»Ich mag meine neuen Lehrer. Mein Mathelehrer ist schwer auf Zack ...«
»Großartig.«
»Die Jungs in dieser Schule sind auch viel netter. Die finden meinen neuen Arm geil.«
»Ganz bestimmt.«
»Ein Mädchen in meiner Klasse ist ziemlich hübsch. Ich glaub, sie mag mich. Lizzy heißt sie.«
»Magst du sie auch, mein Schatz?«
»Klar. Sie ist echt knies.«
Er wird älter, dachte Dana, und wider Erwarten versetzte ihr das einen Stich. Als Kemal im Bett lag, ging sie in die Küche und sprach mit Mrs. Daley.
»Kemal kommt mir so . so ausgeglichen vor. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin«, sagte Dana.
»Sie tun mir einen Gefallen.« Mrs. Daley lächelte. »Ich komm mir vor, als ob ich eins von meinen Kindern wieder hätte. Die sind jetzt alle erwachsen, müssen Sie wissen. Kemal und ich haben mächtig Spaß miteinander.«
»Ich bin ja so froh.«
Dana wartete bis nach Mitternacht, und als Jeff bis dahin immer noch nicht angerufen hatte, ging sie zu Bett. Sie lag da und fragte sich, was Jeff wohl machen mochte, ob er vielleicht mit Rachel schlief, und im gleichen Moment schämte sie sich für ihre Gedanken.
Der Mann in der Wohnung nebenan erstattete Bericht. »Alles ruhig.«
Ihr Handy klingelte.
»Jeff, mein Schatz. Wo bist du?«
»Ich bin im Doctors Hospital in Florida. Die Brustamputation ist überstanden. Der Onkologe ist noch dabei, das Gewebe zu untersuchen.«
»Ach Jeff! Hoffentlich hat es sich nicht schon ausgebreitet.«
»Das hoffe ich auch. Rachel möchte, dass ich noch ein bisschen länger bei ihr bleibe. Ich wollte dich fragen, ob -« »Natürlich. Du musst.«
»Es handelt sich nur um ein paar Tage. Ich rufe Matt an und sage ihm Bescheid. Läuft droben bei euch irgendwas Spannendes?«
Einen Moment lang war Dana versucht, Jeff von Aspen zu erzählen und dass sie weitere Nachforschungen anstellen wollte. Er hat genug um die Ohren. »Nein«, sagte Dana. »Nichts Neues.«
»Gib Kemal einen Kuss von mir. Die übrigen sind für dich.«
Als Jeff den Hörer auflegte, kam eine Schwester auf ihn zu.
»Mr. Connors? Dr. Young möchte Sie sprechen.«
»Die Operation ist gut verlaufen«, teilte Dr. Young Jeff mit, »aber sie wird viel seelischen Beistand brauchen. Sie wird das Gefühl haben, sie wäre keine richtige Frau mehr. Wenn sie aufwacht, wird sie zunächst panisch reagieren. Sie müssen ihr klar machen, dass es völlig normal ist, Angst zu zeigen.«
»Schon verstanden«, sagte Jeff.
»Und die Angst und die Depressionen werden wiederkehren, wenn wir mit der Bestrahlung beginnen, damit sich der Krebs nicht weiter ausbreitet. So etwas kann sehr belastend sein.«
Jeff saß da und dachte über all das nach.
»Hat Sie jemanden, der für sie sorgt?«
»Mich.« Und im gleichen Moment war Jeff klar, dass er der einzige Mensch war, den Rachel hatte.
Der Flug mit der Air France nach Nizza verlief ohne besondere Vorkommnisse. Dana schaltete ihren Laptop ein und ging noch einmal sämtliche Informationen durch, die sie bislang zusammengetragen hatte. Aufregend, aber noch keineswegs schlüssig. Beweise, dachte Dana. Ohne handfeste Beweise keine Story.
»Angenehmer Flug, nicht?«
Dana drehte sich zu dem Mann um, der neben ihr saß. Er war groß, attraktiv und sprach mit französischem Akzent.
»Ja, durchaus.«
»Sind Sie schon mal in Frankreich gewesen?«
»Nein«, sagte Dana. »Das ist das erste Mal.«
Er lächelte. »Ah, Sie werden Ihre Freude haben. Es ist ein wunderbares Land.« Er lächelte versonnen und beugte sich zu ihr. »Haben Sie Freunde, die Ihnen Land und Leute zeigen können?« »Ich treffe mich mit meinem Mann und den drei Kindern«, sagte Dana.
»Dommage.« Er nickte, wandte sich ab und griff zu seiner France-Soir.
