»Gateway wird es nicht schätzen, erpresst zu werden«, meinte ich. »Aber vielleicht bleibt den Leuten keine andere Wahl.«
»Allerdings nicht«, bestätigte er. »Was an Mr. Herters Plan nicht stimmt, ist, dass er nichts einbringen wird. Ich bin sicher, dass man das Geld bezahlen wird. Ich bin auch davon überzeugt, dass man mich streng überwachen und Wanzen in meinem Büro anbringen wird, und dass die Justizministerien aller am Gateway-Vertrag beteiligten Länder Strafverfahren gegen Mr. Herter vorbereiten werden, sobald er zurückkommt. Ich will in diesen Verfahren nicht als Mittäter genannt werden, Mr. Broadhead. Ich weiß, was geschehen wird. Man wird das Geld finden und es ihm wieder wegnehmen. Man wird Mr. Herters früheren Vertrag für nichtig erklären, weil er sich selbst nicht daran gehalten hat. Und man wird ihn – zumindest ihn – ins Gefängnis stecken.«
»Sie sind in einer schwierigen Lage, Mr. Haagenbusch«, sagte ich.
Er lachte leise und trocken. Seine Augen wirkten nicht belustigt. Er strich sich kurz den Backenbart und platzte dann heraus: »Sie haben ja keine Ahnung! Jeden Tag lange verschlüsselte Instruktionen! Fordern Sie das, garantieren Sie das, ich ziehe Sie dafür persönlich zur Verantwortung! Dann schicke ich eine Antwort, die fünfundzwanzig Tage braucht, um anzukommen, und er hat mir inzwischen fünfzig neue Anweisungen geschickt, seine Gedanken sind weiß Gott wo, er macht mir Vorwürfe und droht mir. Er ist kein gesunder und ganz gewiss kein junger Mensch mehr. Ich glaube gar nicht, dass er es erleben wird, von dem erpressten Geld etwas zu sehen – aber möglich wäre es doch.«
»Warum geben Sie nicht auf?«
»Das würde ich tun, wenn ich könnte. Aber was ist, wenn ich aufhöre? Dann hat er niemanden mehr auf seiner Seite. Was würde er dann tun, Mr. Broadhead? Außerdem …« Er zuckte die Achseln, »ist er ein sehr alter Freund, Mr. Broadhead. Er ist mit meinem Vater zur Schule gegangen. Nein. Ich kann nicht aufhören. Ich kann jedoch auch nicht tun, was er verlangt. Aber vielleicht können Sie es. Nicht, indem Sie eine Viertelmilliarde Dollar bezahlen, nein – Sie hatten nie so viel Geld. Aber Sie können ihn zu Ihrem gleichberechtigten Teilhaber machen. Ich glaube, das würde er … nein. Ich glaube, er könnte das akzeptieren.«
»Aber ich habe doch schon …« Ich verstummte. Wenn Haagenbusch nicht wusste, dass ich die Hälfte meines Besitzes schon Bover übergeben hatte, wollte ich es ihm nicht verraten. »Weshalb würde ich diesen Vertrag nicht auch für nichtig erklären lassen?«, fragte ich.
Er zog die Schultern hoch.
»Das würden Sie vielleicht tun, aber ich glaube es nicht. Sie sind ein Symbol für ihn, Mr. Broadhead, und ich schätze, Ihnen würde er vertrauen. Sehen Sie, ich glaube zu wissen, was er sich von alledem erhofft. Er möchte für den Rest seines Daseins so leben wie Sie.« Er stand auf. »Ich erwarte nicht, dass Sie sofort zustimmen«, erklärte er. »Ich habe vielleicht vierundzwanzig Stunden, bevor ich Mr. Herter antworten muss. Bitte, denken Sie darüber nach, und ich melde mich morgen wieder.«
Ich gab ihm die Hand, ließ ihm von Harriet ein Taxi rufen und stand mit ihm in der Einfahrt, bis es heranrollte und ihn rasch in die frühe Dunkelheit davontrug.
Als ich in mein Zimmer zurückkam, stand Essie am Fenster und blickte auf die Lichter am Ufer des Tappan-Sees hinaus. Es war mir plötzlich klar, wer sie an diesem Tag besucht hatte. Eine Person war auf jeden Fall ihre Friseuse gewesen; der lohfarbene Wasserfall von Haaren hing wieder glänzend und dicht bis zu ihren Hüften herab, und als sie sich umdrehte und mich anlächelte, war sie wieder dieselbe Essie, die vor so vielen Wochen nach Arizona gefahren war.
