Bis zu dem Moment, als auf einmal alles vorbei war. Er wurde in einer Gasse niedergeschossen. Seine Leiche blieb in einem blutigen Haufen liegen, nur um kurz danach, nachdem Anwohner Schüsse gemeldet hatten, von der Polizei entdeckt zu werden. Es gab nie wirkliche Beweise dafür, wer der Täter war, nur Indizienbeweise und Verdächtigungen, die in dem Muster der Befragungen und Verhaftungen, die dem Verbrechen folgten, leicht erkennbar waren.
„Sieh dir das mal an“, sagte Zoe und tippte auf ihren Bildschirm. „Die einzige Anklage, die sie während der gesamten Untersuchung durchsetzen konnten, war der Besitz einer illegalen Schusswaffe. Der Kerl, von dem sie glaubten, dass er es am ehesten getan haben könnte, nur konnten sie es nicht beweisen. Das war alles, wofür sie ihn drankriegen konnten. Er bekam fünf Jahre.“
„Such mal nach ihm“, sagte Shelley. „Wie ist sein Name? Cesar Diaz?“
„Ja genau“, antwortete Zoe und wartete, bis die Seite geladen war. „Seine Gang hatte enge Verbindungen zu mexikanischen Schmugglern. Es scheint, als hätten sie um das Territorium gekämpft. Wer in diesem Gebiet verkaufen durfte.“
„Es passt alles zusammen. Wenn Clay ein hohes Tier in seiner Gang war, die neue Geschäfte machte und neue Verkäufe abschloss, dann hätten ihre Rivalen es besonders auf ihn abgesehen, um zu zeigen, wem was gehört.“
Die Informationen zu Cesar Diaz tauchten auf dem Bildschirm auf.
Beide lasen den letzten Eintrag, dann hielten sie inne und sahen sich gegenseitig an.
Das war eine große Sache.
„Cesar Diaz wurde vor ein paar Monaten auf Bewährung entlassen“, sagte Shelley und sprach aus, was beide dachten.
„Cesar Diaz ist wieder draußen und vielleicht auf der Suche nach Rache. Das erklärt Callie. Die Dinge auslöschen, die Clay wichtig waren, um zu zeigen, dass er wieder zurück ist, und um zu zeigen, dass er nicht weich geworden ist. Dass er immer noch das Sagen hat.“
„Aber was ist mit John Dowling? Das ergibt für mich immer noch keinen Sinn.“ Shelley runzelte die Stirn. „Könnte es eine Verbindung zwischen John und Cesar geben?“
Zoe überflog seine Seite und suchte nach allem, was ihr ins Auge stach. Nichts. Aus einer Laune heraus tippte sie die letzte Seite im System an und kehrte zu Clay Jacksons Profil zurück.
Unter seinem Namen, Bild und seinen wichtigsten Daten, befanden sich einige Links, die zu längeren Textabschnitten führten. Einer davon führte zu Verbindungen zwischen bekannten Personen. Zoe klickte darauf, um weiterzulesen.
„Warte mal eine Sekunde“, sagte sie und bemerkte etwas, das ihr bekannt vorkam. „Alicia Smith. Das scheint ein gewöhnlicher Name zu sein, aber …“
Sie stand auf und nahm die Akte von John Dowling vom Tisch. Sie blätterte ein paar Seiten durch, bevor sie endlich fand, wonach sie suchte.
„Was ist es?“, fragte Shelley und beobachtete sie nervös, während ihre Finger mit dem Pfeilanhänger spielten, der um ihren Hals hing.
„Alicia Smith wurde vor ein paar Tagen von uniformierten Polizisten im Rahmen der Untersuchung von John Dowlings Tod befragt.“
„In welcher Verbindung stand sie zu John Dowling?“
Zoe lächelte, ein wenig siegessicher. „Alicia Smith ist die Mutter von John Dowling.“
„Aber was …“ Shelley lehnte sich nach vorne und betrachtete erneut den Bildschirm. „Warte mal. Alicia Smith ist auch Clay Jacksons Tante mütterlicherseits.“
„John Dowling ist Clay Jacksons Cousin. Das ist die Verbindung zu Callie Everard.“
Auf einmal fügte sich das Puzzle zusammen.
Shelley sprang auf, tippte auf Zoes Bildschirm und bewegte die Maus ungeduldig, während die Seite erneut geladen wurde. „Hier sind die Bewährungsunterlagen von Cesar Diaz. Wir sollten ihm lieber einen Besuch abstatten.“
Zoe beobachtete alles von der einen Seite des Raumes, um angeblich die an der Wand hängenden Zertifikate zu untersuchen. Von dort aus konnte sie zusehen und zuhören, musste sich aber erst dann selbst am Gespräch beteiligen, wenn sie bereit war.
