Corinne Hofmann - Wiedersehen in Barsaloi

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Corinne Hofmann

Wiedersehen in Barsaloi

Endlich

Es ist so weit. Fast vierzehn Jahre sind seit meiner Flucht aus Nairobi mit meiner damals eineinhalbjährigen Tochter Napirai vergangen, und jetzt sitze ich im Flugzeug, das mich erstmals wieder nach Kenia bringen wird.

Meine Gefühle sind in Aufruhr: Mal zieht und kribbelt es vor freudiger Erregung im Bauch, mal lässt eine seltsame Beklemmung meine Hände feucht und klebrig werden. Vor Aufregung könnte ich weinen und im nächsten Moment loslachen.

Bange Fragen schwirren in meinem Kopf herum. Wie werde ich mein einstiges Zuhause vorfinden? Was ist geblieben? Was hat sich verändert? Ist etwa der Fortschritt und der damit zum Teil verbundene hektische Lebensrhythmus schon so weit nach Kenia vorgedrungen, dass ich die Menschen und das Dörfchen Barsaloi im Norden Kenias nicht wiedererkennen werde? Vor vierzehn Jahren gab es dort nur die Mission, etwa acht Holzhäuschen, unseren gemauerten Shop und einige Manyatcas, die traditionellen runden und mit Kuhdung verputzten Behausungen der Samburu.

Neben mir im Flugzeug sitzen mein Verleger Albert Völkmann, der mich als „väterlicher Freund“ bei dieser Reise begleitet, und Klaus Kamphausen, der unsere Erlebnisse fotografisch und filmisch dokumentieren wird.

Ich bin erleichtert und dankbar, dass ich dieses Abenteuer nicht allein antreten muss.

Während des Fluges stelle ich mir immer wieder die Menschen vor, die ich so lange nicht mehr gesehen habe.

Meine Schwiegermama, die ich bis heute sehr verehre, meinen damaligen Ehemann Lketinga, James, seinen jüngeren Bruder,

Saguna und viele mehr. Auch Pater Giuliani, der mir mehr als einmal das Leben gerettet hat, wollen wir in seiner neuen Mission besuchen, sofern wir diese finden können. Ich hoffe, dass alles gut geht und ich nicht aus irgendwelchen Gründen schon am Flughafen in Nairobi festhängen werde.

Endlich döse ich ein. Als ich nach ein paar Stunden die Augen wieder öffne, sehe ich draußen einen orangeroten leuchtenden Streifen am Himmel. Genau dieses Bild einer Morgenröte sah ich nach dem äußerst anstrengenden Aufstieg auf den Kilimandscharo vor zwei Jahren. Nur war ich damals am Stella Point in einer Höhe von ungefähr 5.750 Metern fast am Ende meiner Kräfte, und jetzt sitze ich lediglich etwas steif und unbequem in meinem Flugzeugsitz. Während mein Blick die in der Morgendämmerung liegenden kahlen Bergketten unter mir abtastet, döse ich erneut ein.

Eine Stunde vor der Landung wird mir für einen kurzen Moment fast schlecht, so sehr schnürt mir die Aufregung den Brustkorb zu, und ich schicke ein leises Gebet zum Himmel. Durch das kleine Fenster sehe ich schon die endlos weite Steppe Kenias. Ab und zu kann ich von oben einige runde Krals erkennen, Ansammlungen verschiedener Manyattas, die mit einem kreisförmigen Dornengestrüpp vor wilden Tieren geschützt werden.

Überfliegen wir vielleicht auch Barsaloi? Wie viele Male saß ich vor unserer Manyatta und schaute mit Mama zum Himmel. Wenn wir ein Flugzeug sahen, wollte sie wissen, wie diese Eisenvögel, wie sie sie nannte, wohl da oben ohne Straße und ohne Licht ihren Weg finden können. Schaut sie vielleicht auch jetzt wieder hoch, da sie weiß, dass ich komme?

Am liebsten würde ich gleich hinausspringen. Gedankenverloren beobachte ich ausgetrocknete Flussbette, die sich durch die staubige rote Erde schlängeln und deren Ufer trotz Trockenheit immer ein grüner Baumgürtel säumt. Kurz darauf beginnt das Flugzeug zu sinken, zieht eine letzte Schleife und setzt zur Landung in Nairobi an.

Vorgeschichte

Bis es so weit war, dass ich diese Reise antreten konnte, fand ein monatelanger innerer Kampf statt, in dem ich mich immer wieder fragte: Ist es richtig, was ich vorhabe? Gleichzeitig ereigneten und veränderten sich so viele Dinge in meinem Leben, dass es mir im Nachhinein wie eine Vorherbestimmung vorkommt.

