»Überall Sackgassen«, berichtete er, als er zurückkam. »Das, wohin wir gelangen können, scheint nur etwa ein Zehntel des Ganzen zu sein – es sei denn, wir schneiden Löcher in die Wände.«
»Nicht jetzt«, sagte ich.
»Niemals!«, erklärte Lurvy entschieden. »Alles, was wir tun, ist, dieses Ding zurückzubringen. Wenn einer es zerlegen will, dann erst, wenn wir unser Geld eingesteckt haben.« Sie rieb sich den Bizeps, die Arme vor der Brust verschränkt, und fügte bedauernd hinzu: »Wir sollten lieber anfangen, das Triebwerk zu sichern.«
Wir brauchten dazu noch einmal zwei Tage, aber endlich saß alles. Das Schweißmaterial, das sie uns mitgegeben hatten, um Stahl mit Hitschi-Metall zu verbinden, leistete das Versprochene wirklich. Soweit wir äußerlich feststellen konnten, saß das Ding fest. Wir zogen uns ins Schiff zurück und befahlen Vera, das Triebwerk mit zehn Prozent Schub laufen zu lassen.
Sofort spürten wir einen winzigen Ruck. Es klappte. Wir grinsten uns alle an, und ich griff in meine Privattasche nach der Flasche Champagner, die ich für diese Gelegenheit aufgehoben hatte.
Wieder ein Ruck.
Ein Lächeln nach dem anderen verschwand. Man hätte nur eine einmalige Beschleunigung spüren dürfen.
Lurvy sprang an die Konsole.
»Vera! Anzeige Delta-V!«
Auf dem Bildschirm leuchtete ein Kraftdiagramm auf: die Nahrungsfabrik in der Mitte vorgestellt und Kraftpfeile, die in zwei Richtungen wiesen. Der eine symbolisierte die Kraft unseres Triebwerks, das seine Aufgabe erfüllte, gegen den Rumpf zu drücken. Der andere …
»Zusatzschub, der Kurs jetzt beeinflusst … Lurvy«, meldete Vera. »Vektorergebnis in Richtung und Größenordnung jetzt dasselbe wie vorheriger Delta-V.«
Unsere Rakete drückte gegen die Nahrungsfabrik. Aber viel erreichte sie nicht. Die Fabrik drückte dagegen.
Tag 1298. Wir taten also, was wir allem Anschein nach tun mussten. Wir schalteten alles ab und schrien um Hilfe.
Wir schliefen und aßen und wanderten, wie es schien, ewig in der Fabrik herum, während wir uns wünschten, dass es die Verzögerung von 25 Tagen nicht gab. Vera nützte nicht viel.
»Vollständige Telemetrie übermitteln«, sagte sie, und: »Weitere Anweisungen abwarten.«
Das taten wir ohnehin.
Nach ein, zwei Tagen holte ich den Champagner trotzdem heraus, und wir tranken alle. Bei 0,01 g hatte die Kohlensäure mehr Kraft als die Gravitation, und ich musste meinen Daumen auf die Flasche und die Handfläche auf jedes Glas pressen, um den spritzenden Champagner auszugießen und einzufangen. Aber es gelang uns eine Art Zuprosten.
»Gar nicht schlecht«, sagte Peter, als er seinen Sekt hinuntergeschüttet hatte. »Wenigstens bekommt jeder ein paar Millionen.«
»Falls wir das je erleben«, fauchte Janine.
»Verdirb einem doch nicht alles, Janine. Wir wussten schon beim Abflug, dass die Sache schief gehen könnte.«
Das traf auch zu; das Schiff war so konstruiert, dass wir mit unserem Grundtreibstoff losfliegen und die Photonen-Triebwerke umrüsten konnten, damit wir heimgelangten – in gut vier Jahren oder so.
»Und was dann, Lurvy? Dann bin ich eine achtzehnjährige Jungfrau. Und eine Versagerin.«
»Ach Gott, Janine, lauf eine Weile herum, ja? Ich kann dich nicht mehr sehen.«
Wir waren jetzt unduldsamer miteinander, als wir es die ganze Zeit über im engen Raumschiff gewesen waren. Jetzt, da wir mehr Platz hatten, um uns voneinander zu entfernen – bis zu einem Viertelkilometer –, fielen wir einander mehr auf die Nerven als je zuvor. Ungefähr alle zwanzig Stunden stolperte Veras kleines, dumpfes Gehirn durch seine Zufallsprogramme und präsentierte irgendein neues Experiment: Schubversuche bei ein Prozent Energie, bei dreißig Prozent, sogar voller Schub. Und wir taten uns lange genug zusammen, um die Raumanzüge anzulegen und das auszuführen. Das Ergebnis blieb aber stets dasselbe. Gleichgültig, wie stark wir gegen die Nahrungsfabrik drückten, das Gebilde spürte das und drückte genau mit der richtigen Kraft und genau in der Richtung dagegen, um die gleichmäßige Beschleunigung zu dem Ziel, das sie im Sinn hatte, beizubehalten. Das einzig Nützliche, das Vera lieferte, war eine Theorie: Die Fabrik hatte den Kometen aufgebraucht, den sie ausschlachtete, und zog weiter zu einem neuen. Aber das war nur vom Verstand her interessant. Praktisch half es überhaupt nichts. So wanderte ich herum, meistens allein, und schleppte die Kameras in jeden Raum und jeden Korridor, den wir betreten konnten. Die Aufzeichnungen wurden zur Erde übertragen, doch das alles brachte nichts ein.
