»Schon, aber Sie vergessen die Hauptsache.«
»Mmh?«
»Ich rede von Ihrem Auftrag. Von der Rettungsmission und von Ihrer christlichen Pflicht, am Leben zu bleiben.« Mit einem schmalen Lächeln hockte er sich neben mich und nippte an seinem Kaffee. »Was Emily Palmbridge und ihrer Expedition zugestoßen ist, könnte auch uns zustoßen«, fuhr er fort. »Die Frau hatte bestimmt nicht vor, sich an diesem idyllischen Fleckchen Erde zur Ruhe zu setzen. Es ist etwas geschehen, auf das sie nicht vorbereitet war, und ich habe nicht vor, ihr Schicksal zu teilen.« Damit lud er das Gewehr durch, legte es an seinen Platz zurück und ließ den Deckel der Box zufallen. »Wir wissen ja noch gar nicht mal, ob sie wirklich tot sind«, murmelte ich. »Verdammt ...« Beim
Versuch, das Taschenmesser zusammenzuklappen, hatte ich versehentlich auf die Schneide gedrückt. Ein dicker Tropfen Blut quoll aus der Wunde hervor. Ich steckte den Daumen in den Mund, aber der Schnitt war tief und die Blutung ließ sich nicht stoppen. Ein Anflug von Panik überrollte mich. »So ein Mist!«
»Was ist denn los?« Maloney schien von meiner heftigen Reaktion überrascht zu sein.
»Haben Sie etwas zum Desinfizieren dabei? Hier wimmelt es von Krankheitserregern«.
»Nur die Ruhe.« Er öffnete eine seiner Gürteltaschen und förderte ein kleines Päckchen zutage. »Lassen Sie es noch ein wenig bluten, das müsste zur Reinigung der Wunde ausreichen, und dann kleben Sie das hier drauf.« Er hielt mir ein Pflaster hin. »Mag sein, dass es hier mehr Keime gibt als bei uns, aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
»Sie haben wohl noch nicht gesehen, was ein Virus wie Ebola bei einem Menschen anrichten kann«, gab ich zurück, während ich hastig die Wunde verschloss. »Haben Sie noch nicht gesehen, wie die Schleimhäute in Mund, Nase und Augen sich auflösen und zu bluten beginnen, wie Muskeln und Organe sich in flüssigen Matsch verwandeln und das Opfer unter unaussprechlichen Qualen zugrunde geht.«
»Haben Sie?«, fragte er mit einem leicht amüsierten Blick.
»Bisher nur in einem Film, während eines Pathologieseminars. Aber das hat mir gereicht.«
Maloney strich über sein Kinn. »Ohne Ihnen nahe tre-ten zu wollen, aber Sie sind wirklich ein Vollblutwissenschaftler.«
»Wie meinen Sie das?«
Er betrachtete mich mit seinen grünen Augen. »Sie machen sich zu viel Gedanken um alles. Das Leben ist einfach. Natürlich nicht, wenn man es aus den schützenden Wänden eines Versuchslabors heraus betrachtet. Man muss schon rausgehen und es anpacken. Ihre Verletzung zum Beispiel ...«, sagte er und lächelte mich dabei freundlich an, ». die wird Sie nicht umbringen. Ich habe schon Wunden verarztet, bei denen Sie in Ohnmacht gefallen wären, wenn Sie nur daran gerochen hätten. Und die Leute erfreuen sich heute noch bester Gesundheit. So schnell stirbt man nicht. Und wenn das ein Versuch war, sich vor der Arbeit zu drücken, muss ich Sie leider enttäuschen«, er ließ seine Hände auf die Oberschenkel klatschen und stand auf. »Also, back to business. Wenn Sie sich verarztet haben, können Sie mir bei den restlichen Kisten zur Hand gehen.«
»Augenblick noch.«
Maloney hob die Augenbrauen.
