»Sie sind daher auch mit Dr. Taylor und ihrer Arbeit vertraut?« »Ja, das bin ich.«
»Hat Sie die Mordanklage gegen Dr. Taylor überrascht?« Penn war aufgesprungen. »Einspruch, Euer Ehren. Eine Beantwortung dieser Frage durch Dr. Wallace tut nichts zur Sache.«
»Wenn ich erläutern dürfte«, unterbrach Venable. »Die Antwort könnte sehr wohl zur Sache beitragen. Wenn Sie mir nur erlauben würden.«
»Also gut, wir wollen sehen, wohin die Frage führt«, entschied die Richterin. »Aber bitte keinen Unfug, Mr. Venable!«
»Lassen Sie mich den Punkt aus einer anderen Richtung angehen«, fuhr Venable fort. »Dr. Wallace - es wird doch von jedem Arzt verlangt, daß er den Hippokratischen Eid ablegt. Ist das richtig?« »Ja.«
»Und mit diesem Eid verspricht ein Arzt, daß er sich« - der An-kläger las von einem Blatt ab, das er jetzt in der Hand hielt - »»jedes willkürlichen Unrechtes und jeder anderen Schädigung< dem Patienten gegenüber enthalten will?«
»Ja.«
»Hat es bei Dr. Taylor in der Vergangenheit irgendein Ereignis gegeben, das Sie zu der Annahme veranlaßt hat, sie wäre imstande, ihren Hippokratischen Eid zu brechen?«
»Einspruch.«
»Einspruch abgelehnt.«
»Ja, ein solches Ereignis hat es gegeben.«
»Bitte erläutern Sie uns, worum es dabei ging.«
»Wir hatten da einen Patienten, bei dem laut Dr. Taylors Entscheidung eine Bluttransfusion notwendig war. Seine Familie hat die Zustimmung verweigert.«
»Und was geschah dann?«
»Dr. Taylor hat die Bluttransfusion trotzdem durchgeführt.«
»Und das ist legal?«
»Überhaupt nicht. Nicht ohne eine gerichtliche Verfügung.«
»Und was hat Dr. Taylor anschließend gemacht?«
»Sie hat sich die gerichtliche Verfügung im nachhinein beschafft und das Datum dann abgeändert.«
»Sie hat also eine ungesetzliche Handlung begangen und dann die Krankenhausunterlagen gefälscht, um die Sache zu vertuschen?«
»Das ist richtig.«
Alan warf Paige einen wütenden Blick zu.Was zum Teufel hat sie mir wohl noch alles vorenthalten? fragte er sich.
Falls die Zuschauer in Paige Taylors Gesicht irgendwelche verräterischen Anzeichen von Emotion zu erkennen hofften, so wurden sie enttäuscht.
Eiskalt, dachte der Vorsitzende der Jury.
Gus Venable sprach die Richterin an. »Euer Ehren, einer der Zeugen, die ich aufrufen wollte, ist, wie Ihnen bekannt ist, ein gewisser Dr. Lawrence Barker. Bedauerlicherweise leidet er noch immer an den Folgen eines Schlaganfalls und ist daher außerstande, hier im Gerichtssaal auszusagen. An seiner Stelle werde ich nun einige Angehörige des Krankenhauspersonals befragen, die mit Dr. Barker zusammengearbeitet haben.«
Penn sprang vom Stuhl hoch. »Ich erhebe Einspruch. Ich finde nicht, daß dies für unseren Fall relevant ist. Dr. Barker ist nicht anwesend, gewiß, aber Dr. Barker steht schließlich nicht vor Gericht. Falls ...«
Er wurde von Venable unterbrochen. »Euer Ehren«, sagte Venable, »ich versichere Ihnen, daß diese Befragung im Zusammenhang mit der Zeugenaussage, die wir soeben vernommen haben, von großer Bedeutung ist. Sie betrifft nämlich ebenfalls die ärztliche Kompetenz der Angeklagten.«
Die Richterin meinte zweifelnd: »Das wird sich herausstellen. Wir befinden uns hier in einem Gerichtssaal und nicht etwa an einem Fluß. Ich erlaube Ihnen nicht, im trüben zu fischen. Rufen Sie Ihren Zeugen auf.«
»Ich danke Ihnen.«
Gus Venable wandte sich an den Gerichtsbeamten. »Ich möchte Dr. Matthew Peterson rufen lassen.«
Ein elegant aussehender Mann in den Sechzigern näherte sich dem Zeugenstand. Er wurde vereidigt, und als er sich gesetzt hatte, stellte ihm Gus Venable die Frage: »Dr. Peterson, wie lange arbeiten Sie schon am Embarcadero County Hospital?«
»Acht Jahre.«
»Und was ist Ihr Fachgebiet?«
»Ich bin Herzchirurg.«
»Sie hatten während Ihrer Zeit am Embarcadero County Hospital schon einmal Gelegenheit, mit Dr. Lawrence Barker zusammenzu-arbeiten?«
»Gewiß. Viele Male.«
»Und was halten Sie von ihm?«
»Genau das gleiche wie alle. Dr. Barker ist - ausgenommen vielleicht DeBakey und Cooley - der beste Herzchirurg der Welt.«
»Waren Sie an jenem Morgen im Operationssaal, als Dr. Taylor. An dem Tag operierte sie einen Patienten namens.« Venable tat so, als müsse er einen Zettel zu Hilfe nehmen. ». Lance Kelley?«
Die Stimme des Zeugen klang auf einmal ganz anders. »Ja. Ich war anwesend.«
»Würden Sie uns bitte die Ereignisse dieses Morgens schildern?«
Dr. Peterson antwortete zögernd. »Also, da begann plötzlich etwas schiefzulaufen. Es war so, daß wir den Patienten zu verlieren begannen.«
»Was soll das heißen - diese Formulierung >den Patienten verlie-ren<.«
»Sein Herz ist stehengeblieben. Wir haben versucht, ihn wieder zurückzuholen, und.«
»Ist nach Dr. Barker geschickt worden?«
»Ja.«
»Und ist Dr. Barker noch während der Operation im OP-Saal eingetroffen?«
»Ja, gegen Ende der Operation. Es war jedoch bereits zu spät, da war nichts mehr zu machen. Wir haben den Patienten nicht mehr wiederbeleben können.«
»Und hat sich Dr. Barker bei der Gelegenheit gegenüber Dr. Taylor in irgendeiner Weise geäußert?«
»Bitte, in dem Augenblick sind wir alle ziemlich verstört gewesen und.«
»Ich habe Sie gefragt, ob sich Dr. Barker gegenüber Dr. Taylor geäußert hat.«
»Ja.« »Undwas hat Dr. Barker, bitte, zu Dr. Taylor gesagt?«
Es wurde still. In die Stille hinein drang von draußen, wie die Stimme Gottes, ein Donnerschlag. Im nächsten Moment brach der Sturm los. Der Regen prasselte auf das Dach des Gerichtsgebäudes herab.
»Dr. Barker hat gesagt:Sie haben ihn getötet.««
Aufruhr unter den Zuschauern.
Die Richterin ließ ihren Hammer auf den Tisch niedersausen. »Genug! Lebt ihr Leute vielleicht in Höhlen? Noch ein derartiger Ausbruch, und Sie stehen draußen im Regen!«
Gus Venable wartete, bis der Lärm abebbte. In die Stille hinein sagte er: »Sind Sie sich absolut sicher, daß Dr. Barker diese Worte zu Dr. Taylor gesagt hat -Sie haben ihn getötet