Zoe blinzelte und blickte in beide Richtungen, die Gasse hinauf und hinunter, in den Himmel. Es war ein kühler, klarer Tag. Über ihnen verlief ein schmaler hellblauer Streifen, der sich in der Ferne verengte, eingefasst von schmutzigen Ziegelsteinen der Wohnblocks und Lagerhallen auf beiden Seiten.
Dies hier war weit entfernt von dem Luxus und den wogenden Palmen von Beverly Hills. Die Straßen und Bürgersteige waren rissig und grau, und das nächste Gebäude am Ende der Gasse war ein Obdachlosenheim. Dennoch kosteten die auf der anderen Seite hoch aufragenden Atelierwohnungen wahrscheinlich mehr als ihr Elternhaus im ländlichen Vermont.
Es lag immer noch etwas in der Luft, obwohl die Leiche mittlerweile entfernt worden war. Zoe konnte es noch immer riechen. Es würde wahrscheinlich noch eine Weile so riechen. Der Gestank von brennendem menschlichem Fleisch und Haaren hing in der Luft.
Zoe lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Boden und den Fleck mit den versengten Markierungen, die über den Asphalt der Straße liefen und sich über Ziegelsteine, Müllsäcke und Spritzen verteilten. Die meisten von ihnen waren verbrannt und hatten sich nun zu unkenntlichen schwarzen Plastikformen zusammengefunden, die den atemraubenden Gestank, der einem die Tränen in die Augen trieb, weiter verströmten. Der Mörder hatte sich anscheinend nicht sonderlich um die Präsentation gekümmert.
Oder vielleicht doch, und es war ein Hinweis darauf, dass diese junge Frau, diese Callie Everard, auch nur ein weiteres Stück Müll sei.
Shelley sprach mit einem örtlichen Polizeibeamten in der Nähe, während die anderen ihre Sachen zusammenpackten. Das Forensik-Team war bereits vor Ort gewesen, und die Leiche war zum Testen mitgenommen worden. Alles, was noch zu tun blieb, war, all die kleinen Beweisstücke aufzusammeln, die in den Trümmern des Mordes zurückgelassen worden waren. Eine Beamtin mit kurz geschnittenem Haar und kleiner Statur packte diese behutsam, eins nach dem anderen, in Plastikbeutel.
Zoe beobachtete sie nur mit vagem Interesse. Ihr Verstand arbeitete mit Hochdruck und verfolgte, was ihre Augen sahen. Die Frau hatte mit dem Kopf neben den umgestürzten Müllsäcken gelegen, ihre Füße zeigten zur Mitte der Gasse, in einem Winkel von dreißig Grad zur Mittellinie. Sie war höchstwahrscheinlich nach hinten gefallen, nachdem ihre Kehle durchgeschnitten worden war. Unter der Verbrennung und den geschmolzenen Körperflüssigkeiten befanden sich noch einige Blutspuren, die diese Theorie untermauerten.
Sie wussten bereits eine Menge über sie, über Callie, und den Rest würden sie herausfinden, wenn sie ihre Freunde und ihre Familie befragten. Sie würden herausfinden, wer sie war und was sie tat. Vielleicht sogar, warum jemand sie töten wollte.
Der Mörder selbst war ein anderes Thema. Wo war er oder sie? Zoe konnte auf dem Boden der Gasse nichts sehen. Nichts, was ihn oder sie verraten könnte. Es gab keinen einzigen Fußabdruck, in einer Gasse, die täglich von Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Menschen durchquert wurde. Es gab kein weggeworfenes Feuerzeug oder einen Streichholzstummel, keinen leeren Benzinkanister. Jeglicher Beweis, der die Anwesenheit des Mörders hätte verraten können, war weggespült worden, als hätte jemand Wasser über die Leiche kippte, um zu sie zu löschen und womöglich ein Leben zu retten, das bereits vorbei war.
Was hatte er als Brennstoff verwendet? Als Beschleuniger? Wo hatte er gestanden? Was für eine Waffe hatte er benutzt, um ihre Kehle durchzuschneiden? Oder sie, versuchte Zoe sich selbst zu ermahnen. Sie wollte nicht vorzeitig urteilen und aufgeschlossen bleiben; die Statistiken waren jedoch eindeutig. Dieses Maß an Gewalt würde normalerweise auf einen männlichen Verdächtigen hindeuten.
