„Gab es Vor-Verbrennungswunden?“, fragte Zoe, ohne aufzuschauen.
Die Gerichtsmedizinerin zögerte eine Sekunde lang.
„Bevor sie verbrannt wurden, meine ich“, drückte sich Zoe klarer aus.
„Ich weiß, was es bedeutet“, antwortete die Gerichtsmedizinerin. Zum ersten Mal lag ein Hauch von Spannung in ihrer ruhigen Stimme. Alles an ihr war für Zoe irritierend. „Soweit ich es bei diesem Leichenzustand beurteilen kann, gab es nur einen einzigen Schnitt an der Kehle. Das reichte um sie zu töten. Außer, dass sie dann noch in Brand gesteckt wurden, wurde ihnen nichts weiter angetan.“
Zoe beugte sich herunter und untersuchte die Kehle. Das Mädchen hatte ihre Hände an der Kehle als sie verbrannte, deswegen waren ihre Finger miteinander verschmolzen. Es gab jedoch immer noch eine deutliche und sichtbare Wunde hinter ihren Händen, die an der Stelle, an der ihr Kopf nach hinten gekippt war, klaffte.
„Sehr präzise“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen.
„Es passierte sehr schnell“, stimmte die Gerichtsmedizinerin ihr zu. „Wer auch immer der Mörder war, er wusste, was er tat. Er kam von hinten, handelte schnell, in beiden Fällen ein einziger Schnitt durch den Hals, um ihn vollständig zu öffnen.“
Zoe richtete sich auf und sah Shelley an, um deutlich zu machen, dass diese nächste Aussage für sie bestimmt war und nicht für die andere irritierende Anwesenheit im Raum. „Dies war kein Verbrechen, das aus einem Impuls heraus begangen wurde. Es war geplant, der Ort wurde sorgfältig ausgewählt.“
„Glaubst du, dass die Opfer mit Absicht ausgewählt wurden?“
Zoe kaute einen Moment auf ihrer Lippe herum und schaute zwischen den Leichen hin und her. Was hatten sie gemeinsam, außer dass sie so verbrannt waren?
„Es ist noch zu früh, um das zu sagen“, entschied sie. „Wir müssen mehr über Callie Everard erfahren. Wenn wir eine Verbindung zwischen ihnen finden können, gut. Wenn nicht, könnte eine größere Botschaft dahinterstecken.“
„Ein Serienmörder?“, stöhnte Shelley. „Ich hoffe, sie sind ein heimliches Liebespaar oder so was. Ich hatte gehofft, dass wir vielleicht am Wochenende nach Hause könnten.“
„Viel Glück dabei“, sagte die Gerichtsmedizinerin, eine Aussage, die absolut unnötig war.
Zoe warf einen bösen Blick in ihre Richtung und war zumindest ein wenig beruhigt, wie erschrocken die Frau wirkte und sich daraufhin mit einem Metalltablett mit Instrumenten in der Nähe beschäftigte, anstatt ihren Blick zu erwidern.
„Wir haben einen Raum, der im örtlichen Revier auf uns wartet“, sagte Shelley. „Der Polizist, mit dem ich sprach, versicherte mir, dass der Kaffee schrecklich ist, aber auch, dass die Klimaanlage nicht wirklich funktioniert, wir können uns also wirklich auf etwas freuen.“
„Geh du vor“, sagte Zoe und wünschte, sie könnte das genauso lustig finden wie ihre Kollegin.
Mit einem Seufzer nahm sich Zoe einen Stuhl, setzte sich und griff nach der ersten Akte, die man ihnen hingelegt hatte.
„Danke, Captain Warburton, wir wissen Ihre Hilfe wirklich zu schätzen“, sagte Shelley nahe der Tür. Sie war wirklich gut im Smalltalk und immer höflich, was Zoe hingegen schon immer schwergefallen war.
Es fühlte sich gut an, Teil eines Teams zu sein, das funktionierte. Jeder von ihnen hatte seine eigenen Aufgaben. Shelley verstand die Menschen so, wie Zoe die Zahlen, und obwohl keiner von ihnen wirklich verstehen konnte, was der andere tat, erleichterte es zumindest den Ablauf.
Obwohl sie gut zwanzig Minuten lang die Akten studiert hatten, kamen sie nicht weiter. Zwar war es den Anwohnern gelungen, einige Aussagen zu sammeln, wodurch sie viel mehr Informationen hatten als in den ursprünglichen Akten, die sie im Flugzeug durchgesehen hatten, aber nichts davon schien hilfreich zu sein. Zoe warf ihre Seiten mit einem frustrierten Stöhnen auf den Tisch.