Dana widmete sich wieder ihrem Computer. Ein Artikel erregte ihre Aufmerksamkeit. Paul Winthrop, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, hatte ein Hobby gehabt.
Autorennen.
Als die Maschine der Air France auf dem Flughafen von Nizza gelandet war, ging Dana in die belebte Ankunftshalle und begab sich zum Büro der Mietwagenfirma. »Mein Name ist Dana Evans. Ich habe einen -«
Der Angestellte blickte auf. »Ah! Miss Evans. Ihr Wagen steht bereit.« Er reichte ihr ein Formular. »Sie müssen das nur noch unterschreiben.«
Na, das ist ein Service, dachte Dana. »Ich brauche eine Karte von Südfrankreich. Hätten Sie zufällig -«
»Natürlich, mademoiselle .« Er griff hinter den Schalter und suchte eine Karte hervor. »Voila.« Er blickte Dana nach, als sie wegging.
»Wo ist Dana gerade, Matt?«, fragte Elliot Cromwell in der Chefetage des Verwaltungshochhauses von WTN.
»Sie ist in Frankreich.«
»Kommt sie voran?«
»Dafür ist es noch zu früh.«
»Ich mache mir Sorgen um sie. Meiner Meinung nach ist sie zu viel unterwegs. Reisen kann heutzutage gefährlich sein.« Er zögerte kurz. »Viel zu gefährlich.«
In Nizza war es empfindlich kühl, und Dana fragte sich, welche Witterung an dem Tag geherrscht hatte, an dem Paul Winthrop umkam. Sie stieg in den Citroen, der für sie bereitstand, und fuhr die Grande Corniche hinauf, vorbei an malerischen kleinen Küstendörfern.
Der Unfall hatte sich etwas nördlich von Beausoleil ereignet, auf der Landstraße bei Roquebrune-Cap-Martin, einem Ferienort hoch über dem Mittelmeer.
Dana bremste ab, als sie sich der Ortschaft näherte und die scharfen Kurven und den steilen Abhang unmittelbar daneben sah. Sie fragte sich, an welcher Stelle Paul Winthrop von der Fahrbahn abgekommen war. Was hatte er hier überhaupt gemacht? Hatte er sich mit jemandem getroffen? Hatte er an einem Rennen teilgenommen? War er hier im Urlaub gewesen? Auf Geschäftsreise?
Roquebrune-Cap-Martin ist eine mittelalterliche Ortschaft mit einer alten Burg, einer Kirche, urzeitlichen Höhlen und luxuriösen Villen, die hie und da in der Landschaft verstreut sind. Dana fuhr zur Ortsmitte, stellte ihren Wagen ab und begab sich auf die Suche nach dem Polizeirevier. Sie sprach einen Mann an, der aus einem Geschäft kam.
»Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo das Polizeirevier ist?«
»Je ne parle pas anglais, j’ai peur de ne pouvoir vous aider, mais -«
»Police. Police.«
»Ah, oui.« Er deutete mit dem Finger nach links vorn. »La deuxieme rue a gauche.«
»Merci.«
»De rien.«
Das Polizeirevier war ein altes, weiß getünchtes Gebäude, von dem der Putz abbröckelte. Drinnen saß ein etwa fünfzig Jahre alter Polizist in Uniform an einem Schreibtisch. Er blickte auf, als Dana hereinkam.
»Bonjour, Madame.« »Bonjour.«
»Commentpuis-je vous aider?«
»Sprechen Sie Englisch?«
Er dachte kurz nach. »Ja«, sagte er unwillig.
»Ich möchte mit dem Leiter Ihrer Polizeidienststelle sprechen.«
Er musterte sie einen Moment lang mit fragender Miene. Dann lächelte er mit einem Mal. »Ah, Commandant Frasier. Oui. Einen Moment.« Er griff zum Telefon und sprach hinein. Dann nickte er und wandte sich wieder an Dana. Er deutete den Flur entlang. »La premiere porte.«
»Vielen Dank.« Dana ging den Flur entlang, bis sie auf die erste Tür stieß. Commandant Frasiers Büro war klein, aber ordentlich. Der Commandant war ein schmucker Mann mit einem schmalen Schnurrbart und forschenden braunen Augen. Er stand auf, als Dana eintrat.
»Guten Tag, Commandant.«
» Bonjour, mademoiselle. Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Dana Evans. Ich arbeite für den Fernsehsender WTN in Washington D.C., und möchte eine Reportage über die Familie Winthrop machen. Meines Wissens wurde Paul Winthrop hier in der Gegend bei einem Autounfall getötet.«
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