«Gefoltert«, sagte sein Sergeant, ein schmalhüftiger junger Mann.»Von einem Profi.«
«Dieser hier ist mehr als ein Profi. «Csilla beugte sich nach vorn und schnüffelte, als sei der Leichnam eine Schweinehälfte, die er in Verdacht hatte, nicht mehr ganz frisch zu sein.»Ihm macht die Arbeit Spaß.«
«Der Anrufer hat gesagt, der Täter sei hier in der Wohnung.«
Kommissar Csilla blickte auf.»Wenn nicht in der Wohnung, dann bestimmt im Haus. «Er trat vom Kühlschrank zurück, als die Spurensicherer mit ihren Köffer-chen und Kameras hereinkamen.»Lassen Sie die Männer ausschwärmen.«
«Schon veranlasst«, sagte sein Sergeant in einem Ton, als wolle er seinen Boss dezent daran erinnern, dass er nicht die Absicht habe, ewig Sergeant zu bleiben.
«Wir waren lange genug bei dem Toten«, entschied
Kommissar Csilla.»Mal sehen, was unsere Leute machen.«
Als sie den Korridor entlanggingen, erläuterte der Sergeant, Erdgeschoss und Aufzug würden bereits überwacht.»Dem Mörder bleibt nur noch der Weg nach oben.«
«Schicken Sie Scharfschützen aufs Dach«, sagte Kommissar Csilla.
«Bereits veranlasst«, antwortete sein Sergeant.»Ich habe sie gleich mit dem Aufzug nach oben geschickt.«
Csilla nickte.»Wie viele Stockwerke über uns? Drei?«
«Genau.«
Csilla nahm je zwei Treppenstufen auf einmal.»Nachdem das Dach besetzt ist, können wir uns Zeit lassen.«
Sie brauchten nicht lange, um die Tür zu dem kurzen Gang zu finden.
«Wohin führt die?«, fragte Csilla.
«Weiß ich nicht«, sagte sein Sergeant, der sich darüber ärgerte, dass er’s nicht wusste.
Als die beiden Männer den Gang betraten, sahen sie die zerschrammte Stahltür am anderen Ende.»Wo die wohl hinführt?«Csilla betrachtete sie prüfend.»Oben und unten Riegel. «Er beugte sich nach vorn, sah blankes Metall glänzen.»Die sind vor kurzem geöffnet worden. «Er zog seine Pistole und öffnete die schwere Tür, hinter der eine unverputzte Ziegelwand sichtbar wurde.
«Unser Mörder dürfte ebenso frustriert gewesen sein wie wir.«
Csilla starrte das Mauerwerk an und versuchte zu erkennen, ob einzelne Teile davon neu waren. Dann streckte er eine Hand aus, drückte gegen einen Ziegel nach dem anderen. Der sechste Ziegel, den er berührte, bewegte sich kaum merklich. Weil er spürte, dass seinem Sergeanten ein überraschter Ausruf auf der Zunge lag, hielt er ihm rasch den Mund zu und bedachte ihn mit einem warnenden Blick. Dann flüsterte er ihm ins Ohr:»Nehmen Sie drei Männer mit, und durchsuchen Sie das Nachbarhaus.«
Anfangs glaubte Bourne, der sein Gehör in der pechschwarzen Dunkelheit bis zum Äußersten anstrengte, das Geräusch komme von einer der Ratten, mit denen sie sich diesen feuchten und unbequemen Raum zwischen den Brandmauern von Molnars Haus und dem Nachbarhaus teilten. Dann wiederholte es sich, und er erkannte, was es war: das Scharren eines Ziegelsteins auf Mörtel.
«Sie haben unser Versteck gefunden«, flüsterte er und umklammerte Annakas Hand.»Wir müssen hier raus.«
Der Raum, in dem sie sich befanden, war eng, kaum schulterbreit, aber er schien unendlich weit ins Dunkel über ihren Köpfen hinaufzureichen. Sie standen auf einer Art Gitterrost aus Leitungsrohren. Der Rost wirkte nicht sehr stabil, und Bourne dachte lieber nicht an die Tiefe, in die sie stürzen mussten, falls eines dieser Rohre oder sogar mehrere nachgaben.
«Weißt du, wie wir hier wieder herauskommen?«, flüsterte Bourne.
«Ich denke schon«, sagte sie ebenso leise.
Annaka wandte sich nach rechts, tastete sich mit den Händen die Brandmauer des Nachbarhauses entlang.
Einmal stolperte sie, richtete sich wieder auf.»Irgendwo hier muss es sein«, murmelte sie.
