»Die brennen die Schule nieder«, schrie Dana. »Kemal ist da drin. Er ist im Keller.«
»O mein Gott.«
Eine Minute später waren sie vor der Schule. Eine dichte Rauchwolke stieg aus dem Gebäude auf. Ein gutes Dutzend Feuerwehrmänner kämpfte gegen die Flammen an.
Jeff sprang aus dem Wagen und rannte auf die Schule zu. Ein Feuerwehrmann hielt ihn auf.
»Sie dürfen nicht näher ran, Sir.«
»War schon jemand drin?«, wollte Jeff wissen.
»Nein. Wir haben grade die Tür aufgebrochen.«
»Unten im Keller ist ein Junge.« Bevor ihn jemand aufhalten konnte, stürmte Jeff durch die zersplitterte Tür und rannte hinein. Rundum war alles voller Qualm. Jeff versuchte nach Kemal zu rufen, doch er brachte nur ein trockenes Husten hervor. Er drückte sich ein Taschentuch vor Mund und Nase und rannte den Flur entlang zu der Treppe, die in den Keller führte. Dichter, stechender Qualm schlug ihm entgegen. Jeff hielt sich am Geländer fest und tastete sich die Stufen hinab.
»Kemal!«, schrie er. Niemand antwortete. »Kemal!« Kein Laut. Dann entdeckte er am anderen Ende des Kellers eine undeutliche Gestalt. Er ging darauf zu, versuchte die Luft anzuhalten, aber dennoch drang ihm ätzender Qualm in die Lunge. Beinahe wäre er über Kemal gestolpert. Er schüttelte ihn. »Kemal.«
Der Junge war bewusstlos. Mit letzter Kraft hob Jeff ihn auf und trug ihn zur Treppe. Hustend und würgend und nahezu blind torkelte er durch den wirbelnden schwarzen Qualm, Kemal auf den Armen. Als er zur Treppe kam, zog und schleppte er ihn die Stufen empor. Dann, als er von weitem Stimmen hörte, verlor er das Bewusstsein.
General Booster telefonierte mit Nathan Novero, dem Direktor des Washington National Airport.
»Hat Roger Hudson eine Maschine bei euch stehen?«
»Ja, General. Er ist grade hier. Ich glaube, sie hat soeben Starterlaubnis erhalten.«
»Rufen Sie sie zurück.«
»Was?«
»Sagen Sie dem Tower Bescheid, dass man sie zurückrufen soll.«
»Ja, Sir.« Nathan Novero rief im Tower an. »Tower, widerrufen Sie die Starterlaubnis für Gulfstream R3487.«
»Die Maschine rollt bereits zur Startbahn«, erwiderte der Fluglotse.
»Entziehen Sie ihr die Starterlaubnis.«
»Ja, Sir.« Der Fluglotse griff zum Mikrofon. »Tower an Gulfstream R3487 - Ihre Starterlaubnis ist widerrufen. Kehren Sie zum Terminal zurück. Brechen Sie den Start ab. Ich wiederhole - brechen Sie den Start ab.«
Roger Hudson trat ins Cockpit. »Was, zum Teufel, ist da los?«
»Vermutlich irgendeine Verzögerung«, sagte der Pilot. »Wir müssen zurück zum -«
»Nein!«, sagte Pamela Hudson. »Machen Sie weiter.«
»Bei aller Hochachtung, Mrs. Hudson, aber ich verliere meinen Pilotenschein, wenn -«
Jack Stone trat neben den Piloten und richtete eine Pistole auf seinen Kopf. »Starten Sie. Wir fliegen nach Russland.«
Der Pilot holte tief Luft. »Ja, Sir.«
Die Maschine rollte über die Startbahn, wurde zusehends schneller und hob zwanzig Sekunden später ab. Bestürzt blickte der Flughafendirektor der Gulfstream hinterher, die steil in den Himmel stieg.
»Herrgott. Er ist trotz -«
»Was ist los?«, herrschte ihn General Booster am Telefon an. »Haben Sie sie aufgehalten?«
»Nein, Sir. Sie - sie ist gerade gestartet. Wir haben keine Möglichkeit, sie -«
In diesem Augenblick explodierte ein Feuerball am Himmel. Entsetzt sah das Bodenpersonal mit an, wie die Gulf-stream in tausend brennende Trümmer zerbarst, die in einem nicht enden wollenden Regen zu Boden fielen.
Boris Schdanoff, der am anderen Ende des Flugfeldes stand, schaute eine ganze Weile zu. Schließlich drehte er sich um und ging weg.
Danas Mutter kostete die Hochzeitstorte.
»Zu süß. Viel zu süß. Die Torten, die ich gebacken habe, als ich noch jünger war, sind einem förmlich auf der Zunge zergangen.« Sie wandte sich an Dana. »Stimmt’s, mein Schatz?«
Auf der Zunge zergangen war das Letzte, was Dana in den Sinn gekommen wäre, aber darauf kam es jetzt nicht an. »Unbedingt, Mutter«, sagte sie mit einem herzlichen Lächeln.