»Du hast mit dem kleinen Mann so lange gesprochen«, meinte sie. »Du musst hungrig sein.« Sie sah mich einen Augenblick an und lachte. Die Fragen in meinem Inneren waren meinem Gesicht wohl abzulesen, denn sie antwortete darauf. »Erstens, das Abendessen steht bereit. Etwas Leichtes, das wir jederzeit essen können. Zweitens, es ist in unserem Zimmer serviert, und du kannst kommen, wann du möchtest. Und drittens, ja, Robin, ich habe Wilmas Versicherung, dass das alles völlig in Ordnung ist. Geht mir viel besser, als du glaubst, Robin, Schatz.«
»Du siehst auch so gesund aus, wie man nur sein kann«, sagte ich und muss wohl gelächelt haben, weil die hellen, vollkommenen Brauen sich zusammenzogen.
»Lachst du über den Zirkus, den eine lüsterne Ehefrau aufführt?«, fragte sie scharf.
»O nein! Nein, das ist es ganz und gar nicht«, sagte ich und legte den Arm um sie. »Ich habe mich vorhin nur gefragt, woher es kommt, dass irgendein Mensch so leben möchte, wie ich jetzt lebe. Aber nun weiß ich es.«
Tja. Wir liebten uns vorsichtig und langsam, und als ich sah, dass sie nicht zerbrechen würde, machten wir es noch einmal, grober und wilder. Dann aßen wir fast alles, was auf dem Sideboard für uns angerichtet worden war, lungerten herum und umarmten uns immer wieder, bis wir uns noch einmal liebten. Danach dösten wir einfach einige Zeit vor uns hin, wie die Löffel aneinander geschmiegt, bis Essie zu meinem Nacken sagte: »Für einen alten Bock eine sehr eindrucksvolle Leistung, Robin. Nicht einmal schlecht für einen Siebzehnjährigen.«
Ich reckte mich und gähnte im Liegen und rieb meinen Rücken an ihrem Bauch und den Brüsten.
»Du bist wirklich enorm schnell gesund geworden«, meinte ich.
Sie antwortete nicht und rieb nur die Nase an meinem Hals. Ich verfüge über eine Art Radar, unsichtbar und unhörbar, der mir die Wahrheit verrät. Ich blieb kurz liegen, dann machte ich mich los und setzte mich auf.
»Liebste Essie«, sagte ich, »warum erzählst du es mir nicht?«
Sie lag in meinem Arm, das Gesicht an meinen Rippen. »Was denn?«, fragte sie unschuldig.
»Komm schon, Essie.« Als sie nicht antwortete, sagte ich: »Muss ich Wilma aus dem Bett holen, damit sie es mir sagt?«
Sie gähnte und setzte sich auf. Es war ein unechtes Gähnen; als sie mich ansah, waren ihre Augen hellwach.
»Wilma ist sehr konservativ«, sagte sie achselzuckend. »Es gibt manche Medizin, die Heilung fördert, Kortikosteroide und dergleichen, die sie mir nicht geben wollte. Bei diesen Medikamenten besteht die Gefahr, dass sich viele Jahre später Folgeschäden einstellen – aber bis dahin wird der medizinische Vollschutz sicher damit zurechtkommen. Ich bestand also darauf. Ich habe sie sehr, sehr zornig gemacht.«
»Folgeschäden! Du meinst Leukämie!«
»Ja, vielleicht. Aber höchstwahrscheinlich nicht. Gewiss nicht bald.«
Ich stieg aus dem Bett und setzte mich nackt auf die Kante, damit ich sie besser ansehen konnte.
»Essie, warum? «
Sie legte die Daumen unter ihr langes Haar und schob es aus ihrem Gesicht zurück, während sie meinen scharfen Blick erwiderte.
»Weil ich es eilig hatte«, sagte sie. »Weil du schließlich Anspruch auf eine gesunde Frau hast. Weil es unbequem ist, durch einen Katheter zu pinkeln, um nicht zu sagen, unästhetisch. Weil es meine Entscheidung war und ich sie getroffen habe.« Sie warf die Bettdecke zurück und sank auf die Kissen. »Schau mich an, Robin«, sagte sie. »Nicht einmal Narben! Und innerlich, unter der Haut, alles völlig in Ordnung. Kann essen, verdauen, ausscheiden, lieben, dein Kind empfangen, wenn wir das wünschen sollten. Nicht nächsten Frühling oder vielleicht nächstes Jahr. Jetzt.«
Und alles stimmte. Ich konnte es selbst sehen. Ihr langer, hellhäutiger Körper war ohne Narben – nein, nicht ganz; an ihrer linken Körperseite sah man einen unregelmäßigen, helleren Streifen neuer Haut. Aber man musste genau hinsehen, um ihn zu erkennen, und es gab sonst nichts, was verriet, dass sie vor Wochen zerfetzt, verstümmelt und sogar tot gewesen war.
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