Wir übrigens auch nicht. Bei den Gelegenheiten, zu denen wir alle gemeinsam wach waren, unterhielten wir uns hauptsächlich darüber, was wir tun sollten, wenn die Erde für uns keine Möglichkeit finden würde, die Nahrungsfabrik in Bewegung zu setzen. Vera hatte bereits vorgeschlagen, wir sollten die fünf anderen Triebwerke montieren, sie alle gleichzeitig auf vollen Schub bringen und feststellen, ob die Fabrik gegen sechs Triebwerke auf einmal ankam. Veras Vorschläge waren keine Befehle, und Lurvy sprach für uns alle, als sie sagte: »Wenn wir vollen Schub geben und es nicht klappt, besteht die Gefahr, sie zu überdrehen. Sie könnten kaputtgehen. Und wir sitzen fest.«
»Was tun wir, wenn wir genau diesen Befehl von der Erde bekommen?«, fragte ich.
»Wir verhandeln«, sagte Peter, weise nickend. »Wenn sie wollen, dass wir zusätzliche Risiken eingehen, müssen sie extra bezahlen.«
»Übernimmst du das, Pa?«
»Darauf kannst du dich verlassen. Und hört zu. Angenommen, es klappt nicht. Angenommen, wir müssen zurückfliegen. Wisst ihr, was wir dann tun?« Er nickte uns wieder zu. »Wir beladen das Schiff mit allem, was wir tragen können. Wir finden kleine Maschinen, die man abmontieren kann, versteht ihr? Vielleicht stellen wir fest, ob sie funktionieren. Wir stopfen das Schiff mit allem voll, was hineingeht, werfen alles weg, was wir erübrigen können. Lassen die zusätzlichen Triebwerke hier und bringen die großen Maschinen außen an, nicht wahr? Wir könnten zurückkommen mit, mein Gott, ich weiß nicht, Gegenständen im Wert von noch einmal zwanzig, dreißig Millionen Dollar.«
»Und die Gebetsfächer!«, rief Janine und klatschte in die Hände. In dem Raum, in dem Peter die Nahrung gefunden hatte, lagen sie stapelweise. Dort gab es auch noch andere Dinge, eine Art Liege aus Metallgeflecht, tulpenförmige Gebilde an den Wänden, die aussahen wie Kerzenhalter. Aber hunderte von Gebetsfächern. Nach meiner Überschlagsrechnung befanden sich, bei tausend Dollar pro Stück, allein in dem Raum Gebetsfächer im Gesamtwert von einer halben Million Dollar … falls wir am Leben blieben und sie liefern konnten. Nicht mitgerechnet alle anderen Dinge, von denen ich wusste und über die ich im Stillen Inventur machte. Ich war da nicht der Einzige.
»Gebetsfächer sind das wenigste«, meinte Lurvy nachdenklich. »Aber das steht nicht in unserem Vertrag, Pa.«
»Vertrag! Was sollen sie denn mit uns anfangen, uns erschießen? Uns betrügen? Nachdem wir acht Jahre unseres Lebens geopfert haben? Nein. Sie werden uns die Prämien geben.«
Je mehr wie darüber nachdachten, desto besser klang es. Ich schlief mit dem Gedanken ein, welche von den Geräten, die ich gesehen hatte, zurückgebracht werden konnten und was darunter das Wertvollste sein mochte; und ich hatte meine ersten angenehmen Träume, seitdem wir das Triebwerk hatten laufen lassen.
Und ich erwachte mit dem Gezischel von Janines Stimme an meinem Ohr.
»Paps? Paul? Lurvy? Könnt ihr mich hören?«
Ich tauchte hoch, setzte mich auf und schaute mich um. Sie sprach nicht in mein Ohr; es war mein Kommunikator. Lurvy neben mir war wach, und Peter kam um eine Ecke zu uns geeilt. Auch ihre Kommunikatoren waren in Betrieb.
Ich sagte: »Wir hören dich, Janine. Was …«
»Still!«, kam ihr Flüstern, das in weißem Rauschen verzischte, so, als presse sie die Lippen ans Mikrofon. »Nicht antworten, nur zuhören. Hier ist jemand.«
Wir starrten einander an. Lurvy flüsterte: »Wo bist du?«
»Still, sag’ ich! Ich bin draußen am anderen Andockbereich, verstehst du? Wo wir die Nahrung gefunden haben. Ich suchte nach Dingen, die wir mit heimnehmen können, wie Paps gesagt hat, nur … Na ja, ich sah etwas auf dem Boden liegen. Wie ein Apfel, außen rotbraun, innen grün, nur war es keiner … Und das Ding roch wie … ich weiß nicht, wie es gerochen hat. Nach Erdbeeren. Und es war auch keine hunderttausend Jahre alt. Es war frisch. Und ich hörte … wartet mal.«
Wir wagten nicht zu antworten und lauschten kurze Zeit nur ihren Atemzügen. Als sie weitersprach, klang ihr Geflüster angstvoll.
