Wenn wir Essie aufweckten und ihr das erzählten, würde sie mich sofort ins Bett stecken, die chirurgischen Programme aufrufen und mich allem ausliefern, was der medizinische Vollschutz zu bieten hatte. Um ehrlich zu sein, schien diese Aussicht immer verlockender. Schmerzen machten mir mehr Angst als der Tod. Sterben war etwas, das man hinter sich bringen konnte, während die Schmerzen niemals zu enden schienen.
Aber nicht gerade jetzt! »Da führt kein Weg hin, Albert«, lehnte ich ab. »Wenigstens nicht so lange, bis du mit dem rausgerückt bist, was du so schamhaft verbirgst. Willst du behaupten, dass ich irgendwo einen falschen Schluss gezogen habe? Wenn ja, dann bitte, wo!«
»Nur bei der Bezeichnung von Audee Walthers’ Wahrnehmung als Hitschi, Robin«, sagte er und kratzte sich mit dem Pfeifenstiel am Kinn.
Ich setzte mich gerade auf und hielt mir den Bauch. Die plötzliche Bewegung war keine sehr gute Idee gewesen. »Was, zum Teufel, könnte es sonst sein, Albert?«
»Lass uns die Aussagen noch einmal durchgehen«, schlug er ernst vor. »Walthers berichtete, dass die Intelligenz, die er wahrnahm, langsam zu werden schien, ja anhielt. Das deckt sich mit der Hypothese, dass es ein Hitschi ist, weil man annimmt, dass sie in einem Schwarzen Loch stecken, wo die Zeit verlangsamt ist.«
»Stimmt. Dann aber …«
»Zweitens«, fuhr er fort. »Die Entdeckung erfolgte im interstellaren Raum. Auch das ist richtig, da man weiß, dass die Hitschi die Fähigkeit besitzen, sich dort aufzuhalten.«
»Albert!«
»Schließlich«, führte er ruhig weiter aus, ohne sich um meinen Tonfall zu kümmern. »Entdeckt wurde eine intelligente Form des Lebens, die sich von der unseren unterscheidet.« Er zwinkerte mir zu. »Oder sollte ich sagen, von der menschlichen Rasse unterscheidet? Die Hitschi sind die einzige Lebensform, von denen das bekannt ist. Andererseits«, gab er freundlich zu bedenken, »wirft die Kopie des Schiffslogs, die Captain Walthers mitgebracht hat, einige ernste Fragen auf.«
»Nun mach schon, verdammt noch mal!«
»Selbstverständlich, Robin. Ich werde dir mal die Daten vorführen.« Er bewegte sich in seinem holographischen Rahmen zur Seite. Eine Schiffskarte tauchte auf. Darauf konnte man einen weit entfernten, blassen Klumpen erkennen. Die Symbole und Ziffern am Rand rechts daneben tanzten. »Beachte die Geschwindigkeit, Robin. Achtzehnhundert Kilometer pro Sekunde. Das ist für ein natürliches Objekt keine unmögliche Geschwindigkeit – sagen wir, für die Kondensation einer Wellenfront einer Supernova. Aber für ein Hitschi-Fahrzeug? Warum sollte es sich so langsam bewegen? Und sieht das wirklich wie ein Hitschi-Schiff aus?«
»Es sieht überhaupt nicht wie irgendetwas aus! Du meine Güte! Es ist nur ein verschwommener Fleck in extremer Entfernung. Man kann überhaupt nichts unterscheiden.«
Die kleine Figur Alberts auf der einen Seite der Karte nickte. »Nicht so, wie es jetzt ist«, gab er zu. »Aber es ist mir gelungen, das Bild zu vergrößern. Es gibt natürlich auch noch einen anderen negativen Gesichtspunkt. Wenn der Ursprung tatsächlich ein Schwarzes Loch ist …«
»Was?«
Er tat so, als habe er mich missverstanden. »Ich sagte gerade, die Hypothese, dass der Ursprung in einem Schwarzen Loch liegt, stimmt nicht mit dem völligen Fehlen von Gamma- oder Röntgenstrahlung in dieser Gegend überein, die durch das Ansaugen von Staub und Gas auftreten müsste.«
»Albert«, hielt ich ihm vor. »Manchmal gehst du zu weit.«
Er blickte mich mit sorgenvoll halb geschlossenen Augen an. Ich kenne diese ruhigen Blicke Alberts und sein Vortäuschen, Dinge vergessen zu haben. Alles nur Effekthascherei! Die entsprechen keineswegs der Realität – besonders nicht, wenn er mir direkt in die Augen blickt. Die abgebildeten Augen Alberts in den Holobildern sehen nicht mehr als die auf einer Fotografie. Wenn er mich fühlt – und er fühlte mich tatsächlich gut –, geschieht das durch die Kameralinsen und Ultraschallimpulse, sowie durch Sonden und Thermalabbilder. Keines dieser Geräte ist in der Nähe der Augen von Alberts Bild untergebracht. Trotzdem gibt es Momente, in denen diese Augen direkt in meine Seele zu sehen scheinen. »Du willst glauben, dass es sich um Hitschi handelt, nicht wahr, Robin?«, fragte er mich leise.
