»Wenn ich das wüsste. Harriet?«
Die Stimmen im Tank wurden leiser, und die Stimme meiner Sekretärin sagte: »Ja, Mr. Broadhead?«
»Wann ist er angekommen?«
»Vor ungefähr siebzehn Komma vier Minuten, Mr. Broadhead. Zuzüglich Übertragungszeit von der Nahrungsfabrik, versteht sich. Entdeckt wurde er von Janine Herter. Sie schien keine Kamera bei sich zu haben, sodass wir nur den Ton empfingen, bis jemand von den anderen Angehörigen des Teams erschien.« Sofort, als sie verstummte, wurde die Stimme der Gestalt im Tank wieder laut; Harriet ist ein sehr gutes Programm, eines der besten von Essie.
»… mir Leid, wenn ich mich unanständig benommen habe«, sagte der Junge gerade.
Nach einer Pause war der alte Peter Herter zu vernehmen.
»Lass das doch, Mensch. Sind auf dieser Hauptstation noch andere Leute?«
Der Junge spitzte die Lippen.
»Das«, meinte er philosophisch, »würde davon abhängen, wie man ›Person‹ definiert, nicht? Im Sinne eines lebenden Organismus unserer Art, nein. Am nächsten kommen die Toten Menschen.«
Eine Frauenstimme … Dorema Herter-Hall.
»Hast du Hunger? Brauchst du irgendetwas?«
»Nein, wozu?«
»Harriet? Was war das mit dem unanständigen Benehmen?«, fragte ich.
Harriets Stimme klang zögernd.
»Er, äh, hat sich zum Orgasmus gebracht, Mr. Broadhead. Vor Janine Herters Augen.«
Ich konnte nicht anders – ich fing an zu lachen.
»Essie«, sagte ich zu meiner Frau, »ich glaube, du hast sie ein bisschen zu damenhaft gemacht.« Aber das war es nicht, worüber ich lachte. Es war die unübersehbare Ungereimtheit des Ganzen. Ich hatte … alles Mögliche erwartet. Alles, nur das nicht: einen Hitschi, einen Raumpiraten, Marsmenschen – weiß der Himmel was, aber nicht einen geilen Jüngling.
Hinter mir scharrten Stahlklauen, dann sprang etwas auf meine Schulter.
»Runter mit dir, Putzi«, zischte ich.
»Lass ihn ein bisschen am Hals schnüffeln. Er geht schon wieder«, sagte Essie.
»Er ist nicht sauber«, knurrte ich. »Können wir ihn nicht loswerden?«
» Na, na, galubka «, sagte sie beschwichtigend und tätschelte meinen Kopf, als sie aufstand. »Du willst doch medizinischen Vollschutz, nicht? Putzi gehört dazu.« Sie küsste mich und ging hinaus, während ich über das nachdachte, was alle möglichen kleinen, aber unangenehmen Regungen in mir hervorrief. Einen Hitschi zu sehen! Das hatten wir ja nun nicht erwartet – aber was, wenn doch?
Als die ersten Venus-Erforscher die Spuren entdeckten, die von den Hitschi hinterlassen worden waren – leuchtende, blauwandige, leere Tunnels, spindelförmige Höhlen –, war das ein Schock. Ein paar Gegenstände – ein weiterer Schock –, was war das alles? Da waren die Metallgebilde, die jemand »Gebetsfächer« nannte (aber beteten die Hitschi wirklich, und wenn, dann zu wem?). Da waren die glühenden kleinen Kügelchen, »Feuerperlen« genannt, doch sie waren keine Perlen und brannten auch nicht. Dann fand jemand den Gateway-Asteroiden, was den größten Schock hervorrief, weil er an die zweihundert funktionierende Raumschiffe enthielt. Nur konnte man sie nicht steuern. Man konnte einsteigen und losfliegen …
Ich kannte mich diesbezüglich aus. Ich hatte solche Schocks bei meinen drei armseligen Flügen erlebt – nein, zwei armselige. Und dann ein schrecklicher, unarmseliger. Er hatte mich reich gemacht und mir jemanden geraubt, den ich liebte, und was ist daran armselig?
Und seither hatten die Hitschi – seit einer halben Jahrmillion tot, nicht einmal ein geschriebenes Wort hinterlassend, um mitzuteilen, was sie trieben – unsere ganze Welt durchdrungen. Es gab nichts als Fragen und kaum Antworten. Wir wussten nicht einmal, wie sie sich selbst nannten – gewiss nicht »Hitschi«, weil das nur ein Name war, den die Entdecker für sie erfunden hatten. Wir besaßen keine Ahnung davon, wie diese fernen und gottähnlichen Wesen sich selbst genannt hatten. Aber wir wussten auch nicht, wie Gott selbst sich nannte. Jehova, Jupiter, Baal, Allah – das waren Namen, von Menschen erfunden. Wer wusste, unter welchem Namen ER bei SEINEN Freunden bekannt war?
