Harry Hellison
Pittsburgh
Warten …
Sehr, sehr lange.
Wir werden zerquetscht, wir werden verbrannt
und werden zerrissen in Bits,
und manchmal wird’s wirklich amüsant,
und wir fürchten uns, ganz ohne Witz.
Doch das ist uns gleich –
kleine, verlor’ne Hitschi, macht uns reich!

Nach einer Weile, ich weiß nicht, wie lange, hebe ich den Kopf und sage: »Verzeih, Sigfrid.«
»Warum, Bob?«
»Weil ich so geweint habe.« Ich bin körperlich erschöpft. Ich komm mir vor, als wäre ich zehn Meilen weit Spießruten zwischen irren Choctaw-Indianern gelaufen, die mich mit Knüppeln gedroschen hatten.
»Fühlst du dich jetzt besser, Bob?«
»Besser?« Ich denke eine Weile über diese dumme Frage nach, dann mache ich Inventur, und seltsamerweise ist es so. »Hm, ja, ich denke schon. Nicht so, dass man es gut nennen könnte. Aber besser.«
»Erhol dich erst, Bob.«
KONTOAUSZUG
An ROBINETTE BROADHEAD:
1. Es wird bestätigt, dass Ihre Kurseinstellung für Gateway II Rundflüge mit einer Flugzeitersparnis von etwa 100 Tagen gegenüber dem bisherigen Standardkurs für dieses Objekt ermöglicht.
2. Auf Beschluss des Ausschusses erhalten Sie Entdeckungstantiemen in Höhe von 1 Prozent von allen Erlösen aus künftigen Flügen mit dieser Kurseinstellung und einen Vorschuss von $ 10 000 auf besagte Tantiemen.
3. Auf Beschluss des Ausschusses werden Sie mit der Hälfte der besagten Tantiemen und des Vorschusses als Buße für die Beschädigung des verwendeten Schiffes belastet.
Folgender Betrag wurde demnach Ihrem Konto gutgeschrieben:
Tantiemenvorschuss (Ausschuss-Beschluss
A-135-7) abzüglich Belastung
(Ausschuss-Beschluss A-135-8): $ 5000 Derzeitiger Kontostand: $ 6192
Das halte ich für eine blöde Bemerkung. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mich zu erholen.
Aber ich fühle mich wirklich besser.
»Ich fühle mich, als hätte ich endlich zugelassen, dass ich meine Schuld spüre«, sage ich.
»Und du hast es überlebt.«
Ich denke darüber nach.
»Offenbar«, erwidere ich.
»Befassen wir uns mit der Frage der Schuld, Bob. Warum hast du ein Schuldgefühl?«
»Weil ich neun Menschen über Bord geworfen habe, um mich selbst zu retten, du Idiot!«
»Hat dir das jemals jemand vorgehalten? Jemand außer dir selbst, meine ich?«
»Vorgehalten?« Ich schneuze mich wieder und denke nach. »Aber nein. Wieso auch? Als ich zurückkam, war ich so etwas wie ein Held.« Ich denke an Shicky, so gütig, so mütterlich; und an Francy Hereira, der mich in den Armen hielt und mich weinen ließ, obwohl ich seine Kusine getötet hatte.
»Aber sie waren nicht dabei. Sie haben nicht gesehen, wie ich die Tanks gezündet habe, um freizukommen.«
» Hast du die Tanks gezündet?«
»Ach, Mensch, Sigfrid«, sage ich. »Ich weiß es nicht. Ich wollte es tun. Ich griff nach dem Knopf.«
»Ergibt es einen Sinn, dass der Knopf in dem Schiff, das ihr verlassen wolltet, wirklich die Tanks in den Landefahrzeugen zünden sollte?«
»Warum nicht? Ich weiß nicht. Jedenfalls kannst du mir keine Entschuldigung nennen, an die ich nicht schon selbst gedacht hätte. Ich weiß, dass Danny oder Klara den Knopf vielleicht vor mir gedrückt haben. Aber ich streckte die Hand nach dem meinen aus.«
»Und welches Schiff, dachtest du, würde freikommen?«
»Das ihre! Das meine«, verbessere ich mich. »Nein, ich weiß es nicht.«
»Was du getan hast, war sogar sehr klug«, sagte Sigfrid ernsthaft. »Du hast gewusst, dass ihr nicht alle überleben könnt. Die Zeit reichte nicht. Die einzige Wahl war die, ob ein Teil von euch stirbt, oder ob alle sterben. Du hast dich dafür entschieden, dass jemand am Leben blieb.«
»Quatsch! Ich bin ein Mörder!«
Pause, während Sigfrids Schaltkreise das verarbeiten.