»Es gibt etwas, das ich mit Ihnen besprechen möchte, und zwar unter vier Augen.«
»Was meinen Sie?«
»Es geht um unsere Begleiterin.«
»Sie ist niedlich, nicht wahr?«
Mehr als ein schiefes Lächeln brachte ich nicht zustande. »Ich weiß nicht, ob niedlich das richtige Wort ist. Wir beide hatten keinen guten Start .«
»Ist mir nicht entgangen.«
». aber sie hat trotzdem ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Warum haben Sie sie angelogen?«
»Ach das.« Er wischte sich eine imaginäre Staubflocke vom Ärmel und tat so, als handele es sich bei dem Thema um die größte Nebensächlichkeit der Welt. »Das kann ich Ihnen leicht erklären. Es dient der allgemeinen Sicherheit.«
»Verstehe ich nicht.«
»Nun, das rührt daher, dass Ihnen die Erfahrung fehlt. Die Erfahrung, wie bestimmte Dinge in Ländern wie diesen ablaufen. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Staatssekretär, Alle sind zufrieden, solange wir uns auf der Suche nach dem Zwergelefanten befinden. Das Tier ist klein und unspektakulär genug, um von den zuständigen Behörden als unwichtig erachtet zu werden. Sagen Sie aberMokele m'Bembe, dann werden alle wach. Denn das ist etwas, für das sie sich selbst interessieren. Das ihnen Geld und Publicity bringen könnte. Da es für sie momentan unerreichbar ist, haben sie es erst mal ins Reich der Legenden verbannt, wo es friedlich vor sich hin schlummert. Währenddessen kümmern sie sich um ihre Geschäfte und warten darauf, dass jemand von außerhalb kommt, um ihnen die Arbeit abzunehmen. Aber ich werde das nicht sein, darauf haben Sie mein Wort. Elieshi wird aus Gründen der Verschwiegenheit erst dann etwas erfahren, wenn es unumgänglich ist.
Nur so minimieren wir das Risiko, dass sich morgen schwer bewaffnetes Beobachtungspersonal zu uns gesellt.«
»Glauben Sie nicht, dass sie unser Vertrauen verdient
hätte?«
Er betrachtete mich mit seinen grünen Augen, und seine Stimme bekam einen ernsten Klang. »In meinem Job hat Glaube nichts verloren, den spare ich mir für meine Gebete auf.«
*
Es war spät am Nachmittag, als alles entladen war und wir die letzte Kiste in das Basislager am Rande des Sees transportiert hatten. Das Flugzeug war mit vereinten Kräften ein Stück weit in die flachere Uferregion gezogen und dort mit Seilen vertäut worden. Über dem Horizont begannen sich bereits die ersten größeren Wolken zusammenzuziehen. Fernes Donnergrollen war zu hören, und mit großer Wahrscheinlichkeit würde noch im Laufe des Abends Regen einsetzen. Sixpence, der sich ein stinkendes Pfeifchen angezündet hatte, hatte sich die Zeit genommen, um mir in aller Ausführlichkeit den Aufbau des Lagers zu erklären. Da er ein Technikfanatiker war, nahm das einige Zeit in Anspruch. Zuerst führte er mich ans Ufer des Sees, wo er eine digitale Videokamera aufgebaut hatte, die genau auf das Zentrum der Wasserfläche gerichtet war.
»Dient zur Überwachung«, sagte er gut gelaunt. »Sie wird ständig im Einsatz sein, um jede Bewegung auf dem See festzuhalten. In dieser wasserfesten Außenhülle befindet sich eine hochempfindliche Optik mit Restlichtverstärker, die sogar bei Nacht gestochen scharfe Aufnahmen liefert.« Er blickte kurz ins Okular. »Falls unser Freund es vorzieht, sich nur im Dunkeln blicken zu lassen. Aber sagen Sie Elieshi nicht, wofür wir sie brauchen. Sie hat mich deshalb schon so merkwürdig angesehen, und ich musste ihr etwas von Krokodilen und Flusspferden vorflunkern.« Er sandte einen letzten Blick durch den Sucher der Kamera, dann forderte er mich auf, ihm ins Lager zu folgen. Sechs Zelte, vier davon reine Schlafkojen, standen im Halbkreis angeordnet um eine große Feuerstelle und einen soliden Klapptisch. Darauf befand sich ein seltsames Gerät, das mit seiner faltbaren Flachantenne wie eine überdimensionale Blume aussah, die ihren Kelch in den Himmel reckt.
»Unsere einzige Verbindung zur Außenwelt«, sagte er.
»Eine Satellitenempfangsanlage, nicht wahr?«
Er nickte. »EinInmarsat M4. Klein, leicht und schnell. Die Zeiten, in denen wir mit einer zwanzig Kilo schweren Anlage um die Welt gezogen sind, sind endgültig vorbei. Haben Sie ein Handy dabei? Zeigen Sie mal her.« Ich reichte ihm das Gerät, nicht ohne mich für meine Naivität, es überhaupt mitgenommen zu haben, zu entschuldigen. »Das macht doch nichts«, erwiderte er lachend. »Man hat sich so an die kleinen Dinger gewöhnt, dass man ganz vergisst, wie begrenzt ihre Reichweite ist.« Er nahm ein Kabel, das aus dem Empfänger herausragte, stöpselte es in mein Handy, tippte eine Nummer ein und nickte zufrieden. »Wunderbar. Wenn das M4 genügend Sonnenlicht getankt hat, können Sie anrufen, wen immer Sie wollen.«
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