„Hallo - Vancouver. Es ist alles klar."
„Gut, 714. Es bestehen also über die Stellung all dieser Hebel keinerlei Zweifel mehr, Janet? Sind Sie ganz sicher? Bitte kommen. "
„Hallo - Vancouver. Ja, ganz sicher. Bitte kommen."
„714. Vergewissern Sie sich nochmals, daß Sie in horizontalem Flug sind. Bitte kommen. "
„Vancouver - ja. Wir fliegen horizontal und über den Wolken. "
„Also, George, lassen Sie uns die Klappen wieder auf 15 Grad stellen. Geschwindigkeit 140. Wir gehen die ganze Fahrgestellprozedur nochmals durch. Überwachen Sie diesmal die Geschwindigkeit wie ein Luchs! Wenn Sie bereit sind, fangen wir an."
Grimmig begann Spencer mit der Prozedur. Er folgte konzentriert jeder Anweisung, während Janet ihm besorgt die Geschwindigkeit zurief und die Klappen- und Fahrwerkhebel bediente. Nochmals fühlten sie den starken Druck, als die Geschwindigkeit gebremst wurde. Im Osten tasteten sich die ersten Streifen eines schwachen Tageslichtes herauf.
Im Kontrollraum von Vancouver trank Treleaven den ersten Schluck kalten Kaffee. Er nahm von Burdick eine Zigarette an und blies den Rauch geräuschvoll von sich. Er sah überanstrengt aus.
„Wie schaut's jetzt aus?" fragte der Airline-Manager. „Nicht schlecht. Besser konnten wir's nicht erwarten", antwortete der Captain. „Aber die Zeit ist gefährlich kurz. Er müßte mindestens ein dutzendmal die Klappen und das Fahrwerk aus- und einfahren. Mit etwas Glück bringen wir es auf dreimal, bevor er da ist. Sofern er auf Kurs bleibt."
„Werden Sie mit ihm Anflüge trainieren?" warf der Kontrolleur ein.
„Ich muß. Zumindest zwei oder drei. Ich würde sonst keinen roten Heller für seine Chancen geben, bei der Erfahrung, die er mitbringt. Mal sehn, wie er sich macht. Andererseits... " Treleaven zögerte.
Burdick warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. „Andererseits was?" fragte er. Treleaven umging die Antwort. „Es ist besser, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen", sagte er. „Der Mann dort oben hat vor Angst fast den Verstand verloren, und mit gutem Grund. Wenn seine Nerven nicht durchhalten, wird's besser sein, auf dem Ozean zu wassern."
„Aber der Aufprall...", rief Burdick. „Und die kranken Leute -und das Flugzeug! Es würde einen Totalverlust bedeuten! "
„Mit Risiken müssen Sie rechnen", sagte Treleaven eisig und blickte dem rundlichen Manager scharf in die Augen. „Wenn unser Freund über die Rollbahn hinausschießt, müssen Sie das Flugzeug sowieso abschreiben."
„Harry hat das nicht so gemeint", mischte sich der Kontrolleur hastig ins Gespräch.
„Zum Teufel nein, wirklich nicht", sagte Burdick unbehaglich.
„Außerdem besteht die Gefahr", fuhr Treleaven fort, „daß -wenn er hier aufschlägt - garantiert Feuer ausbricht und wir froh sein müßten, wenn wir überhaupt einen Menschen retten. Wir müssen darauf gefaßt sein, daß er außerdem noch am Boden allerhand mitreißt. Wenn er dagegen auf dem Ozean heruntergeht, bricht das Flugzeug zwar auseinander - aber wir haben die Chance, einige Passagiere zu retten, wenn auch nicht die Schwerkranken. Bei diesem leichten Nebel und annähernder Windstille wird das Wasser glatt sein und den Aufprall mildern. Durch Radar können wir ihn für die Bauchlandung so nahe wie möglich an die Rettungsboote heranbringen."
„Verlangen Sie die Navy! " befahl der Kontrolleur seinem Assistenten. „Außerdem die Air Force. Die Luft-Seehilfe ist schon in Bereitschaft. Sie sind ausgefahren und warten auf Anweisungen durch Funk."
„Trotz alledem möchte ich es nicht tun", sagte Treleaven. Er drehte sich zur Wandkarte um. „Es würde darauf hinauslaufen, daß wir die kranken Passagiere einfach aufgeben. Wir könnten das Glück haben, sie herauszubekommen, bevor das Flugzeug sinkt, aber..." Er sprach in sein kleines Mikrophon: „Radar! -Haben Sie etwas?"
„Immer noch nichts", kam die ruhige, unpersönliche Antwort. Dann: „Halt - warten Sie einen Moment! Das könnte er sein. Ja, Captain, ich habe ihn jetzt. Er ist zehn Meilen südlich vom Kurs. Lassen Sie ihn nach rechts gehen, auf einen Kurs von 265 Grad."
