Sidney Sheldon - Die zwölf Gebote
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„Starke Idee!" sagte ein anderer. „Packen wir's an!" Gesagt, getan, sie holten sich Ziegel und Mörtel und was man sonst so braucht, um einen Turm zu bauen, und fingen an, ihn zu errichten. Es sollte das größte und wunderbarste Bauwerk der ganzen Welt werden. Doch das erforderte Jahre und Jahre, aber jedes Jahr wurde ihr Turm höher und höher. Darüber wurden viele Arbeiter alt und starben, und ihre Söhne traten an ihre Stelle und machten weiter. Nichts konnte den Turmbau aufhalten.
Der Turm wuchs wirklich immer weiter in den Himmel hinauf. Nach vielen Jahren hatten sie den Himmel tatsächlich erreicht, genau wie geplant.
Aber als Gott das sah - daß sie ihm sogar den Himmel ankratzten -, gefiel ihm das überhaupt nicht.
Der einzige Grund, dachte er,warum sie das fertigbrachten, war, daß sie alle dieselbe Sprache redeten und deshalb auch zusammenarbeiten konnten. Das wollen wir doch mal unterbinden.
Und es gab einen Blitz, und auf der Stelle redeten alle Völker plötzlich mit verschiedenen Zungen. Die einen redeten japanisch, die anderen englisch, und es gab welche, die redeten spanisch oder schwedisch oder polnisch. Folglich verstanden sie einander nicht mehr.
Der Mann, der die Bauleitung des Turms hatte, erteilte Anweisungen, aber keiner kapierte ein Wort. Alles ging derart durcheinander, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als mit dem Turmbau aufzuhören - exakt, was Gott wollte. Sie ließen den Turm einfach stehen und zerstreuten sich in alle Welt. Und so entstanden die Sprachen.
Jetzt aber: Habt Ihr schon mal von den Zehn Geboten gehört? Die Geschichte geht so: Moses kam vom Berg herunter und hatte zwei Steintafeln unter den Armen, die ihm Gott gegeben hatte. Auf denen standen die Zehn Gebote. Ein Gebot ist eine Vorschrift, die man befolgen muß.
Ich verrate Euch ein Geheimnis. Diese Geschichte in der Bibel ist überhaupt nicht wahr. Es ist nämlich nicht allgemein bekannt, daß es in Wirklichkeit zwölf Gebote waren! Was passiert war, ist, daß Moses eigentlich mit dreien dieser Steintafeln von dem Berg herunterkam. Doch auf dem Weg fiel er einmal hin, wobei eine der Tafeln zerbrach, so daß halt nur noch zehn Gebote übrig waren. Die Sache war ihm so peinlich, daß er sie keiner Menschenseele jemals verriet. Die Zwölf Gebote lauten wie folgt:
Erstes Gebot: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Zweites Gebot: Du sollst den Namen Gottes, deines Herrn, nicht mißbrauchen.
Drittes Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen.
Viertes Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden.
Fünftes Gebot: Du sollst nicht töten.
Sechstes Gebot: Du sollst nicht ehebrechen.
Siebtes Gebot: Du sollst nicht stehlen.
Achtes Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten.
Neuntes Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut.
Zehntes Gebot: Du sollst dir kein Bildnis von mir machen.
Elftes Gebot: Du sollst nicht lügen.
Zwölftes Gebot: Du sollst deinen Mitmenschen kein Leid zufügen.
Moses sagte den Leuten, jeder, der diesen Geboten zuwiderhandle, werde bestraft.
Nun, das ist die Version des Moses von der Geschichte. Aber wir wollen uns mal ein paar Geschichten von Leuten anhören, die Gottes Gebote übertraten. Und was passierte mit ihnen? Sie wurden reich und glücklich und berühmt!
2. KAPITEL
DAS ERSTE UND ZWEITE GEBOT:
Du SOLLST KEINE ANDEREN GÖTTER NEBEN MIR HABEN.
DU SOLLST DEN NAMES GOTTES, DEINES HERRN, NICHT MISSBRAUCHEN.
Die erste Geschichte handelt von einem Mann, der gleich zwei Gebote auf einmal brach, nämlich das erste: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Und das zweite: Du sollst den Namen Gottes, deines Herrn, nicht mißbrauchen.
Was die Geschichte besonders interessant macht, ist, daß dieser Mann ausgerechnet ein Priester war.
Er hieß George.