Sie tasteten sich weiter vorwärts, setzten einen Fuß vor den anderen. Dann gab plötzlich ein Rohr unter Bournes Gewicht nach, und sein linker Fuß trat ins Leere. Er warf sich so heftig zur Seite, dass er mit der Schulter gegen die Wand prallte, wobei Molnars Notebook ihm aus der Hand gerissen wurde. Er versuchte noch, es wieder zu erwischen, als Annaka bereits nach unten griff, um ihn zu packen und heraufzuziehen. Das Notebook prallte von einem anderen Rohr ab, fiel durch die Lücke, die das gebrochene Leitungsrohr hinterlassen hatte, und verschwand in der Tiefe.
«Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Annaka, als er wieder neben ihr stand.
«Mir fehlt nichts«, sagte er grimmig,»aber das Notebook ist futsch.«
Im nächsten Augenblick erstarrte er, weil er hinter ihnen langsame, vorsichtige Bewegungen hörte — außer ihnen atmete hier noch jemand! Er zog die Stablampe aus seiner Tasche und ließ den Daumen auf der Schiebetaste. Er brachte seine Lippen dicht an Annakas Ohr.»Er ist mit uns hier drinnen. Kein Wort mehr. «Während er ihr Nicken spürte, stieg ihm der Duft ihrer nackten Haut in die Nase: ein teures Eau de Toilette mit Limonenöl und Moschus.
Dann schepperte hinter ihnen etwas, als ein Schuh des Polizeibeamten gegen eine Rohrmuffe stieß. Alle drei blieben sekundenlang stocksteif stehen. Bournes Herz jagte. Dann ertastete Annaka seine Hand und führte sie die Mauer entlang zu einer Stelle, wo der Mörtel zwischen den Ziegeln fehlte oder herausgekratzt worden war.
Hier ergab sich jedoch ein weiteres Problem. Sobald sie die Geheimtür in der Mauer aufstießen, würde der Polizeibeamte hinter ihnen den blassen Lichtschein — und sei er noch so schwach — sehen, der von der anderen
Seite einfiel. Er würde sie sehen und erkennen, wohin sie unterwegs waren. Bourne riskierte es, seine Lippen an Annakas Ohr zu legen und zu flüstern:»Du musst mich warnen, kurz bevor du die Tür öffnest.«
Sie drückte seine Hand, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte, und hielt sie weiter fest. Als er den nächsten Druck spürte, zielte er mit der Stablampe hinter sich und schaltete sie ein. Der gleißend helle Lichtstrahl blendete ihren Verfolger für einen Augenblick, und Bourne verwandte seine ganze Energie darauf, Annaka zu helfen, die ungefähr einen mal einen Meter messende Geheimtür aufzustoßen.
Annaka schlüpfte hindurch, während Bourne den Lichtstrahl weiter auf ihren Verfolger gerichtet hielt. Aber dann fühlte er die Leitungsrohre unter seinen Stiefelsohlen vibrieren, und im nächsten Augenblick traf ihn ein gewaltiger Schlag.
Kommissar Csilla versuchte, trotz des blendend hellen Lichtstrahls etwas zu erkennen. Sein Aufflammen hatte ihn überrascht, was ihn ärgerte, weil er stolz darauf war, stets auf alles gefasst zu sein. Er schüttelte mit zusammengekniffenen Augen den Kopf, aber das nützte nichts — das helle Licht blendete ihn. Blieb er, wo er war, bis die Lampe ausgeknipst wurde, war der Mörder verschwunden, bevor er ihn einholen konnte. Deshalb nutzte Csilla sein eigenes Überraschungsmoment aus und griff an, obwohl er geblendet war. Vor Anstrengung grunzend stürmte er über die unter seinen Füßen nachgebenden Rohre hinweg, er hielt den Kopf wie ein Straßenkämpfer gesenkt und prallte so mit dem Täter zusammen.
Im Nahkampf schadete es nicht weiter, dass Csilla ge-blendet war, als er sich daran machte, seine Fäuste, die Handkanten und die Absätze seiner festen Schuhe genau so einzusetzen, wie er es auf der Akademie gelernt hatte. Er war ein Mann, der an Disziplin, Exaktheit und die energische Ausnützung von Vorteilen glaubte. In dem Augenblick, in dem er sich auf den Mörder stürzte, wusste er genau, dass sein Angriff völlig überraschend kam, deshalb deckte er ihn sofort mit einem Hagel von Schlägen ein, um seinen Vorteil bestmöglich zu nutzen.
Aber der Mann war kräftig gebaut und stark. Noch schlimmer war, dass er ein erfahrener Nahkämpfer war, sodass Csilla fast augenblicklich erkannte, dass er in einem längeren Kampf unterliegen würde. Deshalb versuchte er, eine rasche Entscheidung herbeizuführen. Dabei machte er den schlimmen Fehler, eine Halsseite ungeschützt zu lassen. Er spürte einen überraschenden Druck, aber keinen Schmerz. Als seine Beine unter ihm nachgaben, war er schon bewusstlos.
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