Sidney Sheldon - Die zwölf Gebote

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12 Geschichten vom Sinn und Unsinn der 12 Gebote: von Menschen, die erst durch die Nichtbeachtung der Gebote ihr Glück fanden, zum Beispiel von Tony, dem jungen sizilianischen Bildhauer, der entgegen dem heiligen Gebot ein Ebenbild Gottes fertigt, das ihm zu Reichtum und der Hochzeit mit seiner Geliebten verhilft.

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Joe begab sich am selben Nachmittag zu Angela. Sie war in der schönen Wohnung, die ihr Fred eingerichtet hatte, und sie hatte nichts an außer einem hauchdünnen und praktisch durchsichtigen Neglige. Joe konnte gar nicht glauben, wie schön sie war.

„Komm herein, mein Süßer", sagte Angela. „Wie ich höre, bist du jetzt mein Leibwächter."

„Ja," sagte Joe. „Haben Sie irgendeine Ahnung, wer das ist, der hinter Ihnen her ist?"

„Nein. Aber jetzt, wo du da bist, habe ich keine Angst mehr." Sie kam etwas näher. „Wie wäre es mit einem kleinen Drink?" Er schluckte schwer. Er konnte ihr Parfüm riechen, das ihm schier den Kopf vernebelte. „O nein, danke", sagte er. „Wie man mir sagte, gehen Sie heute nachmittag einkaufen." „Ja", sagte Angela.

Joe konnte die Augen nicht mehr von Angelas Figur wenden. „Sie... sollten sich dann jetzt besser anziehen." Sie strich ihm mit der Hand über den Arm. „Wenn du das unbedingt willst", schmelzte sie.

Joe dachte daran, was Fred zu ihm gesagt hatte: Du schnappst ihn dir und zersäbelst ihn Zentimeter um Zentimeter. „Wir gehen lieber.".

„Na gut. Es dauert nur ein paar Minuten."

Joe sah ihr nach, wie sie in ihr Schlafzimmer verschwand.

Nach einer Weile hörte er sie rufen: „Kannst du mal kommen, bitte?"

Joe eilte in das Schlafzimmer. Dort stand Angela, erst halb angezogen. „Mein Reißverschluß klemmt", sagte sie. „Kannst du mir mal helfen?"

Er kam zu ihr. Ihr Rücken war völlig nackt. Und es war der aufregendste Rücken, den er je gesehen hatte. Er war stark in Versuchung, ihn zu küssen, doch er riß sich zusammen, weil er sich gerade noch rechtzeitig sagte, daß er keinen Wert darauf legte, von Fred seine eigenen Lippen abgeschnitten zu bekommen. Er machte den Reißverschluß zu. „Danke", sagte Angela.

Angela begann an ihrem Plan mit Joe zu arbeiten. Und wenn Angela einmal an einem Mann zu arbeiten begann, gab es in dieser Hinsicht keine Bessere als sie. Zuerst kamen diese versteckten Hinweise darauf, wie einsam sie doch sei. Dann redete sie davon, wie gemein Fred Bulgatti zu ihr war und wie gut Joe aussah.

Sie forderte Joe auf, sie in ihrer Wohnung abzuholen, ließ dann die Tür unverschlossen, und wenn er hereinkam, rief sie ihm zu, daß sie im Schlafzimmer sei, und dort fand er sie splitternackt vor. Er rannte sofort hastig ins Wohnzimmer zurück. Die ganze Situation war viel zu verführerisch. Und viel zu gefährlich.

Joe hatte zwei Probleme damit. Erstens hatte er Angst, daß Gott ihn auf der Stelle tot umfallen ließe, wenn er das sechste Gebot übertrat. Und zweitens wußte er positiv und absolut, daß Fred ihn zu Hackfleisch verarbeitete, wenn er Angela auch nur anfaßte.

Andererseits wandte Angela wirklich alle Tricks an, um Joe zu sich ins Bett zu kriegen.

Die Frage war also: wer würde gewinnen?

Die Antwort war natürlich furchtbar einfach: Angela selbstverständlich.

Fred „Eispickel" Bulgatti saß beim Essen mit Angela. Er fragte: „Na, kommst du gut aus mit Joe?" „Ja, ja", machte Angela achselzuckend, „er ist ganz in Ordnung. Sehr helle ist er nicht, und besonders gut sieht er auch nicht aus."

„Soll ich dir vielleicht einen anderen als Leibwächter schicken?" fragte Fred.

."Nein, nein", sagte Angela, „das ist nun auch nicht notwendig. Joe macht seine Sache ja ganz gut."

„Denkst du immer noch, es ist einer hinter dir her?" „Da bin ich ganz sicher. Wir haben zwar noch keinen gesehen, aber ich spüre es einfach genau. Jedenfalls fühle ich mich mit Joe sehr viel sicherer."

„Gut", sagte Fred. „Dann lasse ich ihn dir noch drei Tage, und dann wechseln wir ihn gegen einen anderen aus. Ich brauche Joe sowieso für eine Sache in Chicago."Drei Tage, dachte Angela.Da muß ich mich jetzt aber beeilen.