Peter fand mühelos die Stelle, an der Trish Bover in die Fabrik gelangt war, und rief uns alle herbei. Wir versammelten uns stumm und besichtigten die Überreste eines längst zerfallenen Essens, die weggeworfene Strumpfhose und die an die Wände gekratzten Inschriften:
TRISH BOVER WAR HIER
und
GOTT SEI MIR GNÄDIG!
»Vielleicht wird Gott es sein«, meinte Lurvy nach einer Weile, »aber ich wüsste nicht, wie jemand anderer es sein könnte.«
»Sie muss hier länger geblieben sein, als ich dachte«, erklärte Peter. »In einigen Räumen liegt alles mögliche Zeug verstreut.«
»Was für Zeug?«
»Meistens alte, verdorbene Nahrung. Auf der anderen Seite, weißt du, wo die Lichter sind.«
Ich wusste es, und Janine und ich gingen hin, um uns das anzusehen. Es war ihre Idee, mir Gesellschaft zu leisten, und ich war zunächst nicht begeistert davon. Aber vielleicht mäßigten die Temperatur von 12° Celsius und der Mangel an etwas Bettähnlichem ihr Interesse, oder vielleicht war sie zu bedrückt und enttäuscht, um sich ihrem Ehrgeiz, die Jungfräulichkeit zu verlieren, zu überlassen. Wir fanden das weggeworfene Essen ohne Mühe. Es sah mir nicht nach Gateway-Rationen aus; zwei waren ungeöffnet, drei größere, vom Umfang einer Scheibe Brot, in etwas Grellrotes gewickelt – es fühlte sich an wie Seide. Von den zwei kleineren war eines grün, das andere so rot wie die übrigen, aber mit rosaroten Pünktchen übersät. Versuchsweise öffneten wir dieses. Es stank nach verfaultem Fisch und war offenkundig nicht mehr genießbar.
Ich ließ Janine dort zurück und suchte die anderen. Sie öffneten das kleine grüne Päckchen. Es roch nicht verdorben, war aber steinhart. Peter schnupperte, leckte daran, brach ein Bröckchen ab und kaute es nachdenklich.
»Überhaupt kein Geschmack«, teilte er uns mit, sah zu uns auf, wirkte erstaunt und grinste plötzlich. »Wartet ihr darauf, dass ich tot umfalle?«, fragte er. »Das glaube ich nicht. Wenn man eine Weile kaut, wird es weich. Wie alte Kekse vielleicht.«
Lurvy zog die Brauen zusammen.
»Wenn es wirklich Nahrung ist …« Sie verstummte und dachte nach. »Wenn das wirklich Nahrung ist und Trish sie hier hat liegenlassen, warum ist sie nicht einfach geblieben? Oder warum hat sie nichts davon erwähnt?«
»Sie war vor Angst völlig durcheinander«, meinte ich.
»Sicher. Aber sie hat einen Bericht aufgezeichnet. Von Nahrung sagte sie kein Wort. Die Gateway-Techniker waren diejenigen, die entschieden, dass das eine Nahrungsfabrik ist, nicht? Und alles, was sie zum Vergleich hatten, war die demolierte Fabrik, die man in der Nähe von Phyllis’ Welt gefunden hat.«
»Vielleicht hat sie es bloß vergessen.«
»Ich glaube nicht, dass sie es vergessen hat«, sagte Lurvy langsam, aber mehr sagte sie nicht. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Trotzdem gingen wir an den nächsten Tagen allein kaum durch die Fabrik.
Tag 1311. Vera nahm die Information über die Nahrungspäckchen stumm auf. Nach einiger Zeit zeigte sie auf dem Bildschirm eine Anweisung, den Inhalt der Päckchen zur chemischen und biologischen Überprüfung vorzulegen. Das hatten wir schon von selbst getan, und wenn Vera Schlussfolgerungen zog, gab sie diese nicht bekannt.
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