»Hey.« Alyson hob abwehrend die Hände. »Ich, ich will mich da nicht mehr reinsetzen, Vin.«
»Sei nicht albern. Wir reden hier über eine Fahrt von ganzen drei Metern. Nur drei Meter.«
»Aber was ist, wenn etwas –«
»Nichts wird passieren.«
»Warum fährst nicht du bis zu dem Gefälle, Vin?«
»Alyson.« Er schaute sie scharf an. »Ich bin viel größer als du. Ich müsste also den Sitz nach hinten verstellen. Das würde bei einer polizeilichen Ermittlung verdächtig aussehen.«
»Aber –«
»Wir hatten das doch vorhin so abgemacht.« Er öffnete ihr die Tür. »Und jetzt steig ein.«
Sie zögerte.
»Wir haben das doch alles besprochen, Alyson.«
Sie setzte sich hinter das Lenkrad. Dabei zitterte sie trotz der milden Nacht wie Espenlaub.
»Und jetzt schließe das Verdeck«, sagte er.
»Das Verdeck? Warum denn das?«
»Damit nachher nichts aus dem Wagen fällt.«
Sie ließ den Motor an. Dann drückte sie auf einen Knopf, und das Verdeck des Bentleys faltete sich auf. Vin stand etwas abseits und gab ihr ein Handzeichen, sie solle noch ein Stück vorfahren. Der Wagen kippte leicht nach vorne, rutschte ein paar Meter, sie schrie auf und trat abrupt auf die Bremse.
»Okay, perfekt«, sagte Vin und holte die Handschuhe aus der Tasche. »Bleib genau da stehen, mit dem Getriebe in Parkstellung und mit laufendem Motor.«
Er ging zum Fahrzeug hinüber, während sie gerade aussteigen wollte. In einer blitzschnellen Bewegung knallte er die Autotür zu, verriegelte sie, griff durch das geöffnete Fenster ins Wageninnere und packte Alyson mit beiden Händen an den Haaren. Er schlug ihren Kopf gegen die metallene Einfassung der Windschutzscheibe, dort, wo die Polsterung fehlte. Sie begann zu schreien, aber er hämmerte ihren Kopf immer wieder gegen das Metall. Schließlich schlug er ihre Stirn noch einige Male gegen das Lenkrad, um ganz sicherzugehen. Sie war zwar immer noch bei Bewusstsein, aber das würde bald keine Rolle mehr spielen. Er griff hinter ihrem Rücken vorbei und stellte den Schalthebel auf Drive. Das Ganze war nicht so einfach. Er fiel nach hinten, als der Bentley auf die zerstörte Brücke rollte, aus der Spur kam und zweihundert Meter tief genau dort in das Flusstal fiel, wo es in den Ozean mündete.
Drake rappelte sich wieder hoch. Es war bereits zu spät, um den Aufprall zu beobachten. Er konnte ihn jedoch hören, als das Metall auf die Uferfelsen traf. Das Cabrio hatte sich während des Sturzes umgedreht und lag jetzt mit dem Unterboden nach oben. Er schaute eine ganze Weile hinunter, ob irgendeine Bewegung zu erkennen war. Nur ein Rad drehte sich noch ohne Sinn und Zweck, sonst war alles still und ruhig. »Vertrauen ist alles, Alyson«, sagte er leise und kehrte sich ab.
Er hatte seinen eigenen Wagen in hundert Metern Entfernung abgestellt. Der Feldweg war steinhart und trocken, sodass er keine Reifenspuren hinterlassen würde. Er setzte sich in seinen BMW und fuhr langsam rückwärts den schmalen Weg zurück – jetzt nur keine Fehler! –, bis er eine Stelle fand, wo er mit dem Wagen umdrehen konnte. Danach fuhr er wieder Richtung Süden nach Honolulu hinunter. Normalerweise würde die Polizei den abgestürzten Wagen erst nach einigen Tagen entdecken. Er sollte deshalb wohl die ganze Sache etwas beschleunigen. Er würde also am nächsten Morgen melden, dass seine Forschungsstudenten vermisst würden und er sich Sorgen um sie machte. Die liebliche Ms. Alyson Bender habe sie in die Stadt mitgenommen, damit sie sich dort einen schönen Abend machten.
