»Was kann ich tun? Ich brauche Hilfe.«
Und die ganze Zeit hören sie zu und beobachten uns, während wir darüber reden…
»Vielleicht«, sagte Arwid, »wäre es besser, wenn Sie das Ultimatum doch übermittelten. Man müßte es nur geschickt formulieren. Wir könnten Ihnen dabei helfen.« Er sah vielsagend zu Wes hinüber.
»Ich soll die Menschheit zur Übergabe auffordern! Sie wollen mir den Wortlaut vorschreiben. Sage ich etwas anderes, schalten sie mir den Ton ab. Was also nützt das alles?«
Arwid sah beiläufig auf die sie beobachtende Kamera. »Man könnte es umformulieren.«
Ein längeres Schweigen trat ein. Wes überlegte. »Natürlich werden die Fithp Hilfe bei der Formulierung brauchen. Ihr Englisch ist ja nicht umwerfend…«
»Eben, und Ihres ist erstklassig.«
* * *
Die anderen schliefen. Alice rollte sich, einen Arm vor dem Gesicht, schutzsuchend zu einer Kugel zusammen. Mit der anderen Hand hielt sie sich an der Wandverkleidung fest. Man hatte ihnen keine Decken gegeben, sie schliefen in dem, was sie tagsüber trugen. Es herrschte Rotationsschwere in Thaktan Flishithy, und Alice spürte eine Art Schwanken. Dmitris Schnarchen klang wie ein Klagegesang.
Alice streckte sich aus. Zum Teufel mit dem Schutz!
Der Abgeordnete Dawson schlief etwa einen Meter von den anderen entfernt. Er lag auf der Seite, den Kopf in die Armbeuge gelegt. Alice musterte ihn aufmerksam. Im Schlaf wirkte er harmlos. Er runzelte die Stirn. »FUSS«, murmelte er vor sich hin. »FUSS auf FUSS. Riesige Mee… Meteoriteneinschl…«
Jedermann in Menningers Sanatorium hatte unter Alpträumen gelitten. Oft war Alice mitten in der Nacht aufgewacht und hatte anderen zugesehen und zugehört… Ihnen ging es keine Spur besser als ihr. Der Gedanke hatte sie lange beschäftigt. Hätte sie früher nur öfter einmal eine Nacht gemeinsam mit anderen verbracht, dachte sie, dann wäre ihr bald klargeworden, daß sie sich nicht sehr von ihnen unterschied.
Und hätten ihre Eltern sie nicht auf eine Mädchenschule geschickt, hätte sie möglicherweise auch keine Schwierigkeiten im Umgang mit… dem anderen Geschlecht.
»Dinosaurier. O Gott, wie die Dinosaurier…«, sagte Dawson und stöhnte.
Armer Kerl. Zwar konnte er der Welt sagen, wie sie ihre Nahrungsmittelversorgung und Krankenhäuser zu schützen vermochte, doch woran würde man sich erinnern? Daran, daß Wes Dawson sie gedrängt hatte, sich den Scheusalen zu ergeben. Wes Dawson, der Verräter.
Ungerecht! Kaum hatte er von den Absichten der Scheusale erfahren, hatte er versucht, dem Lehrer Takpassih an die Gurgel zu gehen. Er hatte Mrs. Woodward davon erzählt, und Alice hatte mitgehört. Sie versuchte sich das vorzustellen. Es mußte ein kurzer Kampf gewesen sein.
So harmlos sah er im Schlaf aus; aber er war der einzige, der sich gewehrt hatte.
Mutig faßte Alice nach Wes Dawsons Handgelenk. Wenn sie zu schwach drückte, würde es ihn kitzeln, wenn sie zu fest drückte, würde er wach werden.
Er hörte auf zu atmen wie Alice selbst. Dann murmelte er: »Ich kann sie umbringen. Sie sind sterblich.« Sein Gesicht entspannte sich, seine Lippen öffneten sich leicht, und er schlief wieder tief.
Nach einer Weile kuschelte Alice sich an ihn.
31. Höchste Geheimhaltungsstufe
Wer bereit ist, um einer geringen vorläufigen Sicherheit willen wesentliche Freiheiten aufzugeben, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.
BENJAMIN FRANKLIN
* * *
Der Hubschrauber ging auf dem Parkplatz hinter einem merkwürdigen alten Gebäude nieder. Die Fundamente bestanden aus Granit, an jeder Ecke erhoben sich Backsteintürme. Ein älterer Mann wartete mit zwei weiteren auf sie. Sie trugen braune Uniformen und schützten sich mit Schirmen vor dem Nieselregen. Jenny und Jack folgten ihnen ins Innere des Gebäudes.