Seit George ein kleiner Junge gewesen war, hatte er der katholischen Kirche angehören wollen. Er war sehr religiös. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, eines der Zwölf Gebote zu brechen. Jeden Sonntag ging er zur Kirche, und er betete täglich.
Als er alt genug war, sagte er zu seinem Vater: „Ich möchte Priester werden."
Während die anderen Jungs alles mögliche anstellten, Fensterscheiben einschlugen, logen, schummelten und keinen Pfifferling auf die Gebote gaben, bemühte sich George eifrig, niemals Falsches oder Böses zu tun.
Als er achtzehn Jahre alt war, ging er, statt wie seine Schulfreunde aufs College, ins Priesterseminar und studierte Theologie.
Nun befanden sich dort natürlich alle Knaben zu dem Zweck, Priester zu werden, und waren ohnehin schon alle gut, sanft und edelmütig, weil dies nun einmal zu Priestern so gehört. George jedoch ging selbst da allen auf die Nerven. Keiner der anderen Priesterschüler konnte ihn ausstehen, und selbst die Lehrer mochten ihn nicht. Warum? Weil er derart penetrant gut war.
Waren die anderen sanftmütig und nett, so war George noch sanftmütiger und netter.
Waren die anderen rein, so war George noch reiner. Waren die anderen heilig, so war George noch heiliger. Nicht einer hielt. es in seiner Nähe aus. Beging irgendeiner auch nur den kleinsten Fehler, war George schon an seiner Seite und sagte: „Das hättest du nicht tun dürfen. Das gefällt Gott gar nicht."
Ihm konnte es keiner recht machen.
Gut, in einem Priesterseminar erwartet man nichts anderes, als daß alle mächtig heilig sind. Aber George war einfach zu heilig. Alle waren schon nervös, wenn er nur auftauchte. Jeder hatte Bammel davor, einen Fehler zu machen, wenn George nur in der Nähe war.
Als George mit seinem Studium fertig war, wurde er zum Priester geweiht. Es war der glücklichste Augenblick seines Lebens. Er reiste zu seinen Eltern zu Besuch. Sein Vater schmauchte gerade eine Zigarre.
„Du solltest nicht rauchen", sagte George. „Zigarren sind Teufelskraut."
Seine Mutter saß vor dem Fernseher.
„Es ist Sonntag", sagte George. „Statt fernzusehen, solltest du in der Kirche sein und beten."
Sein kleiner Bruder sagte: „O Gott, ich hasse dieses Schönanziehen am Sonntag."
George war entsetzt. „Du hast das Wort >Gott< in den Mund genommen! Niemals, nie sollst du den Namen Gottes, deines Herrn, fahrlässig aussprechen und mißbrauchen. Du wirst in der Hölle dafür bestraft werden!"
„Ich glaube nicht an die Hölle", sagte sein kleiner Bruder. „Kleiner Bruder, du bist ein Sünder! Ich werde für dich beten!" Er wandte sich an seine Eltern. „Ihr seid alle Sünder! Ich werde für euch beten!"
Sie konnten es alle gar nicht erwarten, bis George wieder wegfuhr.
Georges erste Pfarrei war in einer kleinen Stadt in Vermont. Dort gab es überhaupt nur diese einzige Kirche. Der vorige Priester war fortgegangen, und die Leute wollten rasch einen neuen haben. Der war George.
Sie freuten sich sehr darauf, ihren neuen Priester willkommen zu heißen. Aber schon nach einer Woche hätten sie ihn gern wieder losgehabt.
Zum katholischen Ritus gehört die Beichte. Die Leute knien sich in eine kleine Nische und reden mit dem Priester, der verborgen auf der anderen Seite sitzt. Sie beichten ihm ihre Sünden.
Nun war der vorige Priester ein sehr gütiger Mann gewesen. Beichtete ihm eines seiner Pfarrkinder seine Sünden, so sagte er: „Bete fünfzig Ave Maria, mein Sohn (oder meine Tochter), und deine Sünden sind dir vergeben."
Aber nicht so George. O nein. Die erste Beichte, die er hörte, war die eines jungen Mädchens, das in den Beichtstuhl kam und sagte: „Pater, ich habe gesündigt."
„Was hast du getan?" fragte George. „Mein Freund hat mich neulich zum Tanz ausgeführt, und wir haben Whisky getrunken, und dann habe ich mich von ihm anfassen lassen." George auf der anderen Seite des Beichtstuhlgitters schrie geradezu: „WAS HAST DU?" Dem Mädchen verschlug es buchstäblich die Sprache.
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