»Ich sage Ihnen doch, daß sie die Dinge nicht so sehen wie wir«, sagte Dawson. Seine Stimme hallte laut durch das Schweigen. »John, schließlich haben sie die Filme nicht gemacht, sondern in Kansas gefunden. Vergessen Sie das nicht!«
Einer der Lehrer trompetete.
»Rästapispmins befiehlt, daß einer nach dem anderen seine Meinung kundtut«, sagte Tashajämp.
»Es gibt eine ganze Anzahl von Bedeutungen für gut und schlecht«, begann Dawson, doch die Lehrerin unterbrach ihn.
»Nicht du sollst anfangen«, sagte sie. Sie wies auf die Russen. »Was ist hieran schlecht?«
»Es ist Schmutz, perverses Zeug. Typischer kapitalistischer Unrat, der das Bewußtsein einlullt«, sagte Dmitri. »Wen überrascht das denn noch? Das kapitalistische System schmeichelt jedem, der Geld hat, und es bringt unvermeidlich Dekadenz hervor.«
»Es geht um den Grundsatz der Meinungsfreiheit!« rief Dawson. »Mir gefällt es nicht, aber das muß es auch nicht. Wenn wir den Leuten das Maul verbieten wollten, wo kämen wir da…«
»Nicht wir«, fiel ihm Carrie Woodward ins Wort. »Wir würden Kerle einsperren, die so was unters Volk bringen, wenn es nicht nach der Bundesregierung ginge. Unsere Stadt war ordentlich und sauber, bis ihr mit euren Richtern und Gesetzen gekommen seid.«
Die beiden Lehrer sprachen gleichzeitig, bis der Herr der Herde wiederum Ruhe gebot. Tashajämp redete unaufhörlich, offensichtlich übersetzte sie, was gesagt worden war, denn sie benutzte mehrere Erdlingsworte.
»Ihr haltet das für schlecht«, sagte Tashajämp. »Jeder, der es für schlecht hält, zeigt seine Grifflinge.«
Die Woodwards streckten die Hände so hoch sie konnten, die Russen taten desgleichen. Auch Jeri hob die Hand. Was glaube ich wirklich? Natürlich möchte ich nicht, daß Melissa das Zeug ansieht. Sie könnte sonst falsche Vorstellungen von den Beziehungen zwischen Mann und Frau bekommen. Frauen sind kein Spielzeug! Meinungsfreiheit schön und gut, aber mir wäre wohler, wenn es nach wie vor Gesetze gegen Schmutz und Schund gäbe. Alles andere ist doch nur Wasser auf die Mühlen der Perversen…
Dawson zögerte, hob dann aber schließlich auch die Hand.
»Du stimmst also zu, daß es schlecht ist?« fragte Tashajämp.
»Für Kinder ja«, sagte Dawson. »Nur glaube ich nicht, daß wir das Recht haben, es zu unterbinden.«
»Warum schlecht für Kinder?«
»Dieser Schmutz ist für niemanden gut«, protestierte Carrie Woodward.
»Ihr tut das – so etwas nicht?« fragte Tashajämp.
Jeri unterdrückte ein Lachen. Carrie Woodwards Gesicht wurde puterrot. »Großer Gott, nein, natürlich nicht, niemand tut das… ah… wirklich.«
»Stimmt das? Tut niemand so etwas?«
»Manche wohl schon«, gab John Woodward zu. »Aber anständige Menschen nicht. Und bestimmt zeigen sie es nicht im Film!«
»Das Wort ›anständig‹. Was bedeutet es?« wollte Tashajämp wissen.
»Rechtschaffen«, sagte Carrie Woodward. »Es bezeichnet Menschen, die so denken, wie sie handeln, wie es richtig ist – nicht wie manche, die ich kenne.«
Tashajämp übersetzte. Erneut unterhielten sich die Fithp erregt miteinander.
»Wir müssen vorsichtig sein«, sagte Wes Dawson. »Gott weiß, was für Vorstellungen die bekommen.«
»Keine, die sie nicht haben sollten, Herr Abgeordneter«, sagte Carrie Woodward mit fester Stimme.
»Sie denken aber nicht wie wir. Wir müssen auf jeden Fall alle dasselbe sagen«, beharrte Dawson.
»Sagt möglichst wenig«, mischte Dmitri sich auf russisch ein. Jeri stellte überrascht fest, daß sie es noch verstand. Es ist schon so lange her…
Auch Dawson schien verstanden zu haben. »Richtig. Es ist das beste, wenn sie nicht allzuviel erfahren.«
»Erklärt das«, verlangte Tashajämp. »Wie viele Erdlinge tun Schlechtes?«
»Alle«, platzte Jeri heraus.