»Ich bin der Polizeichef, Ben Lafferty, und das sind zwei meiner Männer, Young und Hargman. Fragen Sie, was Sie wollen.«
»Eigentlich hatten wir mit Leuten von der militärischen Abwehr gerechnet«, sagte Jenny.
Lafferty verzog das Gesicht und beäugte Jennys frisch glänzendes silbernes Eichenblatt mit übertrieben zusammengekniffenen Augen. »Nun, Lieutenant Colonel, ich bin selbst Oberst der militärischen Abwehr. Offen gesagt bin ich hier der Ranghöchste.« Er hörte auf zu grinsen, und aus seinem Gesicht schwand schlagartig jegliche Jovialität. »Ich stamme von hier, meine Dame. Der Staat Washington hat die Hauptstadt Washington eigentlich nie so recht gebraucht, und Bellingham hat nie viel vom Staat bekommen. Es war ein hübsches Universitätsstädtchen, bis ihr Bundesleute gekommen seid.«
Jack Clybourne griff in die Tasche. Jenny legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich verstehe Sie«, sagte sie. »Wir tun nur unsere Pflicht.«
»Und worin besteht die? Was, zum Teufel, baut ihr da unten am Hafen? Erzählen Sie mir bloß nicht wieder den Quatsch mit dem Gewächshaus. Für so was braucht man keine riesigen Eisendinger, die unter Schleppkähnen hängend rangeschafft werden.«
»Wir sind im Krieg«, sagte Jack Clybourne.
»Davon haben wir gehört.«
»Gehört! Sie hätten das zerstörte Raumschiff sehen sollen!« Doch Jack Clybourne hatte sich gleich wieder gefangen. Lafferty war einen Schritt von ihm weggetreten. »Ich habe einige Filme mitgebracht und ich denke, ich kann Sie davon überzeugen, daß wirklich Krieg ist. Wir sind im Begriff, ihn zu verlieren und auf jede Hilfe und Zusammenarbeit angewiesen, die wir bekommen können.«
»Das kenne ich schon.« Der Polizeichef sah auf die Uhr. »Schön. Hargman und Young können sich um Sie kümmern. Ich habe einen Termin.« Er verließ das Büro, ohne sich noch einmal umzuwenden.
»Was hat er eigentlich?« wollte Jack Clybourne wissen.
Young überlegte einen Augenblick lang und sagte dann leise: »In gewisser Hinsicht hat er recht. Es lief alles prima, bis mit einem Schlag dieses große Gewächshausprojekt angekündigt wurde. Nur ist es kein Gewächshaus, nicht wahr? Sonst müßte der Bau ja nicht von einem Astronauten im Generalsrang überwacht werden.«
»Zufällig ist General Gillespie mein Schwager. Er gehört zu den Luftstreitkräften«, sagte Jenny.
»Ach ja? Und was haben die mit Grünkram zu tun? Wozu all diese Sicherheitsvorkehrungen, wenn es doch nur ein Gewächshaus ist?«
»Es gibt Gründe.«
Hargman schnaubte verächtlich. »Sicher. Und die sorgen dafür, daß eines schönen Tages ein Meteor auf unsere Stadt abgeworfen wird und alle umkommen.«
»Nicht wenn die Außerirdischen an das Gewächshaus glauben «, sagte Jenny. »Sie haben noch nie ein Lebensmittellager bombardiert.«
»Und woher sollen die wissen, daß es eines ist?«
»Vielleicht lassen Sie es einfach mal darauf ankommen«, sagte Jack. »Wenn die Rüßler erst mal erfahren, daß in Bellingham etwas vor sich geht, dann…« Er spreizte die Hände.
»… gibt es kein Bellingham mehr«, sagte Young. »Und wie könnten sie dahinterkommen?«
»Durch das Fernsehen. Oder einfach über das Radio, den Polizeifunk – sogar CBFunk.«
»Großer Gott«, sagte Hargman. »Und was für ein Geheimnis beschützen wir da?«
»Glauben Sie mir, es ist besser, wenn Sie es nicht wissen«, versicherte ihm Jack.
Jenny dachte an das graue Gesicht des Präsidenten. »Hört mal, wir sitzen doch alle im selben Boot, nicht wahr? Wichtig ist, daß niemand auf den Gedanken kommt, in Bellingham könnte es Geheimnisse geben. Auf dieser Grundlage sollten wir vorgehen.«
»Alle CBGeräte einsammeln«, knurrte Hargman. »Das wird bestimmt nicht einfach sein. Und werden Rüßler nicht erst recht mißtrauisch werden, wenn es hier kein CBGeplapper mehr gibt?«
Jack erwiderte: »Wir sorgen für Anlagen, über die viel geplauscht wird. Aber das machen unsere Leute. Vielen Dank.«
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