»Was sagst du zu Wurst, Bohnen und Maisbrot?«, fragte ich ihn.
»Darf ich den Generator anschmeißen und mir im Radio die Hayride Party anhören?«
»Jawohl, das darfst du.«
Daraufhin lächelte er sein gutes altes Lächeln. »Danke, Papa.«
Ich kochte genug für vier Landarbeiter, und wir aßen alles auf.
Zwei Stunden später, als ich im Wohnzimmer in meinem Sessel vergraben Silas Marner las und dabei mehrmals wegdöste, kam Henry nur mit einer Sommerunterhose bekleidet aus seinem Zimmer. Er sah mich mit festem Blick an. »Mama hat immer darauf bestanden, dass ich mein Nachtgebet spreche, weißt du das?«
Ich blinzelte ihn überrascht an. »Immer noch? Nein, das wusste ich nicht.«
»Doch. Auch als sie mich nur noch ansehen wollte, wenn ich eine Hose anhatte, weil sie fand, ich wär zu alt und das wär nicht recht. Aber ich kann nicht mehr beten - weder jetzt noch jemals wieder. Ich glaube, Gott würde mich erschlagen, wenn ich mich jetzt hinknien würde.«
»Falls es überhaupt einen Gott gibt«, sagte ich.
»Ich hoffe, dass es keinen gibt. Dann wären wir einsam, aber ich hoffe, dass es keinen gibt. Ich glaube, dass alle Mörder das hoffen. Wenn es nämlich keinen Himmel gibt, dann gibt es auch keine Hölle.«
»Mein Sohn … ich bin derjenige, der sie umgebracht hat.«
»Nein«, sagte er. »Das haben wir zusammen gemacht.«
Das stimmte ganz und gar nicht - er war noch ein Kind, und ich hatte ihn dazu verleitet -, aber er hielt es für wahr, und ich ahnte, dass er das für immer glauben würde.
»Aber wegen mir brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Papa. Wahrscheinlich denkst du, dass ich es jemand anvertraue - zum Beispiel Shannon. Oder dass ich vor lauter Schuldgefühlen nach Hemingford gehe und dem Sheriff alles gestehe.«
Diese Gedanken waren mir natürlich durch den Kopf gegangen.
Henry schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf. »Dieser Sheriff … hast du gesehen, wie er sich alles angesehen hat? Hast du seine Augen gesehen?«
»Ja.«
»Ich bin überzeugt, dass der uns beide auf den elektrischen Stuhl bringen würde, obwohl ich erst im Oktober fünfzehn werde. Und er würde dabeistehen, uns mit dem harten Blick beobachten, wenn sie uns festschnallen und …«
»Schluss jetzt, Hank. Das reicht.«
Aber es reichte nicht, nicht für ihn. »… und den Hebel runterziehen. Das soll nie passieren, wenn ich’s verhindern kann. Diese Augen sollen nicht das Letzte sein, wo ich sehe.« Er dachte darüber nach, was er eben gesagt hatte. »Was, meine ich. Was ich sehe.«
»Geh ins Bett, Henry.«
»Hank.«
»Hank. Geh ins Bett. Ich hab dich lieb.«
Er lächelte. »Ich weiß, aber ich hab’s nicht verdient.« Er schlurfte hinaus, bevor ich antworten konnte.
Und so zu Bett, wie Mr. Pepys sagt. Wir schliefen, während die Eulen jagten und Arlette mit durch einen Huftritt verschobener unterer Gesichtshälfte in ihrem tieferen Dunkel saß. Am nächsten Morgen ging die Sonne auf, es war ein guter Tag für den Mais, und wir taten unsere Arbeit.
Als ich erhitzt und müde ins Haus zurückging, um uns ein Mittagessen zu kochen, stand auf der Veranda ein Schmortopf mit Deckel. Unter dem Topf klemmte ein Zettel: Wilf, wir bedauern Ihre Schwierigkeiten und möchten Ihnen helfen, wo wir nur können. Harlan läst Ihnen ausrichten, Sie sollen sich diesen Sommer keine Sorgen wegen der Miete für den Mädrescher machen. Bitte lasen Sie’s uns wissen, wenn Sie was von Ihrer Frau hören. Herzlich, Sallie Cotterie. PS : Wenn Henry Shan besucht, gebe ich ihm einen Blaubeerkuchen mit.
Ich steckte den Zettel mit einem Lächeln in die Brusttasche meiner Latzhose. Unser Leben nach Arlette hatte begonnen.