Am nächsten Morgen rief Angela bei Joe zu Hause an. Joes Frau war am Telefon.

„Ist Joe da?"

„Wer spricht denn da?"

„Hier ist Angela."

„Oh, Sie sind das. Sie hatten meinen Mann ja in letzter Zeit viel um sich."

Joes Frau machte sich aber nicht wirklich etwas daraus. Sie fand Joe schon seit geraumer Zeit langweilig und hätte alles mögliche getan, nur um ihn loszuwerden. „Augenblick", sagte sie. „Ich hole ihn." Joe kam ans Telefon. „Ja?"

Angela sprach mit schwacher Stimme: „Joe, mir geht es nicht gut. Könntest du gleich mal kommen? Ich glaube, ich brauche einen Doktor."

„Ja, sicher. Soll ich gleich mal einen Arzt rufen?" „Nein, nein, komm nur erst mal her."

„In Ordnung", sagte Joe. „Ich bin gleich da." Er legte auf und sagte zu seiner Frau: „Sie hört sich ja wirklich schlimm an."

Fünf Minuten später war er auf dem Weg zu Angela. Als er dort ankam, war die Tür wie üblich offen. Er dachte, daß es doch eigentlich recht seltsam sei, wenn jemand, der Angst vor Verfolgung hatte, die ganze Zeit die Tür nicht absperrte. Er hörte Angelas Stimme aus dem Schlafzimmer. „Ich bin hier, Joe."

Er ging hinein. Angela lag im Bett.

„Komm her zu mir", sagte sie mit schwacher Stimme.

Joe war beunruhigt. Sie klang wirklich besorgniserregend.

„Mir ist so heiß", sagte Angela. „Fühl mal meine Stirn."

Er kam an ihre Bettseite und legte seine Hand auf ihre Stirn.

Sie fühlte sich tatsächlich heiß an.

„Sie haben Fieber, glaube ich", sagte Joe.

„Ich habe Angst", flüsterte Angela. „Ich mag nicht allein sein, wenn ich krank bin. Fred läßt mich dauernd allein. Er macht sich nicht wirklich etwas aus mir:"

„Das dürfen Sie nicht sagen", widersprach Joe. „Das tut er sehr wohl." Er hätte ihr erzählen können, wie sehr Fred sich etwas aus ihr machte, indem er Sorge trug, daß jeder, der überhaupt nur an Angela dachte, so peinvoll wie nur möglich umgebracht wurde.

Angela nahm Joes Hand und zog ihn zu sich auf das Bett nieder. „Du bist nicht wie Fred", flüsterte sie ihm zu. „Du bist gefühlvoll und wunderbar und siehst gut aus." Und sie führte seine Hand an ihre Brust. Er versuchte, sie wegzuziehen.

„Was ist, magst du mich nicht?" fragte Angela. „Weißt du denn nicht, daß ich ganz schrecklich verliebt in dich bin?" „Angela", sagte Joe ganz nervös, „Sie können doch nicht in mich verliebt sein, Sie gehören Fred."

„Ich gehöre gar keinem", sagte Angela. „Dir möchte ich gehören."

„Aber das ist unmöglich! Fred brächte uns beide um, würden wir etwas miteinander anfangen. Das weiß ich ganz genau. Er zerstückelt gern Leute in kleine Scheiben." Er versuchte, sich aufzurichten. „Ich muß weg hier." Aber sie hielt ihn zurück. „Du willst wirklich gehen?" Sie zog ihre Bettdecke weg, und da lag sie ohne etwas an. Absolut nichts hatte sie an.

Joe betrachtete sie und alles begann sich um ihn zu drehen. Sie streichelte ihn jetzt sogar noch und zog ihn immer näher.

„Mein Liebling. Ich bin verrückt nach dir. Nimm mich!" Na ja, und bedauerlicherweise war Joe nun auch nicht aus Holz. Sein Widerstand war total gebrochen. Er riß sich in Windeseile die Kleider vom Leib.

Zum Teufel damit, dachte er,Fred erfährt es ja nicht.. Und was das Übertreten des sechsten Gebots angeht, so wird Gott ja wohl mit anderen Sündern genug zu tun haben, daß er nicht ständig nur auf mich aufpaßt.

In fünf Sekunden war er bei Angela im Bett, und sie schlang die Arme um ihn. Und er dachte: Das ist das Tollste jetzt, was ich jemals erlebt habe.

Aber in diesem Moment donnerte die Stimme von Fred „Eispickel" Bulgatti hinter ihnen: „Aha! Also habe ich euch erwischt!"

Joe fuhr hoch, und da stand Fred neben dem Bett und sah zornig auf ihn herab.

Man sagt, daß, wenn jemand ertrinkt, sein ganzes Leben noch einmal blitzschnell an ihm vorüberzieht. Joe war nicht am Ertrinken, aber trotzdem begann sein ganzes Leben noch einmal blitzschnell an ihm vorüberzuziehen. Und er fragte sich, was ihm Fred wohl als erstes abschneiden würde. Er war sich allerdings auch ziemlich sicher, was es wäre. Fred stand da und war puterrot im Gesicht vor Wut. „Zieht euch an", schrie er, „alle beide."

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