»Bob«, sagt er bedächtig, »ich glaube, du widersprichst dir selbst. Hast du nicht gesagt, dass sie in dieser Diskontinuität noch lebt?«
»Sie leben alle noch! Für sie steht die Zeit still!«
»Wie kannst du dann jemanden ermordet haben?«
»Was?«
»Wie kannst du dann jemanden ermordet haben?«, wiederholt er.
»… Ich weiß nicht«, entgegne ich, »aber ganz ehrlich gesagt, Sigfrid, ich will heute wirklich nicht mehr darüber nachdenken.«
»Das brauchst du auch nicht, Bob. Ich frage mich, ob du eine Ahnung davon hast, was du in den vergangenen zweieinhalb Stunden geleistet hast. Ich bin stolz auf dich.«
Und sonderbarerweise, unpassenderweise, glaube ich es – Chips, Hitschi-Schaltkreise, Hologramme und alles hin oder her –, und es tut mir gut, es zu glauben.
»Du kannst gehen, wann du willst«, sagt er, steht auf und begibt sich zu seinem Lehnsessel zurück, ganz lebensecht, sogar grinsend. »Aber ich glaube, ich möchte dir etwas zeigen.«
Meine Abwehr ist völlig aufgebraucht. Ich sage nur: »Was denn, Sigfrid?«
»Unsere andere Fähigkeit, die wir noch nie genutzt haben, Bob«, sagt er. »Ich möchte dir einen anderen Patienten zeigen.«
»Einen anderen Patienten?«
»Schau in die Ecke, Bob«, sagt er leise.
Ich schaue hin …
… und da ist sie.
»Klara!« Und als ich sie sehe, weiß ich sofort, woher Sigfrid sie hat; von der Maschine, die Klara auf Gateway konsultiert hat. Da schwebt sie, einen Arm an einem Karteischrank, die Beine in der Luft, und spricht sehr ernsthaft; ihre dichten, schwarzen Brauen ziehen sich zusammen, lächeln wieder, ihr Gesicht grinst, schneidet Grimassen und wirkt dann wunderbar, einladend entspannt.
»Du kannst hören, was sie sagt, wenn du willst, Bob.«
»Will ich?«
»Nicht unbedingt. Aber es gibt keinen Grund, sich davor zu fürchten. Sie hat dich geliebt, Bob, so gut sie es verstand. Genauso, wie du sie geliebt hast.«
KONTOAUSZUG
An ROBINETTE BROADHEAD:
Ihrem Konto wurden folgende Beträge gutgeschrieben:
Garantiebonus für Mission 88-90A
und 88-90B (Überleben-Gesamt): $ 10 000 000 Wissenschaftsprämie: $ 8 500 000 Gesamt: $ 18 500 000 Derzeitiger KONTOSTAND: $ 18 506 036
Ich blicke lange Zeit hin, dann sage ich: »Schalt sie ab, Sigfrid.«
Im Erholungsraum schlafe ich für einen Augenblick fast ein. Ich bin noch nie so entspannt gewesen.
Ich wasche mir das Gesicht, rauche noch eine Zigarette, dann gehe ich hinaus in das helle, diffuse Tageslicht unter der Kuppel, und alles sieht so gut und freundlich aus. Ich denke in Liebe und mit Zärtlichkeit an Klara, und in meinem Herzen sage ich ihr Lebewohl. Dann denke ich an S. Ya., mit der ich am Abend verabredet bin – wenn ich mich nicht schon verspätet habe! Aber sie wird warten; sie ist ein feiner Kerl, fast so gut wie Klara.
Klara.
Ich bleibe mitten auf der Straße stehen, und die Leute prallen mit mir zusammen. Eine kleine, alte Dame in superkurzen Shorts trippelt heran und sagt: »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Ich starre sie an und antworte nicht, dann drehe ich mich um und gehe zurück zu Sigfrids Sprechzimmer.
Es ist niemand da, nicht einmal ein Hologramm. Ich brülle: »Sigfrid! Wo, zum Teufel, bist du?«
Niemand. Keine Antwort. Ich bin zum ersten Mal im Zimmer, wenn es nicht eingerichtet ist. Ich kann jetzt sehen, was echt ist und was Hologramm war; nicht viel ist echt. Metallwände, Vorsprünge für Projektoren. Die Matte (echt); der Schrank mit dem Sherry (echt); ein paar andere Möbelstücke. Aber kein Sigfrid. Nicht einmal der Stuhl, auf dem er sonst sitzt.
»Sigfrid!«
Ich schreie unaufhörlich, während mir das Herz in die Kehle springt und mein Gehirn rotiert.
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