»Kapitalisten«, sagte Dmitri.
»Kommunisten«, gab John Woodward zurück.
»Alle Erdlinge tun Schlechtes?« fragte Tashajämp. »Alle tun, was sie nicht tun dürften? Sagt mir.«
Alle redeten jetzt durcheinander.
* * *
Jeri saß mit Melissa an der Wand. Sie beteiligte sich nicht an Wes Dawsons Unterhaltung mit den Russen, hörte aber jedes Wort mit.
»Vielleicht haben wir ihnen zuviel gesagt«, meinte Dmitri.
Dawson gab zu bedenken: »Sicher ist es besser, wenn sie uns verstehen…«
»Für das, was Sie ›verstehen‹ nennen, würde man Sie beim Militär wegen Geheimnisverrat an die Wand stellen«, sagte Arwid Rogatschow.
»Was kann es schaden? Sie haben ihnen doch selbst bei den Landkarten geholfen, Arwid!«
»Die zeigen mir Karten und Globen, ich nicke und nenne Ortsnamen. Damit haben Sie doch gar nichts zu tun.«
»Es hat durchaus mit uns zu tun, wenn Sie sich auf die Seite der Fithp stellen. Sie haben doch selbst gesehen, was die angerichtet haben. Tod und Zerstörung!«
»Ich weiß, was Krieg heißt.«
»Ist Ihnen klar, was sie hätten anrichten können? Sie haben einen Mordsasteroiden hierhergeschleppt, an den wir immer noch angekoppelt sind. Stellen Sie sich nur mal vor, sie hätten einen ebenso großen mitgebracht, aber aus Metall. Der wäre Hunderte von Milliarden Dollar wert. Wir würden mit ihnen verhandeln, Metalle gegen Land tauschen, gegen Zugeständnisse, Informationen – was sie wollen. Sie könnten sich damit ein ganzes Land zusammenkaufen. Wenn wir nicht mitmachten, stünde ihnen der Mordsasteroid noch immer als Druckmittel zur Verfügung.«
Dmitri Gruschin nickte und grinste ironisch. »Nur schade, daß sie nichts von Geld verstehen. Es sind keine Kapitalisten. Das ärgert Sie doch in Wirklichkeit, Dawson.«
John und Carrie Woodward hielten sich mit Gary in Jeris Nähe, soweit wie möglich von den Russen entfernt. Aber es war nicht weit genug, sie konnten immer noch mithören.
So schwer es ihnen fällt, wir müssen unbedingt mit den Russen auskommen, dachte Jeri und sagte: »Carrie, ist euch aufgefallen, daß ihr und die Russen sehr Ähnliches gesagt habt?«
»Ja«, gab John Woodward zu, »das stimmt. Sie sind eben für Anstand und Sitte, nicht wie Dawson. Er hat keine moralischen Grundsätze.«
»Das wohl doch.«
»Es gibt Dinge, die man tun kann, und solche, die man nicht tun kann«, sagte Carrie Woodward. »Läuft nicht geistige Gesundheit darauf hinaus, daß man weiß, was recht und was unrecht ist?«
»Nein.« Alice saß ihnen an der anderen Wand gegenüber, so weit entfernt, daß die anderen sie fast vergessen hatten. »Sonst wäre ich nicht in Menningers Sanatorium gewesen.«
»Weshalb warst du dann da?«
»Das geht euch gar nichts an. Ich hatte immerzu Angst.«
»Wovor?« wollte Carrie Woodward wissen.
Alice sah beiseite.
Dawson blickte zu ihnen herüber. Die Woodwards mieden seinen Blick. Carrie sprach weiter mit Jeri, als sei Dawson Luft.
»Sag jetzt bloß nicht, daß du nie besser sein wolltest, als du bist«, sagte sie. »Jeder möchte das. Das bedeutet Menschsein doch letzten Endes.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Jeri. »Wir tun nicht, was wir für richtig halten, wohl aber Dinge, für die wir uns schämen – steht so was nicht auch irgendwo in der Bibel? Eigentlich haben die Menschen aber immer nur tun wollen, was richtig war.«
»Nur weiß niemand so recht, was richtig und was falsch ist«, wandte Dawson ein.
»Natürlich weiß man das«, hielt Jeri ihm entgegen. »Die meisten wissen das sogar sehr genau, zumindest normalerweise. Das Problem liegt darin, daß niemand es tut. Darin unterscheiden wir Menschen uns von den Steinen. Die haben keine Wahl; sie sind den Naturgesetzen unterworfen und tun, was sie müssen. Wir hingegen haben einen freien Willen.«
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte Arwid. »Wir würden es aber nicht Gesetze nennen, sondern…«
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