»Das hindert die Leute nicht daran, es zu glauben. Da draußen laufen ’n Haufen Verrückte rum, die sich einen Scheiß um Fakten kümmern. Und nicht bloß 2012er. Die Leute haben Angst, also sei lieber vorsichtig. Dein Name steht hier, Kumpel, vergiss das nicht.«
Stanton sorgte sich nicht um sich selbst, aber er fragte sich, wie die Öffentlichkeit reagieren würde, wenn die Zuständigen unverhohlene Angst zeigten. Die Ruhe auf den Straßen war trügerisch, und die Lage könnte ganz schnell kippen.
Stanton klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Behalt den Augenschutz auf. Und wenn du sonst noch was brauchst, du weißt ja, wo du mich findest.«
***
Als Stanton nach Hause kam, waren die Möbel umgestellt und das Unterste zuoberst gekehrt. Das Wohnzimmersofa und der Esstisch waren hochkant in die Küche gequetscht worden. Zwei zusammengerollte Teppiche standen brusthoch in den Ecken, auf den Arbeitsflächen stapelten sich die Bücher vom Couchtisch, und daneben standen Lampen und anderer Krimskrams. Sie brauchten jeden verfügbaren Platz.
»Bist du das, Schatz?«
Stanton fand Alan Davies im Wohnzimmer an einem Labortisch sitzend. Wo vorher die Möbel gestanden hatten, befanden sich jetzt Aufbewahrungsboxen, Mikroskope, Zentrifugen und anderes Laborgerät. Es roch nach Desinfektionsmittel. Mit der Einrichtung dieses Labors in Stantons Privathaus verstießen sie gegen eine ausdrückliche Anweisung, und da sie alles heimlich aus dem Forschungszentrum hatten herausschmuggeln müssen, beschränkte sich die Ausrüstung auf das Nötigste. So mussten sie auch Reagenzgläser, Glasbecher und andere gläserne Gerätschaften immer wieder spülen, damit sie sie wiederverwenden konnten. Auf dem Fernsehschrank standen Abtropfgestelle, in denen schon die nächsten Gläser warteten.
»Und, gefällt’s dir?«, fragte Davies und blickte kurz von seinem Mikroskop auf. Stanton konnte es nicht fassen, dass sein Partner selbst jetzt noch perfekt gekleidet war: weißes Hemd, rosa Schlips, blaue Hose.
Im Fernsehen lief CNN. »Einreisebeschränkungen für amerikanische Staatsbürger in fünfundachtzig Ländern … Bioterrorismus mögliche Ursache … E-Mails aus dem Büro des Bürgermeisters an die Öffentlichkeit gelangt. YouTube-Videos zeigen Plünderungen in Koreatown und brennende Häuser …«
»Großer Gott«, murmelte Stanton bestürzt. »Es gibt schon Plünderungen?«
»Die Anspannung entlädt sich in Krawallen«, erwiderte Davies. »In L.A. ist das praktisch ein Lebensstil.«
Stanton rannte aus dem Haus und in seine Garage. Hinter Kartons mit wissenschaftlichen Zeitschriften, Andenken an Notre-Dame und veraltetem Fahrradzubehör war ein kleiner Safe versteckt. Dort bewahrte er eine selbst zusammengestellte Notfallausrüstung für den Fall eines Erdbebens und/oder eines Tsunami auf: Tabletten zur Wasseraufbereitung, eine Trillerpfeife und einen Spiegel, damit er Signale geben konnte, tausend Dollar in bar und eine 9mm Smith & Wesson.
Davies guckte zur Tür herein. »Wusst ich’s doch, dass du Republikaner bist.«
Stanton beachtete ihn nicht. Er vergewisserte sich, dass die Waffe geladen war, und legte sie in den Safe zurück. »Wie weit sind wir mit den Mäusen?«
»Wenn wir Glück haben, müssten die Antikörper morgen so weit sein«, antwortete Davies.
Stanton nickte und folgte ihm zurück ins Haus. Er konnte nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Er musste weiter nach einer Therapie suchen, und deshalb hatten sie heimlich das Labor hier eingerichtet. Im Esszimmer standen ein Dutzend Käfige, jeder mit einer Maus darin, auf dem Holzfußboden.