Vin Drake befürchtete nicht, dass die ganze Sache selbst in Cambridge und Boston allzu große Wellen schlagen würde. Hawaii war in dieser Beziehung sehr hilfreich. Es lebte von seinen Touristen und hängte deshalb traditionell nur ungern an die große Glocke, wie viele Besucher durch Monsterwellen, die starke Brandung, abbröckelnde Wanderwege oder die anderen Attraktionen seiner wunderbaren Natur zu Tode kamen. Man würde sich ein paar Tage mit dieser Angelegenheit beschäftigen, vor allem da einige dieser Kids ja recht attraktiv waren. Danach würde man jedoch bald zu saftigeren Geschichten übergehen: die österreichische Großherzogin, die beim Heli-skiing am Mount Rainier tödlich verunglückt war, die Taucher, die vor Tasmanien auf Nimmerwiedersehen verschwanden, der texanische Millionär, der im Khumbu-Basislager an der Höhenkrankheit starb, verrückte Unfälle in den Cinque Terre oder der Tourist, der von einem riesigen Komodowaran aufgefressen wurde.
Es gab immer Nachrichten, die noch saftiger waren. Das Ganze würde also schnell in Vergessenheit geraten.
Natürlich würde es einige Schwierigkeiten innerhalb der Firma selbst geben. Eigentlich hätte dieser Besuch die Zahl der Nanigen-Mitarbeiter um einiges erhöhen sollen. Das wäre vor allem wegen der kürzlich erfolgten Personalverluste dringend nötig gewesen. Es hätte also seiner Firma einen bedeutenden Auftrieb gegeben. Er musste sich jetzt überlegen, wie er die ganze Angelegenheit mit der nötigen Finesse zu Ende brachte, ohne dass die Firma Schaden nahm.
Der Sportwagen holperte und rutschte über den Feldweg. Er musste das Lenkrad festhalten, damit es nicht verriss. Er fuhr nach Süden zum Kaena Point (»wo die Seele den Planeten verlässt«). An dieser Stelle wütete die Brandung auf beiden Seiten der Fahrbahn. Er machte sich im Geiste die Notiz, unbedingt das Salzwasser von seinem Auto und seinen Reifen zu waschen. Er würde am besten zur Autowaschanlage drüben in Pearl City fahren.
Er schaute auf die Uhr. Es war 3:30 Uhr.
Seltsamerweise hatte er es weder eilig, noch war er nervös. Es war genug Zeit, um auf die andere Inselseite nach Waikiki und zum Diamond Head zu fahren. Er hatte auch genug Zeit, um die Hotelzimmer der Studenten nach irgendwelchen Artefakten oder wissenschaftlichen Proben abzusuchen, die sie eventuell mitgebracht hatten.
Danach blieb immer noch eine Menge Zeit, um zu seinem eigenen Luxusapartment auf der Kahala-Seite zurückzukehren und dort ins Bett zu schlüpfen. Wenn er dann aufwachte, würde er schockiert von dem absurden Verhalten seiner Finanzchefin erfahren und die talentierten Studenten betrauern, die sie auf solche Abwege geführt hatte.
Teil 2
Eine Gruppe auf Gedeih und Verderb

29. OKTOBER, 4:00 UHR
Die sieben Studenten und Kinsky stapften im Gänsemarsch durch den stockdunklen Wald. Mit angespannten Sinnen lugten sie in die schattenerfüllte Umgebung hinein und lauschten den fremden, seltsamen Geräuschen. Rick Hutter trug einen selbst gemachten Grasspeer über der Schulter, während er sich einen Weg zwischen den verrottenden Blättern bahnte und sich unter toten Ästen hindurchzwängte, die auf ihn jetzt größer wirkten als umgestürzte Mammutbäume. Karen King hatte den Rucksack geschultert und hielt ihr Messer fest in der Hand. Peter Jansen führte die Gruppe an, schaute ständig in alle Richtungen und versuchte, eine geeignete Route zu finden. Irgendwie war Peter in seiner ruhigen Art zu ihrem Anführer geworden. Sie verzichteten auf die Stirnlampe, weil sie keine Beutegreifer anlocken wollten. So konnte Peter nicht allzu viel erkennen. »Der Mond ist untergegangen«, sagte er.
»Die Dämmerung muss bald –«, begann Jenny Linn.
In diesem Moment übertönte sie ein markerschütternder Schrei. Er begann als eine Art leises Geheul und steigerte sich dann zu einem heiseren Kreischen, das aus den Höhen der Bäume auf sie herunterschallte. Die Töne strotzten nur so vor Gewalt und ließen ihnen das Blut in den Adern gefrieren.
Rick wirbelte herum und richtete seinen Speer nach oben. »Was zum Teufel war das?«
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