„Warum kann es eigentlich nie eine eindeutige Verbindung geben?“
„Weil dann alles von lokalen Kräften übernommen werden könnte und wir dann arbeitslos wären“, sagte Shelley ruhig. „Lass uns alles nochmal durchgehen, was wir bereits wissen. Vielleicht hilft es, wenn wir es laut aussprechen.“
„Das bezweifle ich sehr. Die beiden waren wirklich sehr unterschiedliche Menschen.“
„Lass es uns trotzdem versuchen. John war ein gesunder Kerl, oder? Ein Fitness-Freak.“
„Sein Mitbewohner sagte, dass er fast seine ganze Freizeit im Fitnessstudio verbrachte. Er war topfit.“
„Und ein netter Kerl war er auch.“
Zoe zog eine Grimasse. „Er spendete Geld für wohltätige Zwecke und half sonntags in einer Suppenküche aus. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er ein netter Kerl war. Viele Leute tun so etwas, weil sie etwas zu verbergen haben.“
„Du stellst nur Vermutungen an“, sagte Shelley und schüttelte den Kopf. „Wir können da nichts hineininterpretieren. Er hatte einen sauberen Lebensstil. Keine Drogen, keine Verurteilungen, nicht einmal Probleme am Arbeitsplatz.“
„Sie war das genaue Gegenteil.“ Zoe zeigte bei ihrer letzten Aussage auf ein Foto einer lächelnden Callie Everard, die in die Kamera strahlte und eine Bierflasche in der Hand hielt, während ein betrunken aussehender junger Mann seinen Arm um ihre Schultern legte.
„Nun, vielleicht auch nicht. Ja, sie hatte früher in ihrem Leben einige Probleme mit Drogen. Aber sie ging mit dreiundzwanzig Jahren in eine Entzugsklinik, schloss das Programm erfolgreich ab und hatte seitdem nichts mehr mit Drogen zu tun. Sie war seit ein paar Jahren clean. Wieder auf dem richtigen Weg.“
Zoe zog es in Betracht. „Vielleicht könnte da die Verbindung liegen. Beide führten ein sauberes Leben, wenn auch erst seit kurzem.“
„Du meinst eine Art Fitnesskult oder so etwas?“, fragte Shelley.
Zoe warf ihr einen finsteren Blick zu.
„Na ja, es ist möglich“, sagte Shelley. „Sieh dir nur mal den ganzen Kram mit den Heimtrainern an. Und dieser Selbsthilfekult, der die Frauen dazu gebracht hat, mit dem Gründer zu schlafen und ihm ihr ganzes Geld zu schenken.“
„Okay, ich denke, in diesem Punkt muss ich dir zustimmen.“ Zoe war nicht mit allen Einzelheiten vertraut, aber sie hatte gehört, wie die Fälle erwähnt wurden. Shelley hatte in gewisser Weise Recht. Man wusste nie wirklich, was unter der Oberfläche vor sich ging, bis man sich tief genug hineingegraben hatte.
Sie sah sich Fotos von beiden an und suchte nach Gemeinsamkeiten. Solche Fälle waren immer frustrierend. Mit einem einzigen Opfer konnte man die Beweise zielstrebig analysieren und sich auf jedes kleine Detail dieser einen Person fixieren. Bei drei oder mehr Opfern hatte man genügend Datenpunkte, um ein Muster zu bilden. Um zu erkennen, dass der Mörder eventuell nur in bestimmte Regionen reiste oder nur Blondinen unter 1,70 m im Visier hatte oder dass an jedem Tatort ein bestimmtes Muster gefunden wurde.
Mit zwei Opfern war es viel schwieriger. Man konnte die Dinge nicht auf die gleiche Weise zusammensetzen. Eine zahlenmäßige Ähnlichkeit könnte ein Zufall sein, der durch ein neues Opfer wieder zerstört werden würde. Man könnte bemerken, dass es sich bei beiden Alterszahlen um Primzahlen handelte, nur damit sich das später wieder als bedeutungslos erwies. Man konnte nicht erkennen, was wichtig und was nur eine falsche Fährte war, die das eigene Gehirn, ohne wirkliche Absicht, zusammengebastelt hatte.
„Es gibt eine Sache, die sie gemeinsam haben“, sagte Zoe und klopfte auf die Bilder. „Tätowierungen. Dowling hatte einen Tiger auf seinem linken Bizeps. Everard hatte eine Rose aus Punkten auf dem rechten Oberschenkel. Sie war auf dem Weg zu einem Freund, um sich ein neues Motiv auszusuchen.“
Shelley zuckte die Achseln. „Rechtfertigt das wirklich eine Verbindung? Viele Menschen haben Tattoos.“
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