Nur ging es dieses Mal nicht darum, die Mäuse sozusagen angstfrei zu machen – dieses Mal wurden sie mit VFI infiziert. Stanton hoffte, dass sie Antikörper bilden würden, mit denen die Krankheit bekämpft werden konnte. Normalerweise würde dieser Vorgang Wochen dauern, das wussten sie aus den bisherigen Testreihen. Aber Davies hatte ein Verfahren entwickelt, mit dem sich eine extrem hohe Konzentration reiner VFI-Prionen herstellen ließ, sodass die Reaktion schneller ablief. Einige Mäuse hatten schon angefangen, Antikörper zu bilden.
Jemand klopfte laut an die Vordertür. Stanton, der vor den Käfigen in die Hocke gegangen war, richtete sich auf und ging zur Tür.
Michaela Thane sah aus, als hätte sie vier Wochen lang Nachtschicht gehabt. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Gesicht abgezehrt und hohlwangig. Da das Presbyterian unter Quarantäne stand und praktisch alle Patienten in andere Krankenhäuser verlegt worden waren, hatten sich auch die Dienstpläne der Ärzte geändert. Es gab keinen Schichtdienst mehr, deshalb hatte Stanton es so eingerichtet, dass Thane Vollzeit in seinem Team mitarbeiten konnte.
»Ein Glück, dass Sie gut hier angekommen sind«, begrüßte er sie.
»Alles okay. Musste bloß an einem Kontrollpunkt warten, bis ungefähr hundert Streifenwagen und Löschzüge in die entgegengesetzte Richtung gerast waren. Wahrscheinlich waren sie auf dem Weg dorthin, wo diese Vollidioten Häuser in Brand stecken.«
Als sie eintrat und die ganzen Laborgeräte sah, schaute sie Stanton so entgeistert an, als wollte er Frankensteins Monster zusammenbasteln.
»Wir geben Ihnen für den Rückweg jemanden mit, der Sie begleitet«, sagte Stanton.
»Haben Sie mir meinen Tee mitgebracht?«, rief Davies. »Bitte, lieber Gott, mach, dass in dieser gottverlassenen Welt noch ein kleiner Rest Würde geblieben ist!«
Thane hielt eine Einkaufstüte hoch. »Was zum Teufel ist denn hier los?«
Davies grinste. »Willkommen am Ende unserer beruflichen Karriere!«
***
Zehn Minuten später versuchte Thane immer noch zu begreifen, was es mit dem provisorischen Labor und der Geheimniskrämerei auf sich hatte. »Das versteh ich nicht. Wenn wir Antikörper herstellen können, wieso dürfen wir sie dann nicht einsetzen?«
»Sie könnten eine allergische Reaktion hervorrufen«, erklärte Stanton. »Bei ungefähr dreißig Prozent der Patienten.«
Davies hielt sich seinen Becher Schwarztee unter die Nase und atmete tief ein. »Es wird Jahre dauern, bis die FDA Antikörper von Mäusen als Therapie bei Prionenerkrankungen zulassen wird.«
Thane zuckte die Schultern. »Aber die Opfer sterben doch sowieso!«
»Ja, aber so kann man weder das CDC noch die FDA dafür verantwortlich machen«, sagte Stanton.
»Wir haben die Vorschriften nicht gemacht«, warf Davies ein. »Wir verletzen sie nur. Dummerweise überwacht Deputy Cavanagh uns auf Schritt und Tritt, und sobald wir uns einem Krankenbett nähern, wird uns jemand über die Schulter schauen.«
»Mich wird keiner überwachen«, sagte Thane langsam. Jetzt war ihr klar, warum sie hergebeten worden war. »Ich habe immer noch Patienten auf der Intensivstation. Ich kann jederzeit rein.«
Schon allein die Einrichtung dieses Labors könnte alle drei die Approbation kosten, aber wer Verwundete mit dem Helikopter aus einem Kriegsgebiet geholt hatte, scheute sich nicht, für seine Patienten ein Risiko einzugehen. Stanton hatte Thane schon oft dabei beobachtet, wie sie mit ihren Patienten und auch mit ihren Kollegen umgegangen war. Er spürte instinktiv, dass er ihr vertrauen konnte.
»Sie dürfen mit niemandem darüber reden«, sagte Davies eindringlich. »Ich würde mich nicht sehr wohl fühlen in einem amerikanischen Gefängnis, glauben Sie mir.«
»Als Testperson kommt jeder infrage, nicht wahr?«, fragte sie.
Stanton nickte. »Vorausgesetzt, die Krankheit ist noch nicht zu weit fortgeschritten. Höchstens zwei oder drei Tage. Danach ist nichts mehr zu machen.«
»Dann habe ich eine Bedingung.«
Stanton sah sie aufmerksam an. »Und was wäre die eine Bedingung?«
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