Es war das „normalerweise“, das das Problem war. Zoe verließ sich gern auf ihr Bauchgefühl, aber solange sie sich nicht zu über neunzig Prozent sicher war, war sie nicht bereit, alles darauf zu setzen. Selbst wenn sie sich in der Vergangenheit so sicher gewesen war, hatte sie sich gelegentlich geirrt. Im Moment hatte sie überhaupt nichts, worüber sie sich sicher sein konnte, nicht, wenn es um diesen Mörder ging.
Vielleicht würde sie mehr wissen, wenn sie sich die Leiche anschaute. Sie ging zurück zu Shelley, die gerade ihr Gespräch beendete.
„Hier ist nichts“, sagte Zoe, sobald Shelley fertig war.
„Ich bin nicht wirklich überrascht“, antwortete Shelley. Sie blickte hoch zu den Fenstern der darüber liegenden Wohnungen, geschwärzt nicht durch den aufsteigenden Rauch einer menschlichen Leiche, sondern durch jahrelangen Schmutz und Vernachlässigung. „Niemand in der Nachbarschaft sah etwas. Sie sagten, sie hätten zuerst den Rauch gerochen. Ein paar Anwohner eilten mit einem Eimer Wasser hinaus, um zu versuchen, zu helfen, aber das war alles. Keine Verdächtigen, niemand, der zusah. Keine Zeugen, die um diese Zeit jemanden in die Gasse gehen sahen.“
„Gibt es Material von den Überwachungskameras?“ Zoe nickte in Richtung einer der Kameras, die sich direkt am Eingang auf der Seite befand, an dem sie zuvor vorbeigegangen waren.
Shelley schüttelte den Kopf. „Die Polizisten sagen, dass sie gar nicht angeschlossen sind. Jedes Mal, wenn sie versuchten, sie zu reparieren, kamen Kinder und besprühten die Linse mit Farbe oder kappten die Drähte. Sie behielten sie als Attrappen, um Leute abzuschrecken, aber sie funktionieren seit Jahren nicht mehr richtig.“
„Die Anwohner wissen das sicherlich“, betonte Zoe.
„Eigentlich weiß es auch jeder, der den Zustand des Wohnblocks sieht.“
Zoe sah sich noch einmal um, zufrieden, dass es hier nichts mehr zu lesen gab. Die einzige Geschichte, die ihr die Zahlen erzählten, betraf den Bau der Gebäude und die Gasse selbst. Da sie bezweifelte, dass die Höhe der Mauern irgendeinen Einfluss auf das Verbrechen hatte, waren sie hier fertig. „Dann mal auf zum Gerichtsmediziner“, sagte sie entschlossen und ging auf ihren Mietwagen zu.
***
Zoe verzog die Nase und versuchte ihre Atmung zu kontrollieren. Sie musste sich nur konzentrieren. Sie atmete durch den Mund ein, um dem schlimmsten Geruch zu entgehen, und durch die Nase wieder aus. Shelley bemühte sich, nicht zu würgen, aber Zoe versuchte, sich davon nicht ablenken zu lassen.
„Das ist ein wirklich schlimmer Fall“, sagte die Gerichtsmedizinerin. Sie war eine große junge Frau, braun gebrannt, mit blonden Haaren und zu viel Lidschatten für jemanden, der im medizinischen Bereich arbeitete – selbst, wenn sie nur mit Toten zu tun hatte.
Zoe ignorierte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Leiche. Falls diese überhaupt noch als Leiche bzw. als Körper definiert werden konnte; Kohle war wohl eine passendere Bezeichnung. Der Mann, den Shelley als John Dowling bezeichnet hatte, war kein Mann mehr. Die Beine waren in einem seltsamen Winkel zur Seite gedreht, die Arme lagen eng am Körper an, der Kopf war rund, aber es hätte genauso gut sein können, dass es sich um ein Stück Müll handelte, um den Teil eines Schiffsbauchs oder um ein antikes Relikt, das in den Ruinen von Pompeji verbrannt war.
Die zweite Leiche war besser zu erkennen, wenn auch nur knapp. Auch wenn die Verbrennungen nicht so stark waren, war der Geruch bei diesem Körper schlimmer. Vielleicht, weil sie mitten am Tag der Hitze der kalifornischen Sonne ausgesetzt worden war. Die junge Frau. Die Teile des zerlumpten und verbrannten Fleisches, die noch an ihr hingen, wirkten irgendwie obszön. Dreizehn Zentimeter Bein über dem Fuß, fünf Zentimeter an jedem Ellbogen, ein Stück Haar vom Hinterkopf, das durch den Kontakt mit dem feuchten Boden geschützt worden war. Noch länger in den Flammen, und sie hätte genauso ausgesehen wie er.
Читать дальше