Craig Lopez sah nicht wie ein durchschnittlicher Bewährungshelfer aus, zumindest nicht wie die Art, die sie sich beim Hören des Begriffs im Kopf vorgestellt hatte. Er war kräftig gebaut, 1,80 m groß und hatte etwa 90 Kilo Muskelmasse. Als wäre das noch nicht genug, waren auch die meisten Muskeln, die um das Polohemd herum sichtbar waren, tätowiert. Von geschmierten Kritzeleien bis hin zu kunstvollen Kunstwerken war alles dabei.
Dann war da auch noch eine gezackte Narbe an der Seite seines Halses, wo sich einmal eine Kugel durch sein Fleisch gerissen haben musste, ohne ihn zu töten.
Offensichtlich war er wegen seiner einzigartigen Erfahrung eingestellt worden. Da er in seiner Jugend Mitglied mehrerer Gangs war, fand er einen Zugang zu denjenigen, die ebenfalls in solche Dinge verwickelt waren. Er konnte sie verstehen.
„Ist Cesar wieder in Schwierigkeiten?“, fragte er, sein ganzes Verhalten schwer und enttäuscht. „Er schwor mir, dass er clean werden würde. Raus aus der Gang und rein in etwas Besseres.“
„Wir sind uns noch nicht sicher“, betonte Shelley. „Wir müssen ihn erst befragen.“
Craig öffnete die Schublade eines Aktenschranks und blätterte den Inhalt durch, bevor er ein Blatt Papier herauszog. „Das hier ist seine Bewährungsauflage. Sie sollten vorsichtig sein. Wenn er wieder in Gang-Machenschaften verwickelt ist, wird er wahrscheinlich ein Gefolge haben. Er hat für die Gang gesessen, also hat er etwas Prestige gewonnen. Sie werden ihn beschützen wollen. Wenn sie mit gezogenen Waffen reingehen, könnte es böse enden.“
„Verstanden“, sagte Shelley. „Was wenn wir allein hineingehen, nur wir beide? Zeigt das, dass wir nur reden wollen?“
Craig neigte den Kopf. „Sicherer ist es schon. Aber stellen Sie sicher, dass jemand weiß, wo sie sind. Nur für alle Fälle.“
Shelley atmete unruhig ein, als sie nickte. Zoe beobachtete sie und dachte, dass Shelley wahrscheinlich noch nie zuvor in einer solchen Situation gewesen war. Sie war in allem so gut, dass man manchmal vergaß, dass sie noch nicht lange aus Quantico fort war. Es gab viele Szenarien, die für sie immer noch einschüchternd sein würden, frisch und neu.
Beim Thema Gangs kannte sich auch Zoe nicht sonderlich gut aus.
„Sind sie so etwas wie der lokale Experte für diese Gangs?“, fragte Zoe und wandte sich an Craig.
Er blickte überrascht auf – es war das erste Mal, dass sie während des gesamten Austauschs gesprochen hatte – und zuckte die Achseln. „Das kann man wohl sagen, denke ich. Zumindest das, was diese Seite des Gesetzes betrifft. Warum? Brauchen sie Informationen?“
„Es geht um Clay Jackson, den Mann, den Cesar wahrscheinlich getötet hat“, sagte Zoe.
„Oh, er hat ihn getötet. Er hat es nur so gut gemacht, dass sie ihn nicht kriegen konnten.“, sagte Craig. „Ich habe mal sowas Ähnliches wie ein Geständnis von ihm gehört, obwohl er zu schlau ist, es wirklich auszusprechen.“
Zoe nickte, zumindest froh über die Bestätigung. „Seine Tante, Alicia Smith. Sie wurde damals zu dem Mord befragt.“
Craig verengte die Augen und sah dann nachdenklich zur Decke. „Bin mir nicht sicher, ob ich den Namen kenne.“
„Ihr Sohn, John Dowling, ist eines der Mordopfer, die wir derzeit untersuchen.“
Craig verstand. „Sie fragen mich nach ihrer Beziehung. Ob Cesar diesen John Dowling ermorden würde, sobald er rauskam, um seinen Standpunkt klarzumachen.“
„Ganz genau.“
Craig schürzte die Lippen und trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. „Ich wüsste nicht warum. Clay Jackson war wie viele von diesen Typen. Die Gang war seine Familie. Echte Blutsverwandte verblassten im Vergleich dazu. Soweit ich mich erinnere, hatte er zu den meisten seiner Verwandten keinen Kontakt. Seine Eltern wollten nichts mit einem Sohn zu tun haben, der in einer Gang war.“
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