»Es kommt hierher. Es ist zwischen mir und euch, und ich sitze fest. Ich … muss immer wieder denken, dass es ein Hitschi ist, und er wird …«
Ihre Stimme verstummte. Wir hörten sie aufstöhnen, dann rief sie laut: »Komm ja nicht näher!«
Ich hatte genug gehört.
»Los«, sagte ich und sprang zum Korridor.
Peter und Lurvy waren mir auf den Fersen, als wir in weiten Schwimmsprüngen den Tunnel mit seinen blauen Wänden durcheilten. Als wir in die Nähe der Docks gelangten, blieben wir stehen und schauten uns unentschlossen um.
Bevor wir entscheiden konnten, in welcher Richtung wir suchen sollten, wurde Janines Stimme erneut hörbar. Es war weder ein Flüstern noch angstvolles Aufschreien.
»Er … er ist stehen geblieben, als ich es verlangte«, sagte sie ungläubig. »Und ich glaube nicht, dass er ein Hitschi ist. Er sieht mir ganz wie eine normale Person aus – na, irgendwie abgerissen. Er steht nur da, gafft mich an und schnuppert.«
»Janine!«, schrie ich ins Gerät. »Wir sind bei den Docks – welche Richtung von hier aus?«
Pause, dann seltsamerweise eine Art erschrockenes Kichern.
»Nur geradeaus«, sagte sie mit schwankender Stimme. »Aber macht schnell. Ihr … ihr werdet nicht glauben, was er jetzt macht.«

Der Flug zum Vorposten erschien Wan länger als sonst, weil er innerlich unruhig war. Er vermisste die Gesellschaft der Toten Menschen. Er vermisste noch mehr, was er nie gehabt hatte. Eine Frau. Der Gedanke an einen verliebten Wan war für ihn ein Hirngespinst, aber eines, das er verwirklichen wollte. Dabei halfen so viele Bücher mit, »Romeo und Julia« und »Anna Karenina« und die alten romantischen Klassiker aus China.
Was ihm die Hirngespinste endlich austrieb, war der Anblick des Vorpostens, als er ihn anflog. Die Konsole leuchtete auf, um den Beginn der Andockmanöver anzuzeigen, die Flugbahnen auf dem Bildschirm verschwanden, und der Umriss des Vorpostens tauchte schlagartig auf. Aber er hatte nicht die gewohnte Form. In einem der Andockschächte befand sich ein neues Schiff, an einer Rumpfseite war ein fremdartiges, gezacktes Gebilde angebracht.
Was konnten solche Dinge bedeuten? Als das Andocken beendet war, schob Wan den Kopf zur Luke hinaus und schaute sich schnuppernd und lauschend um.
Nach einiger Zeit kam er zu dem Schluss, dass niemand in der Nähe war. Er holte weder Bücher noch andere Dinge aus dem Schiff. Er beschloss, fluchtbereit zu bleiben, aber auch, sich umzusehen. Schon einmal, vor langer Zeit, war eine andere Person im Vorposten gewesen, die er für ein weibliches Wesen gehalten hatte. Tiny Jim war ihm damals behilflich gewesen, das Kleidungsstück zu identifizieren. Vielleicht sollte er Tiny Jim jetzt auch um Rat fragen? Er kaute an einer Fruchtbeere und zog sich mühelos am Geländer entlang zum Traumraum, wo die Lustliege stand, umgeben von den Büchermaschinen.
Und erstarrte.
War das ein Geräusch gewesen? Ein Lachen oder Aufschrei irgendwo in der Ferne?
Er warf die Beerenfrucht weg und blieb einen Augenblick, wo er war, alle Sinne angespannt. Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber da war etwas – ein Geruch, ganz schwach, sehr angenehm, überaus fremdartig. Er war dem Geruch, den er an dem Kleidungsstück festgestellt hatte, bevor er es viele Tage mit sich herumgetragen hatte, bis der letzte Dufthauch verschwunden war, nicht unähnlich. Danach hatte er es an die Fundstelle zurückgelegt.
War die Person zurückgekommen?
Wan begann zu zittern. Eine Person! Es war ein Dutzend Jahre her, seitdem er eine Person gerochen oder berührt hatte! Und da auch nur seine Eltern. Aber es musste keine Person, es konnte auch etwas anderes sein. Er stieß sich ab zu dem Dock, wo diese andere Person gewesen war, mied überlegt die Hauptgänge, schwebte rasch durch engere, weniger direkte Tunnels, wo ein Fremder nach seiner Meinung kaum hinkommen würde. Wan kannte jeden Zentimeter des Vorpostens, jedenfalls so weit man darin gelangen konnte, ohne die unverrückbaren Abschlusswände zu erreichen, die er nicht zu öffnen verstand. Er brauchte nur wenige Minuten, um den Ort zu erreichen, wo er die von der einen Besucherin des Vorpostens zurückgelassenen Überreste säuberlich verwahrt hatte.
Читать дальше