»Aber zuerst wollen wir es Pflanzer sagen.«
»Uns von ihm verabschieden, meinst du.«
»Ja, das meine ich.«
Sie begaben sich zu dem Labor, in dem sich Pflanzers Isolierraum befand. Die Pequenino-Forscher, die geschlafen hatten, waren wieder wach und hatten sich zusammengefunden, um in Pflanzers letzten Stunden über ihn zu wachen. Miro war wieder bei Pflanzer, und diesmal baten sie ihn nicht zu gehen, obwohl Ender wußte, daß sowohl Ela als auch Quara gern zu ihm gegangen wären. Statt dessen sprachen sie über das Lautsprechersystem mit ihm und erklärten ihm, was sie entdeckt hatten. Dieser halbe Erfolg war auf seine Art schlimmer als ein kompletter Fehlschlag, denn er konnte leicht zur Vernichtung aller Pequeninos führen, wenn die Menschen auf Lusitania nur verzweifelt genug sein würden.
»Ihr werdet es nicht benutzten«, flüsterte Pflanzer. Die Mikrofone konnten trotz ihrer Empfindlichkeit seine Stimme kaum aufnehmen.
»Wir nicht«, sagte Quara. »Aber wir sind nicht die einzigen Menschen hier.«
Seine letzten Worte waren nicht verständlich; sie lasen später seine Lippenbewegungen von der Holoaufzeichnung ab, um zu erfahren, was er gesagt hatte. Und nachdem er es gesagt und ihre Abschiedsworte vernommen hatte, starb er.
In dem Augenblick, da die Überwachungsgeräte seinen Tod bestätigten, stürmten die Pequeninos der Forschergruppe in den Isolierraum. Sterilisation war jetzt überflüssig; im Gegenteil, sie wollten die Descolada mit sich bringen. Sie schoben Miro barsch aus dem Weg und machten sich an die Arbeit, injizierten den Virus in jeden Teil von Pflanzers Körper, Hunderte von Injektionen in ein paar Augenblicken. Sie hatten sich offensichtlich darauf vorbereitet. Sie würden Pflanzers Opfer im Leben respektieren – doch sobald er erst tot und seine Ehre gewahrt war, versuchten sie alles, um ihn für das dritte Leben zu retten, falls dies möglich sein sollte.
Sie brachten ihn auf die Lichtung, auf der Mensch und Wühler standen, und legten ihn auf eine vorher markierte Stelle, so daß er mit den beiden jungen Vaterbäumen ein gleichschenkliges Dreieck bildete. Sie zogen ihm die Haut ab und öffneten seine Leiche. Innerhalb von ein paar Stunden wuchs ein Baum, und kurze Zeit über bestand Hoffnung, daß es sich um einen Vaterbaum handelte. Doch die Brüder, die darin erfahren waren, einen jungen Vaterbaum zu erkennen, brauchten nur ein paar Tage, um zu erkennen, daß der Versuch gescheitert war. Der Baum verfügte über Leben und enthielt Pflanzers Gene; doch die Erinnerungen, der Wille, die Person waren verloren. Der Baum war stumm; er verfügte über keinen Verstand, der mit den anderen Vaterbäumen ständig Zwiesprache halten konnte. Pflanzer hatte den Entschluß gefaßt, sich von der Descolada zu befreien, selbst wenn es bedeutete, daß er das dritte Leben verlor, das das Geschenk der Descolada an jene war, die sie besaß. Er hatte Erfolg gehabt und, indem er verloren hatte, gewonnen.
Er hatte auch noch mit etwas anderem Erfolg gehabt. Die Pequeninos nahmen Abstand von der Gewohnheit, den Namen eines bloßen Bruderbaums schnell zu vergessen. Obwohl keine kleine Mutter jemals über seine Borke kriechen würde, wurde der Bruderbaum, der aus seiner Leiche gewachsen war, als Pflanzer bekannt und mit Respekt behandelt, als wäre er ein Vaterbaum. Überdies wurde seine Geschichte immer und immer wieder auf ganz Lusitania erzählt, überall, wo Pequeninos lebten. Er hatte bewiesen, daß die Pequeninos auch ohne die Descolada intelligent waren; er hatte ein edles Opfer gebracht, und der Name Pflanzer erinnerte alle Pequeninos an ihre grundlegende Freiheit von dem Virus, der sie in Ketten gelegt hatte.
Doch Pflanzers Tod führte nicht zu einer Pause bei den Vorbereitungen der Kolonisation anderer Welten durch die Pequeninos. Kriegmachers Fraktion hatte jetzt die Mehrheit, und als sich Gerüchte verbreiteten, die Menschen hätten ein Bakterium, das die Descolada töten konnte, setzten sie ihre Bestrebungen noch dringlicher fort. Schnell, sagten sie immer wieder zu der Schwarmkönigin. Schnell, damit wir uns von dieser Welt befreien können, bevor sich die Menschen entschließen, uns alle zu töten.