Belohnt Gott uns auf Erden für gute Taten - das Alte Testament enthält Hinweise darauf, und die Puritaner glaubten fest daran -, belohnt Satan uns vielleicht für böse. Das kann ich nicht sicher sagen, aber ich kann sagen, dass es ein guter Sommer war - mit reichlich Sonne und Wärme für den Mais und eben genug Regen, um das Gemüse in unserem Garten gedeihen zu lassen. An einigen Nachmittagen gab es Blitz und Donner, aber keinen dieser die Maisstängel knickenden Stürme, die Farmer im Mittleren Westen so fürchten. Harlan Cotterie kam mit seinem Harris Giant herüber, der keine einzige Panne hatte. Ich hatte befürchtet, die Farrington Company könnte sich in meine Angelegenheiten einmischen, aber das tat sie nicht. Ich bekam meinen Bankkredit ohne Schwierigkeiten und zahlte ihn bis Oktober vollständig zurück, weil in jenem Jahr die Notierungen für Mais himmelhoch und die Frachtraten der Great Western im Keller waren. Wenn Sie die Landesgeschichte kennen, wissen Sie, dass diese beiden Dinge - die Preise landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Frachtpreise - schon 1923 die Plätze getauscht hatten, woran sich seither nichts geändert hat. Für uns Farmer draußen in der Mitte begann die Weltwirtschaftskrise, als im folgenden Jahr die Produktenbörse in Chicago zusammenbrach. Aber der Sommer 1922 war so perfekt, wie man ihn sich als Farmer nur wünschen konnte. Beeinträchtigt wurde er nur durch einen Vorfall, der wieder eine unserer Kuh-Gottheiten betraf und von dem ich bald erzählen werde.
Mr. Lester kam noch zweimal heraus. Er wollte uns triezen, hatte aber nichts, mit dem er uns hätte triezen können, und war sich dessen offenbar bewusst, jedenfalls wirkte er ihn triezten und er den Druck nur weitergab. Oder eben weiterzugeben versuchte. Beim ersten Mal stellte er zahlreiche Fragen, die in Wirklichkeit gar keine Fragen, sondern Unterstellungen waren. Ob ich glaubte, meine Frau habe einen Unfall gehabt? Sie müsse doch einen gehabt haben, sonst hätte sie sich wegen eines Barverkaufs ihrer 40 Hektar an ihn wenden oder mit (metaphorisch) eingezogenem Schwanz kleinlaut auf die Farm zurückkehren müssen, oder nicht? Solche Dinge passierten gelegentlich, oder nicht? Und für mich wäre das doch recht praktisch gewesen, oder nicht?
Als er zum zweiten Mal aufkreuzte, wirkte er nicht nur frustriert, sondern regelrecht verzweifelt und rückte sofort mit der Sprache heraus: Hatte meine Frau hier auf der Farm einen Unfall gehabt? War es so gewesen? War sie deshalb nirgends tot oder lebendig aufgetaucht?
»Mr. Lester«, sagte ich, »wenn Sie mich fragen, ob ich meine Frau ermordet habe, lautet die Antwort nein.«
»Tja, was sollten Sie schon groß anderes sagen.«
»Das war Ihre letzte Frage an mich, Sir. Steigen Sie in Ihren Wagen dort drüben, fahren Sie weg und kommen Sie nie wieder. Andernfalls jage ich Sie mit einem Axtstiel vom Hof.«
»Dann kämen Sie wegen tätlichen Angriffs hinter Gitter!« Er trug an diesem Tag einen Zelluloidkragen, der ganz verrutscht war. Man konnte fast Mitleid mit ihm haben, wie er so dastand, während eine Kragenecke sich von unten in sein Kinn bohrte, Schweißbäche weiße Linien durch den Staub auf seinem pausbäckigen Gesicht zogen, seine Lippen zuckten und seine Augen aus den Höhlen zu quellen drohten.
»Keineswegs«, sagte ich. »Ich habe Sie meiner Farm verwiesen, was mein gutes Recht ist, und werde Ihrer Firma werde Gewalt anwenden. Seien Sie gewarnt, Sir!« Lars Olsen, der Lester wieder mit seinem Red Baby hergefahren hatte, war kurz davor, die Hände hinter die Ohren zu legen, um besser hören zu können.
Als Lester die türlose rechte Seite des Lieferwagens erreichte, warf er sich mit ausgestrecktem Arm und anklagend erhobenem Zeigefinger herum wie ein vor Gericht plädierender Anwalt mit einer Ader fürs Theatralische. »Ich glaube, dass Sie sie ermordet haben! Und Mord kommt früher oder später ans Licht der Sonne!«
Henry - oder Hank, wie er jetzt genannt werden wollte -, kam aus der Scheune. Er hatte auf dem Heuboden gearbeitet und hielt die Heugabel jetzt schräg vor der Brust wie ein Wachposten sein Gewehr. »Und ich glaube, Sie sollten von hier verschwinden, bevor Sie zu bluten anfangen«, sagte er. Der freundliche und ziemlich schüchterne Junge, den ich bis zum Sommer 1922 gekannt hatte, hätte so was nie gesagt, aber der hier tat es, und Lester merkte, dass das sein Ernst war. Er stieg ein. Weil er keine Tür zuknallen konnte, musste er sich damit begnügen, die Arme zu verschränken.
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