunde sehr gesund zu sein – ich fürchte nur, dass er gerade im Begriff steht, sich eine Erkältung zuzuziehen.«
Ich blickte über seine Schulter auf die Uhr – er achtete wegen mir stets darauf, dass sie die genaue Zeit zeigte.
»Das wäre vorerst alles. Halte mich auf dem Laufenden, wenn sich irgendetwas ergibt, das deine Schlussfolgerungen beeinflusst.«
»Klare Sache, Robin«, sagte er, während er verblasste.
Ich stand auf. Die Unterhaltung über das Essen erinnerte mich daran, dass die Mittagsmahlzeit bald fertig sein musste, und ich war nicht nur hungrig, ich gedachte nach dem Essen auch eine Pause einzulegen. Ich knöpfte den Mantel zu – dann fiel mir die Mitteilung über die Klage ein. Im Leben reicher Menschen ist das nichts Besonderes, aber wenn Morton mit mir reden wollte, hörte ich wohl besser zu.
Er meldete sich sofort, an seinem Schreibtisch sitzend, und beugte sich vor.
»Wir werden verklagt, Robin«, sagte er. »Die Firma zur Ausbeutung der Nahrungsfabrik GmbH, die Gateway-GmbH, sowie Paul Hall, Dorema Herter-Hall und Peter Herter, beide in propria persona ebenso wie als Vormünder der Mitbeklagten Janine Herter. Zusätzlich die Stiftung und Sie persönlich.«
»Wenigstens scheine ich in guter Gesellschaft zu sein. Muss ich mir Sorgen machen?«
Pause.
»Ein bisschen schon, glaube ich«, sagte er nachdenklich. »Die Klage wird von Hanson Bover erhoben, Trishs Ehemann oder Witwer, je nach Betrachtungsweise.« Morton flimmerte ein bisschen. Das ist ein Fehler in seinem Programm, und Essie will das auch beheben – aber seine juristischen Fähigkeiten sind dadurch nicht beeinträchtigt, und mir gefällt es ganz gut. »Er hat sich zu Trishs Vermögensverwalter ernennen lassen, und auf der Grundlage ihrer ersten Landung auf der Nahrungsfabrik verlangt er einen Anteil von allem, was dabei herauskommt, so, als wäre die Mission vollständig abgeschlossen worden.«
Sehr komisch war das nicht. Selbst wenn wir das verdammte Ding nicht vom Fleck brachten, konnten die Prämien angesichts der neuen Entwicklung enorm hoch werden.
»Wie kann er das verlangen? Sie hat den üblichen Vertrag unterschrieben, nicht? Alles, was wir tun müssen, ist also nur, den Vertrag vorzulegen. Sie ist nicht zurückgekommen, also bekommt sie keinen Anteil.«
»So müssen wir uns verhalten, wenn es vor Gericht geht, ja, Robin. Aber es gibt da ein, zwei mehrdeutige Präzedenzfälle. Vielleicht nicht einmal mehrdeutig – ihr Anwalt hält sie für hieb- und stichfest, auch wenn sie schon etwas alt sind. Der wichtigste betrifft einen Mann, der einen Vertrag über fünfzigtausend Dollar abgeschlossen hatte, die Niagara-Fälle auf einem Drahtseil zu überqueren. Kein Auftritt, keine Bezahlung. Auf halbem Weg fiel er herunter. Die Gerichte waren der Meinung, er sei aufgetreten, also musste man bezahlen.«
»Das ist doch verrückt, Morton!«
»Das ist das Fallrecht, Robin. Aber ich habe nur gesagt, Sie müssten sich ein bisschen Sorgen machen. Ich nehme an, dass uns nichts passieren kann, ich bin nur nicht sicher. Wir müssen ein Erscheinen binnen zwei Tagen beantragen, dann sehen wir schon, wie es läuft.«
»Also gut. Schön weiterflimmern, Morton«, sagte ich und stand nun endgültig auf, weil jetzt ganz sicher Essenszeit war. Essie kam auch schon durch die Tür und war zu meiner Enttäuschung ganz angezogen.
Essie ist eine sehr schöne Frau, und eine der Freuden, mit ihr seit fünf Jahren verheiratet zu sein, ist die, dass sie mir jedes Jahr besser gefällt als das Jahr zuvor. Sie legte den Arm um meinen Hals, während wir zur Veranda gingen, und drehte den Kopf, um mich anzusehen.
»Was ist los, Robin?«, fragte sie.
»Nichts ist los, liebe S. Ya.«, sagte ich. »Nur hatte ich vor, dich nach dem Mittagessen zum gemeinsamen Duschen einzuladen.«
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