»Ich glaube, ich kann es schaffen«, sagte Jane. »Wenn das Schiff klein und einfach ist, eine Fracht so gut wie nicht vorhanden und die Besatzung so gering wie möglich, kann ich das Muster in meinem Geist halten. Wenn die Reise kurz und der Aufenthalt im Außen-Raum sehr kurz ist. Was den Start- und Zielpunkt betrifft, ist es ein Kinderspiel. Ich müßte es auf den Millimeter genau hinbekommen und könnte es sogar im Schlaf. Also sind Vorrichtungen zur Beschleunigung oder komplizierte Lebenserhaltungssysteme überflüssig. Das Sternenschiff kann ganz einfach konstruiert sein. Eine abgeschottete Umgebung, Plätze, Licht, Wärme. Wenn ich alles zusammenhalten und uns dorthin und wieder zurück bringen kann, werden wir nicht einmal lange genug im All sein, um den Sauerstoffvorrat in dem kleinen Raum aufzubrauchen.«
Sie hatten sich alle im Büro des Bischofs versammelt, um mit ihr zu sprechen – die gesamte Familie Ribeira, Jakts und Valentines Familie, die Pequeninoforscher, mehrere Priester und Filhos und vielleicht ein Dutzend anderer Anführer der Menschenkolonie. Der Bischof hatte darauf bestanden, das Treffen in seinem Büro abzuhalten. »Weil es groß genug ist«, hatte er gesagt, »und weil ich dabei sein möchte, um Gott zu bitten, gnädig mit euch zu verfahren, wenn ihr wie Nimrod ausziehen und vor dem Herren jagen, wenn ihr ein Raumschiff in den Himmel schicken wollt, das wie einst Babel das Gesicht Gottes suchen soll.«
»Wieviel Kapazität bleibt dir dann noch?« fragte Ender.
»Nicht mehr viel«, antwortete Jane. »Während des Versuchs wird sowieso schon jeder Computer auf den Hundert Welten nur noch quälend langsam arbeiten können. Ich muß ihre Speicher benutzen, um das Muster aufnehmen zu können.«
»Ich frage, weil wir ein Experiment durchführen wollen, während wir dort draußen sind.«
»Rede nicht darum herum, Ender«, sagte Ela. »Wir wollen ein Wunder durchführen, während wir dort sind. Wenn wir überhaupt ins Außen gelangen, heißt das, daß Grego und Olhado wahrscheinlich richtig vermutet haben, wie es dort aussieht. Und das heißt, daß dort andere Regeln gelten. Man kann Dinge erschaffen, indem man sich einfach ihr Muster vorstellt. Deshalb will ich mitfliegen. Es besteht die Chance, daß ich, wenn ich das Muster der Recolada im Sinn habe, sie dort tatsächlich erschaffen kann. Ich könnte einen Virus zurückbringen, den ich im Realraum nicht konstruieren kann. Kannst du mich mitnehmen? Kannst du lange genug dort bleiben, daß ich den Virus erschaffen kann?«
»Wie lange ist das?« fragte Jane.
»Es müßte praktisch ohne Zeitverlust gehen«, sagte Grego. »In dem Augenblick, in dem wir dort eintreffen, müßten alle voll ausgebildeten Muster, die wir im Kopf haben, in einem Zeitraum geschaffen werden, der zu kurz ist, als daß Menschen ihn messen könnten. Aber es wird dauern, den Virus zu analysieren, um festzustellen, ob es auch der ist, den sie haben will. Vielleicht fünf Minuten.«
»Ja«, sagte Jane. »Wenn ich es überhaupt schaffe, schaffe ich es auch fünf Minuten lang.«
»Der Rest der Crew«, sagte Ender.
»Der Rest der Crew wird aus dir und Miro bestehen«, erwiderte Jane. »Und aus niemandem sonst.«
Grego protestierte am lautesten, aber er war nicht der einzige.
»Ich bin Pilot«, sagte Jakt.
»Ich bin der einzige Pilot dieses Schiffes«, sagte Jane.
»Olhado und ich sind auf die Idee gekommen«, sagte Grego.
»Ender und Miro werden mitfliegen, weil es ohne sie nicht geht. Ich existiere in Ender – er nimmt mich mit, wohin er auch geht. Miro hingegen steht mir mittlerweile so nahe, daß er womöglich Teil des Musters ist, das ich bin. Ich will ihn dabeihaben, weil ich ohne ihn vielleicht nicht vollständig bin. Sonst kann niemand mitkommen. Ich kann niemanden mehr in das Muster aufnehmen. Ela ist die einzige Ausnahme.«
Читать дальше