In der Vergangenheit hatte ich wiederholt einen Anlauf unternommen und bei der kenianischen Botschaft in der Schweiz sowie bei der deutschen Botschaft in Nairobi telefonisch nachgefragt, was zu unternehmen sei, damit die in der Schweiz durchgeführte Scheidung von meinem Samburu-Ehemann auch in Kenia anerkannt wird. Die Antwort war jedes Mal die gleiche: dass ich einen kenianischen Anwalt beauftragen müsste und auf jeden Fall das Einverständnis meines Ehemannes nötig wäre. Doch Lketinga lebt nun wieder in Nordkenia, Hunderte von Kilometern von Nairobi entfernt, und ist seit Jahren mit einer jungen Frau seines Stammes verheiratet. Ihn in dieser Angelegenheit in Nairobi vorzuladen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, zumal er sicherlich auch nicht einsehen kann, wofür dies gut sein soll. Sein Leben ist so weit in Ordnung und Scheidungen sind bei den Samburu unbekannt, weil die Männer ja mehrere Frauen heiraten können.

Da ich als Ehefrau beim Verlassen Kenias von Lketinga erneut eine Ausreisebewilligung hätte bekommen müssen, ließ ich alles, wie es war, mit dem Bewusstsein, dieses Land vorläufig nicht mehr betreten zu können, obwohl ich viel an meine Familie dachte, vor allem an meine Schwiegermama, die Großmutter meiner Tochter.

Wir würden weitersehen, wenn Napirai nach ihrer Volljährigkeit in ein paar Jahren ihren Vater besuchen möchte, und würden dann schon eine Lösung finden, beruhigte ich mich selber und verstaute die europäischen Scheidungspapiere erneut in einer Schublade.

Im Jahr 2003 bin ich den ganzen Herbst mit meinem Buch „Zurück aus Afrika“ auf Lesereise, was mir großen Spaß bereitet. Auch laufen nun die Arbeiten für die Verfilmung meines ersten Buches auf Hochtouren und es bleibt nicht aus, dass ich zu den Besprechungen des Drehbuches öfter nach München fahre. Es ist schön, dass ich meine Einwände, Wünsche oder Bedenken einbringen kann, und so entsteht eine enge Zusammenarbeit, die meine oft gemischten Gefühle, die sich zwischendurch einschleichen, etwas beruhigen.

Dennoch ist es nicht einfach, mein gelebtes Leben nun mit anderen Namen und teilweise in gekürzter oder etwas abgeänderter Version lesen und durchleben zu müssen. Bei manchen Drehbuchszenen treibt es mir Tränen in die Augen und ich spüre, wie mich vieles wieder einholt. Gleichzeitig bin ich auch neugierig und stolz darauf, dass ein wichtiger Teil meines Lebens bald in den Kinos gezeigt werden soll. Napirai ist natürlich noch sehr skeptisch, was ich gut verstehen kann, da sie sich nicht mehr an diese Zeit erinnert und dadurch Gefahr läuft, den Film mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Ich bete immer wieder, dass alles gut gehen wird und wir uns nie zu schämen brauchen.

Durch die Zusammenarbeit mit den Filmleuten entstehen einige Kontakte in Kenia. So fasse ich im Dezember spontan den Entschluss, die Scheidungspapiere wieder aus der Schublade zu holen und an einen neuen Bekannten in Nairobi zu faxen, mit der Bitte, meinen Fall durch einen Anwalt vor Ort abklären zu lassen. Wenn es je eine unkomplizierte Möglichkeit für die Anerkennung meiner Scheidung in Kenia geben sollte, dann jetzt, wo wir sachkundige Leute vor Ort kennen. Verlieren kann ich nichts und so warte ich die Antwort einfach ab.

Die Lesetour nimmt mich auch zu Beginn des neuen Jahres noch sehr in Anspruch. Es ist eine schöne Aufgabe, vor

Hunderten von erwartungsvollen Menschen über meine Erlebnisse zu erzählen, um dann in fröhliche und erstaunte Gesichter zu sehen. Es macht mich glücklich zu hören, wie vielen Menschen ich nicht nur Lesevergnügen bereite, sondern auch Kraft und Mut für ihr eigenes Leben vermitteln kann. Mittlerweile kommt es mir fast wie eine Berufung vor.

Weil ich davon so erfüllt bin, realisiere ich zu spät, dass sich zu Hause eine private Katastrophe ereignet hat.

Mein Lebensgefährte hat sich ganz leise aus unserer Beziehung geschlichen. Als ich es endlich bemerke, ist es schon zu spät. Ich bin tief ttaurig und gleichzeitig wütend. Mehr kann, will und darf ich dazu nicht äußern.

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