Ich gab mir Mühe, zu empfinden, was ich empfunden hätte, wenn der Fremde in der Nahrungsfabrik wirklich ein Hitschi gewesen wäre, als die Toilette rauschte, Essie aus ihr herauskam und Putzi zur Schüssel jagte. Es gibt unliebsame Dinge, wenn man medizinisch voll versorgt ist, und ein mobiles Bioprüfgerät gehört dazu.
»Du vergeudest meine Programmzeit!«, maulte Essie, und ich bemerkte, dass Harriet geduldig im Tank saß und darauf wartete, dass weitere Informationen abgerufen wurden, nämlich über jene Dinge, die mich ebenfalls betrafen. Der Bericht von der Nahrungsfabrik wurde aufgezeichnet und gespeichert, das verstand sich von selbst. Während Essie in ihr Büro ging, um zu erledigen, was an Wichtigem bei ihr angefallen war, bat ich Harriet, beim Koch das Mittagessen zu bestellen, und ließ sie ihre Sekretärinnenpflichten erfüllen.
»Sie haben morgen früh einen Termin, um vor dem Steuerbewilligungsausschuss des Senats auszusagen, Mr. Broadhead.«
»Ich weiß. Ich werde dort sein.«
»Dieses Wochenende ist Ihre nächste Untersuchung fällig. Soll ich den Termin bestätigen?«
Das ist einer der Nachteile von medizinischem Vollschutz, und außerdem besteht Essie darauf – sie ist zwanzig Jahre jünger als ich und erinnerte mich immer wieder daran.
»Gut, bringen wir das hinter uns.«
»Sie werden von einem Hanson Bover verklagt, und Morton möchte mit Ihnen darüber sprechen. Ihre konsolidierte Vierteljahresbilanz ist eingetroffen und liegt in Ihrem Schreibtischarchiv – ausgenommen die Anteile an den Nahrungsgruben, die erst morgen genau berechnet sind. Und dann ist da noch eine Reihe nicht so wichtiger Nachrichten – die meisten habe ich schon erledigt –, die Sie zu einem geeigneten Zeitpunkt zur Kenntnis nehmen können.«
»Danke. Das wäre vorerst alles.« Der Tank wurde durchsichtig, und ich lehnte mich im Sessel zurück, um nachzudenken.
Ich brauchte die Vierteljahresbilanz nicht zu sehen – ich wusste schon ziemlich genau, was sie enthielt. Die Immobilieninvestitionen hielten sich gut; der kleine Rest, den ich in Meeresfarmen gesteckt hatte, ging einem Jahr der Rekordgewinne entgegen. Alles war stabil, bis auf die Ausbeute der Nahrungsgruben. Das letzte 130-Tage-Fieber hatte uns viel gekostet. Ich konnte den Leuten in Cody nicht die Schuld geben; sie waren so wenig verantwortlich wie ich, dass das Fieber auftrat. Aber sie hatten auf irgendeine Weise die Thermalbohrungen außer Kontrolle geraten lassen, sodass unter dem Boden 20 Quadratkilometer von unserem Schiefer langsam verbrannten. Es hatte drei Monate gedauert, die Grube wieder in Betrieb zu nehmen, und was das kosten würde, wussten wir immer noch nicht. Kein Wunder, dass die Vierteljahresbilanz dort sich verspätete.
Aber das war nur ein Ärgernis, keine Katastrophe. Ich hatte mein Kapital zu weit gestreut, um zu kippen, sobald irgendein einzelner Sektor in die roten Zahlen geriet. Ohne den Rat Mortons wäre ich an Nahrungsgruben gar nicht beteiligt gewesen; steuerlich machte sich der Nachlass sehr günstig bemerkbar. (Ich hatte allerdings fast meine ganzen Anteile an Meeresfarmen verkauft, um dort einzusteigen.) Morton hatte anschließend berechnet, dass ich meine Steuerlast noch weiter reduzieren könnte, und wir gründeten das Broadhead-Institut für außersolarische Forschung. Ich ging auch eine Partnerschaft mit der Gateway-Gesellschaft ein, die Sonden zu vier Hitschimetall-Quellen im oder beim Sonnensystem schickte, und eine davon war die Nahrungsfabrik gewesen. Sofort, nachdem der Kontakt hergestellt war, gründeten wir eine eigene Ausbeutungsfirma, um uns damit zu befassen – und das schien nun ernsthaft interessant zu werden.
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