„Gut gemacht", sagte Treleaven anerkennend. Er gab dem Funker einen Wink, damit er die Verbindung zur Maschine wiederherstellte. In diesem Augenblick rief der Funker: Die Air Force meldet Sichtkontakt, Sir! Voraussichtliche Ankunftszeit in 38 Minuten."
„Gut! „Treleaven nahm das Handmikrophon vom Tisch. „Hallo - 714! Haben Sie die umgekehrte Prozedur mit Klappen und Fahrwerk durchgeführt? Bitte kommen. "
„Ja - Vancouver! Bitte kommen." Janets Stimme. „Hat diesmal alles geklappt? Sind Sie in horizontaler Lage geblieben?"
„Alles in Ordnung, Vancouver, sagt der Pilot!" Sie hörten, daß Janet ein kleines, nervöses Lachen von sich gab.
„Gut, 714. Wir haben Sie jetzt auf dem Radarschirm. Sie befinden sich zehn Meilen südlich vom Kurs. Drehen Sie nun vorsichtig nach rechts, benützen Sie die Gashebel, um die gegenwärtige Geschwindigkeit zu halten und das Flugzeug auf einen Kurs von 265 Grad zu bringen. Ich wiederhole. 265 Grad. Ist das klar? Bitte kommen. "
„Verstanden, Vancouver." Treleaven warf einen flüchtigen Blick durchs Fenster.
Die Dunkelheit draußen begann sich langsam zu lichten. „Gott sei Dank", sagte er, „sie werden ein bißchen was sehen -wenn auch erst in den letzten Minuten. "
„Jetzt muß alles bereit sein", sagte der Kontrolleur. Er rief seinen Assistenten: „Sagen Sie auf dem Turm Bescheid. Sie sollen die Feuerwehrleute alarmieren!" Dann, zum Telefonisten gewandt: „Geben Sie mir die Stadtpolizei."
„Und mir anschließend Howard im Presseraum", fügte Burdick hinzu. Dann zu Treleaven: „Wir werden die Burschen am besten auf die Möglichkeit einer Wasserung aufmerksam machen, bevor sie überstürzt eigene Entschlüsse fassen. Nein -warten Sie!" Er starrte den Captain an. „Es würde bedeuten, daß wir die kranken Passagiere abschreiben. Wenn wir das sagen, kann ich mich gleich aufhängen!" Treleaven hörte ihm nicht zu. Er hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen, stützte den Kopf in die Hände und nahm das verworrene Gemurmel ringsum nicht mehr wahr. Aber beim ersten Knistern im Lautsprecher kam wieder Leben in ihn. Er sprang auf die Füße und nahm das Mikrophon zur Hand.
„Hallo - Vancouver", rief Janet. „Wir halten nun den Kurs von 265, wie angegeben. Bitte kommen."
„714 - das ist fein", sagte Treleaven mit warmer Heiterkeit. „Sie machen es ausgezeichnet. Lassen Sie es uns noch mal wiederholen. Wollen wir? Es wird das letztemal sein, bevor Sie den Flughafen erreichen. Also machen Sie's gut, George!"
Der Kontrolleur stand am Telefon und sagte mit großem Nachdruck: „Ja - sie werden etwa in einer halben Stunde hier sein. Das Schauspiel beginnt... "
Spencer versuchte, seine schmerzenden Beine ein wenig zu entspannen. Sein ganzer Körper war wie gerädert. Durch seine Furcht und die Anstrengung, sich zu konzentrieren, hatte er unnötig viel Energie verbraucht. Seine Finger waren eingeschlafen. Sie zitterten und waren gefühllos. Während er die unruhigen Bewegungen der Instrumente überwachte, stieg vor seinen Augen beständig ein Lichtfleck auf und sank langsam zurück wie eine Baumwollflocke. Die ganze Zeit über hörte er jetzt die innere Stimme - so klar wie jene im Kopfhörer - einen eindringlichen Monolog sprechen. ,Was immer du tust', sagte sie, ,gib nicht nach! Wenn du weich wirst, bist du erledigt. Denke daran; im Krieg hast du das oft erlebt. Du dachtest: jetzt ist es aus. Und dann war doch jedesmal noch eine letzte Energiereserve da, von der du vorher nie etwas gewußt hattest...' Er zwang sich zu sprechen: „Wie ging's diesmal?" fragte er Janet. Er wußte, daß er kurz vor dem Zusammenbruch stand. Sie schien zu ahnen, was die Frage bedeutete: „Wir haben es ausgezeichnet gemacht, finde ich", sagte sie gedehnt. „Ich hatte den Eindruck, Captain Treleaven war ganz vergnügt, nicht wahr?"
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