Die Trauung war von einem Friedensrichter im Rathaus vorgenommen worden. Dana hatte ihre Mutter im letzten Moment, nach einem Telefongespräch, dazu eingeladen.
»Mein Schatz, ich habe diesen schrecklichen Mann zu guter Letzt doch nicht geheiratet. Ihr beide, Kemal und du, hattet Recht, was ihn anging. Daher bin ich jetzt wieder in Las Vegas.«
»Was ist passiert, Mutter?«
»Ich habe rausgefunden, dass er bereits eine Frau hatte. Die konnte ihn auch nicht ausstehen.«
»Tut mir Leid, Mutter.«
»Ich bin jetzt also wieder allein.«
Einsam, wollte sie damit andeuten. Daher hatte Dana sie zur Hochzeit eingeladen. Sie lächelte, als sie sah, wie ihre Mutter mit Kemal plauderte und sich sogar seinen Namen merkte. Wir werden schon noch eine richtige Großmutter aus ihr machen. Noch konnte sie ihr Glück kaum fassen. Dass sie frisch mit Jeff verheiratet war, kam ihr vor wie ein Wunder, doch das war noch nicht alles.
Nach dem Brand waren Jeff und Kemal vorübergehend ins Krankenhaus eingeliefert worden, wo man ihre Rauchvergiftung behandelt hatte. Während sie sich dort aufhielten, hatte eine Schwester einen Nachrichtenreporter auf Kemals Schicksal aufmerksam gemacht, worauf die Medien die Sache aufgegriffen hatten. Kemals Foto kam in sämtlichen Zeitungen, und selbst im Fernsehen berichtete man über ihn. Ein Buch über seine Erlebnisse sollte erscheinen, und es war sogar eine Fernsehserie im Gespräch.
»Aber nur, wenn ich darin auftreten darf«, beharrte Kemal. An seiner Schule galt er mittlerweile als Held.
Als die offizielle Adoptionsfeier über die Bühne ging, fand sich über die Hälfte seiner Klassenkameraden ein, die ihm begeistert zuklatschten.
»Jetzt bin ich wirklich euer Sohn, was?«, sagte Kemal.
»Jetzt bist du wirklich unser Sohn«, erwiderten Dana und Jeff. »Wir gehören nun zusammen.«
»Geil.« Na warte, wenn Ricky Underwood das erfährt. Ha!
Der schreckliche Albtraum, den sie in den letzten Monaten durchgemacht hatten, geriet allmählich in Vergessenheit. Sie waren jetzt eine Familie, die sich in ihren eigenen vier Wänden sicher und geborgen fühlte. Ich brauche keine Abenteuer mehr, dachte Dana. Ich habe mein Leben lang genug davon.
»Ich habe eine großartige neue Wohnung für uns vier gefunden«, verkündete Dana eines Morgens.
»Du meinst, für uns drei«, berichtigte Jeff sie.
»Nein«, entgegnete Dana leise. »Für uns vier.«
Jeff starrte sie an.
»Sie meint damit, dass sie ein Kind kriegt«, erklärte Kemal. »Hoffentlich wird’s ein Junge. Dann können wir Reifen werfen.«
Es gab noch mehr gute Nachrichten. Die erste Sendung von Alibi , mit dem Untertitel »Der Fall Roger Hudson - eine mörderische Verschwörung«, erhielt hervorragende Kritiken und erzielte sensationelle Einschaltquoten. Matt Baker und Elliot Cromwell waren begeistert.
»Sie sollten sich schon mal überlegen, wo Sie Ihren Emmy hinstellen wollen«, sagte Elliot Cromwell zu Dana.
Nur eine traurige Nachricht trübte das allgemeine Glück. Rachel Stevens war an Krebs gestorben. Die Zeitungen hatten darüber berichtet, sodass Dana und Jeff Bescheid wussten. Doch als die Nachricht am Teleprompter auftauchte, warf Dana einen Blick darauf, musste tief schlucken und wandte sich mit belegter Stimme an Richard Melton.
»Das kann ich nicht ablesen«, flüsterte sie ihm zu. Folglich musste er die Nachricht vorlesen.
Ruhe in Frieden.
Sie saßen bei den Dreiundzwanzig-Uhr-Nachrichten.
»... Und nun zum Inland. Ein Wachmann in Spokane im Bundesstaat Washington, der wegen Mordes an einer sechzehnjährigen Prostituierten angeklagt ist, steht im Verdacht, sechzehn weitere . Malcolm Beaumont, der siebzigjährige Erbe eines Stahlimperiums, ist ertrunken. Beaumont, der mit seiner fünfundzwanzigjährigen Braut die Flitterwochen in seiner Villa auf Sizilien verbrachte, wurde im SwimmingPool tot aufgefunden. Das Paar wurde von den beiden Brüdern der Braut begleitet. Und jetzt das Wetter, mit Marvin Greer.«
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