Die Gefangenen wirkten harmlos. Sie hatten sich furchtsam und vorsichtig in eine Ecke des Raumes zurückgezogen. Der Schwarze lag auf dem Rücken und versuchte sich umzudrehen. Er schien die Weltraumwesen zum erstenmal bewußt wahrzunehmen.
Rästapispmins forderte sie auf: »Tretet von dem Schwarzen weg.«
Der Umerzieher setzte einen Fuß nachdrücklich auf dessen Brust.
Dann hob er ihn und trat zurück. »Jetzt du«, sagte er und wies mit seinen Grifflingen auf den Verkrüppelten. »Komm!«
Die Gefangenen debattierten erregt. Dann rutschte Nikolai auf den Händen zu ihm hin.
Dawson hatte sich bewegt, ohne eine Erlaubnis dazu abzuwarten. Er kniete sich neben den Schwarzen und legte ihm die knochigen Finger an die Kehle. Dann sagte er auf englisch zu den anderen: »Er ist tot.«
Takpassih ließ diese Ungehörigkeit hingehen, um das Ritual nicht unterbrechen zu müssen.
»Umdrehen«, sagte Rästapispmins und bewegte seine Grifflinge in einem Kreis. Nikolai schien ihn nicht zu verstehen. Rästapispmins drehte ihn mit Gewalt auf den Rücken, setzte den Fuß auf die Brust des Mannes und trat dann beiseite. Er wies auf einen anderen. »Du.«
Einer nach dem anderen unterwarfen sich die Sowjetbürger, bis nur noch Dawson übrig war. Dann trat, wie es wohl abgesprochen war, Rästapispmins beiseite, und Takpassih ging auf Dawson zu.
Der Mann stand fest auf dem Boden, die Arme leicht gebeugt, die Handflächen nach außen gedreht. Takpassih vermutete, daß er mit dem Leben abgeschlossen hatte.
Es war ihm herzlich gleichgültig, ob Dawson das Ritual überlebte oder nicht. Er schwang seine Grifflinge mit nahezu voller Kraft. Dawson tauchte darunter hinweg und sprang vor. Takpassih ergriff ihn mit dem zurückschwingenden Rüssel und schleuderte ihn quer durch den Raum gegen die Wand. Noch während Dawson fiel, war Takpassih zur Stelle, packte ihn und drehte ihn auf den Rücken. Der Mann riß Mund und Augen auf. War er vor Angst erstarrt? Takpassih hob seinen Fuß über Dawsons Brust.
Mich hat man nahezu als letzten aufgetaut. Einige der Schläfer haben Hirnschäden davongetragen. Viele haben sich gewehrt, aber die meisten haben sich mit der neuen Lage abgefunden.
UmerzieherEins Rästapispmins hat die Unterwerfung der Erdlinge in aller Form entgegengenommen. Er ist mein Enkel, älter als ich, wenn ich die acht Jahre außer acht lasse, die ich geschlafen habe. Für ihn war das nichts Neues.
Auch mich mußte er umerziehen. Das war ihm unangenehm, sei es, weil wir verwandt sind oder weil ich ihn anschließend in seiner Aufgabe unterweisen mußte. »Deine Stellung wird sich nicht ändern, Großvater. Wer außer dir ist so gut dafür ausgebildet, fremde Lebensformen so zu erziehen, daß sie fähig sind, mit der Ziehenden Herde zu leben. Aber die Herde hat sich verändert, und du mußt erneut in sie aufgenommen werden.«
Ich drehe mich auf dem Boden, Füße in der Luft, Rüssel schlaff, verletzlich. Andere sehen zu. Der Fuß meines raumgeborenen Enkels auf meiner Brust. »So, es ist vorüber. Jetzt mußt du mit meiner Ausbildung beginnen«, seine Stimme leise, nur für meine Ohren, »mich umerziehen. Ich muß etwas von dem erfahren, was uns zu tun aufgegeben ist.«
Noch heute spüre ich den Fuß, der leicht auf meine Brust drückt. Takpassih senkte seinen Vorderlauf. Ein einfaches Berühren würde hier nicht genügen, es ging nicht um eine symbolische Unterwerfung. Erst als er spürte, wie die Rippen des Mannes nachgaben, hob er den Fuß.
Dawson wartete, daß noch mehr kam, aber es blieb dabei. Er rollte sich zur Seite und stöhnte laut auf vor Schmerzen.