»Das geht dich gar nichts an! Zeig mir die Vergrößerung!«
»Na schön!«
Das Bild verschwamm … wurde gesprenkelt … und dann klar. Ich schaute auf eine riesige Libelle. Sie ging noch über den Rahmen des Schirms von Alberts kleiner Peepshow hinaus. Man konnte den größten Teil der Netzflügel erkennen, weil sie die Sterne dahinter verdunkelten. Wo alle Flügel zusammentrafen, war ein zylinderförmiges Gebilde mit funkelnden Lichtpunkten auf der Oberfläche. Auch auf den Flügeln glitzerte etwas.
»Es ist ein Segelschiff!« Ich staunte.
»Ja. Ein Segelschiff«, stimmte mir Albert zu. »Ein Photonen-Raumschiff. Der einzige Antrieb ist der Lichtdruck auf die verschiedenen Segel.«
»Aber Albert … das muss ja ewig dauern.«
Er nickte. »Nach menschlicher Rechnung – ja. Das ist eine gute Beschreibung. Bei der geschätzten Geschwindigkeit würde eine Fahrt von, nehmen wir mal an, der Erde bis zum nächsten Stern, Alpha Centauri, etwa sechshundert Jahre dauern.«
»Mein Gott! Sechshundert Jahre in dem kleinen Ding.«
»Es ist nicht klein, Robin«, verbesserte er mich. »Es ist weiter weg, als du denkst. Meine Entfernungsdaten sind nur Näherungswerte, aber meiner Schätzung nach ist die Entfernung von Segelspitze zu Segelspitze nicht weniger als hunderttausend Kilometer.«
Auf der Damastcouch schnarchte Essie. Dann wechselte sie die Lage, schaute mich an und sagte vorwurfsvoll: »Immer noch auf, hm?« Dann schloss sie die Augen wieder – alles ohne aufzuwachen.
Ich lehnte mich zurück. Erschöpfung und Schmerzen übermannten mich beinahe. »Ich wünschte, ich wäre schläfrig«, sagte ich. »Ich muss das alles erst mal eine Zeit lang schmoren lassen, ehe ich es verdauen kann.«
»Natürlich, Robin. Darf ich dir einen Vorschlag machen?«, fragte Albert hinterlistig. »Du hast nicht viel zu Abend gegessen. Lass mich dir eine schöne Erbsensuppe oder Fischcremesuppe zubereiten …«
»Du weißt, was mich einschlafen lässt, nicht wahr?«, lobte ich ihn, beinahe lachend. Ich war froh, dass er meine Gedanken wieder auf die Erde gebracht hatte. »Warum nicht!«
Ich ging wieder zurück in die Essecke, ließ Alberts Barkeeper-Subprogramm mir einen schönen heißen Grog bringen. Albert selbst erschien auf dem PV-Schirm über der Anrichte, um mir Gesellschaft zu leisten. »Sehr gut«, bemerkte ich anerkennend und trank aus. »Lass uns noch einen heben, ehe ich esse!«
»Selbstverständlich, Robin«, sagte er und spielte mit dem Pfeifenstiel. »Robin?«
»Ja?« Dabei griff ich nach einem frischen Drink.
»Robin«, sagte er verlegen, »ich hab’ da so eine Idee.«
Ich war gerade in der richtigen Stimmung für neue Ideen. Deshalb zog ich eine Braue hoch als Zeichen der Zustimmung weiterzusprechen. »Walthers hat mich auf den Gedanken gebracht: Institutionalisiere, was du für ihn getan hast! Setze jährliche Preise aus! Vergleichbar den Nobelpreisen oder den Gateway-Wissenschaftsprämien. Sechs Preise pro Jahr zu je hunderttausend Dollar. Jeden für Leistungen auf einem ganz bestimmten Gebiet in Wissenschaft und Forschung. Ich habe mal einen Etat aufgestellt …« Er ging zur Seite und schaute auf eine Ecke des Bildschirms. Eine saubere Aufstellung erschien. »Daraus geht hervor, dass für nominelle Anfangsausgaben von sechshundert Dollar pro Jahr, die man fast ganz durch Steuerersparnisse und Finanzierung durch Dritte decken kann …«
»Halt mal die Luft an, Albert! Spiel nicht meinen Buchhalter! Du bist mein wissenschaftlicher Berater. Preise – wofür?«
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