»Jetzt gehörst du zur Ziehenden Herde«, sagte Takpassih in seiner eigenen Sprache. Er sah, daß Dawson verstand und sich ein wenig zu entspannen schien. Er robbte zu den anderen Gefangenen hinüber. »Ist der Schwarze tot?« fragte Takpassih. »Was hat ihn umgebracht?«
Dmitri antwortete auf fithpisch: »Furcht vor dir. Furcht Fuß bringt Tod.«
Takpassih rief die Krieger herbei. Zwei kamen herunter und trugen den Schwarzen auf die Plattform. Sie schwebte nach oben, senkte sich dann wieder, um die Fithp einen nach dem anderen hinaufzubringen. Takpassih verließ sie als letzter.
Im allgemeinen ist es im Krieg am besten, ein Land zu besetzen, ohne ihm zu schaden; es zu zerstören, ist weniger günstig. Hundert Siege in hundert Schlachten erringen ist nicht der Gipfel der Kriegskunst. Er besteht darin, den Feind kampflos zu unterjochen.
SUN TZU
Über die Kriegskunst
Zeit: 100 Stunden nach der Stunde Null
Carlotta lag auf dem großen Himmelbett und versuchte, die Flecken an der Decke zu zählen. Ungebetene Vorstellungen bedrängten sie.
Vor ihrem inneren Auge sah sie erst eine aufgeblähte und zerfetzte Leiche vertrocknet und brüchig durch die leere schwarze Weite des Weltraums treiben, dann einen von Ungeheuern umstandenen Seziertisch.
Nein, ich will das nicht! Sie sprang aus dem Bett. Die Bodendielen knarrten unter ihren Füßen, als sie zur Tür stürmte. Das Haus war alt, als einfacher Viehzüchterhof in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut und entsprechend dem jeweiligen Familienzuwachs sowie den finanziellen Möglichkeiten erweitert worden. Von Carlottas Großmutter war es an ihre Schwester Juana gefallen, die einen inzwischen emeritierten Professor namens David Morgan geheiratet hatte. Gegenwärtig wurde es lediglich von vier Personen bewohnt: Carlotta, David, Juana und Lucy. Letztere war eine uralte Haushälterin aus Xuahaca. Juanas Kinder waren längst fortgezogen.
Sharon ist in New Hampshire. Ob ich sie je wiedersehe? Wenigstens hat das Telefon so lange funktioniert, daß ich ihr sagen konnte, sie solle dort bleiben, Gott sei Dank. Wie könnte sie jetzt reisen?
Helles Sonnenlicht erfüllte die Diele vor ihrem Schlafzimmer, und als sie die Küche betrat, sah sie auf der Wanduhr, daß es schon Nachmittag war. Hat Lucy die GinFlasche weggeräumt, oder sollte ich sie ausgetrunken haben, damit ich einschlafen konnte? Etwas müßte doch noch da sein. Sie trat an den Schrank, spürte aber dabei Lucys mißbilligenden Blick.
»Desayuno, Señora?«
»Gracias, no. Por favor, solamente café.« Ich setze mich im Morgenmantel nach draußen. Wer soll mich schon sehen, und wen könnte es stören?
Die Terrasse war viel zu groß. In Carlottas Kindertagen war dort ein Melonenfeld gewesen. Damals hatte man ihren Garten weithin im Land gerühmt. Mit Kürbissen, Melonen und anderen Erzeugnissen hatten die Trujillos auf landwirtschaftlichen Ausstellungen Preise eingeheimst. Einhübscher Sitzplatz. Sie setzte sich an den großen, schmiedeeisernen Tisch. In dem Augenblick, da Lucy den Kaffee vor sich hinstellte, begann es zu donnern.
Donner aus heiterem Himmel war in Kansas nichts Ungewöhnliches, aber dieser hier kam nicht in einzelnen, grollenden Schlägen, sondern dauerte an, nahm an Lautstärke zu, wurde schwächer und dann wieder lauter.
Schließlich zogen glänzende Pünktchen gerade, weiße Linien über den Himmel und säten ganze Wolken von weiteren Punkten aus, die west- und südwärts davontrieben. Lucy schrie vor Schreck laut auf, und da Carlotta die Alte beruhigen mußte, blieb sie selbst ruhig. Fallschirme. Eroberer. Jetzt ereilt mich das gleiche Schicksal wie Wes. Doch nichts zeigte sich unmittelbar über ihren Köpfen. Nicht hier. Jedenfalls noch nicht.
»Carla«, sagte eine Stimme hinter ihr.
»Ja, Juana?«
»Was ist das?« Der Lärm hatte ihre Schwester herausgelockt. Juana Morgan hielt ein kleines Transistorradio in der Hand, aus dem nichts als Rauschen drang, während sie fieberhaft den Tunerknopf hin- und herdrehte.
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