Auf dem Bildschirm wies Drake gerade die Empfangsdame an, was sie zu tun hatte. Der Leutnant grinste. Drake würde den Empfangsbereich bald verlassen.
Alyson stand auf und eilte aus ihrem Büro. Sie hatte nicht viel Zeit. Er konnte jeden Moment ins Labor zurückkehren, um nach den Studenten zu schauen.
Im Labor waren die Studenten jetzt alle aus der Plastiktüte geklettert und standen auf dem Glasdeckel des Krait-Terrariums, von wo sie auf Peter Jansen hinunterblickten. Plötzlich stürmte Alyson Bender in den Raum. Sie beugte sich über sie und schaute sie an. Ihr Gesicht rückte ihnen bedrohlich nahe. »Ich – werde – euch – nichts – tun«, sagte sie. Ihre Augen waren groß und ängstlich. Sie streckte eine Hand aus, pickte mit der anderen Jenny Linn ganz vorsichtig auf und setzte sie in ihre Handfläche. Sie gestikulierte heftig, um die anderen zur Eile anzutreiben. »Schnell! Ich – weiß – nicht – wo – er – ist.«
»Ms. Bender! Lassen Sie mich mit Mr. Drake sprechen!«, rief ihr Jarel Kinsky zu und wedelte mit den Armen.
Sie schien ihn nicht zu hören oder zu verstehen.
Die anderen wussten, dass ihnen keine andere Option offenstand, und kletterten deshalb alle auf Alysons Handfläche. Dann wurden sie in die Luft gehoben. Plötzlich wirbelte der Raum um sie herum, und ein starker Wind riss sie von den Beinen. Alyson trug sie schnell zu einem Schreibtisch hinüber und setzte sie dort ab. Dann ging sie zurück zum Terrarium und öffnete den Deckel. Sie holte Peter heraus und brachte ihn zu den anderen. Sie schaute sie lange an. Anscheinend wusste sie nicht, was sie jetzt mit ihnen anfangen sollte. Ihr unruhiger Atem war so laut, dass ihre Ohren schmerzten.
»Wir sollten versuchen, mit ihr zu sprechen«, schlug Karen King vor.
»Ich weiß nicht, ob das etwas nützt«, sagte Peter.
Sie sahen, wie Alyson quer durch den Raum ging. Sie riss einen Wandschrank auf, schaute hinein, holte eine kleine braune Papiertüte heraus und eilte zurück zum Schreibtisch. »Versteckt – euch – da – drin«, sagte sie ganz langsam und deutlich. »Ihr – könnt – darin – noch – atmen.« Sie öffnete die Tüte und legte sie so auf den Tisch, dass die Öffnung in ihre Richtung zeigte. Dann gab sie ihnen das Zeichen, hineinzusteigen, was sie dann auch taten. Der Letzte war der Nanigen-Mann, der seine verzweifelte Lage offensichtlich immer noch nicht akzeptieren wollte. Er rief ihr immer wieder zu: »Ms. Bender! Ms. Bender, bitte!«
Alyson faltete die Öffnung der Tüte fest zusammen und eilte aus dem Labor. Sie trug sie in ihr Büro und deponierte sie dort vorsichtig in ihrer Tasche, die auf dem Boden neben dem Schreibtisch stand. Sie ließ die Tasche zuschnappen und schob sie mit dem Fuß unter den Tisch. Danach rannte sie ins Tierlabor zurück. Gerade als sie dort eintraf, kam ihr Vin Drake entgegen.
»Was zum Teufel machst du da?«, fragte er.
»Ich habe nach dir gesucht.«
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst in deinem Büro bleiben.« Drake ging zum Terrarium hinüber und entdeckte den leeren Plastikbeutel. »Sie sind weg«, rief er. Er schaute sich im ganzen Labor um und fluchte. Dann stürzte er zu einem Regal voller Chemikalien. Mit einer einzigen Bewegung fegte er alles auf den Boden. Die Glasgefäße zerbrachen, und ihr flüssiger Inhalt spritzte durch den Raum. »Wo sind sie?«
»Vin, bitte, ich weiß es nicht –«
»Von wegen, das glaubst du doch selber nicht«, fauchte er und schaute ins Terrarium hinein, wo er die Schlange bemerkte, deren Kopf immer noch in dem Plastikrohr steckte. Kein Zeichen von Peter. »Was zum – Na ja, dieser Jansen ist auf jeden Fall tot. Die Schlange hat ihn gefressen.« Er warf Alyson einen wütenden Blick zu. »Wir werden den Rest schon finden. Und ich schwöre bei Gott, Alyson, wenn du mich linkst, wird das das Letzte sein, was du je bereuen wirst.«
Sie zuckte zusammen. »Ich verstehe.«
»Das ist auch besser für dich.« In diesem Moment sah er durch das verglaste Laborfenster in Begleitung von Don Makele zwei Polizisten den Gang herunterkommen. Sie waren beide noch jung und trugen keine Uniform, was bedeutete, dass es sich um Kriminalbeamte handelte. Scheiße.
Drake richtete sich auf, drückte den Rücken durch und hatte sich sofort wieder gefasst. Der Wandel geschah so schnell, dass er beinahe unheimlich wirkte. »Hallo, Don«, sagte Drake und ging mit einem herzlichen Lächeln auf den Gang hinaus. »Stellen Sie mich doch unseren Gästen vor. Wir hier bei Nanigen haben nicht oft Besuch. Meine Herren? Ich bin Vin Drake, ich bin der Präsident des Unternehmens. Was kann ich für Sie tun?«
Die Papiertüte steckte immer noch in Alysons Tasche. In ihrem Innern war es stockfinster. Die Studenten und der Nanigen-Mann hatten sich eng aneinandergekauert.
»Ich weiß nicht, ob sie uns nun helfen will oder nicht«, sagte Karen King.
»Sie hat offensichtlich entsetzliche Angst vor Drake«, sagte Peter.
»Wer hätte das nicht?«, meinte Amar.
Rick Hutter seufzte. »Ich habe euch ja gesagt, dass Drake ein Kapitalistendrecksack ist. Nur hat mir keiner zugehört.«
»Halt den Mund, verdammt noch mal!«, schrie ihn Karen an.
»Hey, ich bitte euch«, sagte Amar mit begütigender Stimme. »Nicht jetzt!«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Karen, um dann fortzufahren: »Wir haben es hier nicht mit einem gewöhnlichen Drecksack zu tun. Das ist ein wirklich kranker Mann.« Sie fingerte an ihrem Messer herum. Als Verteidigungswaffe war es jetzt nutzlos, es würde wahrscheinlich nicht einmal Drakes Haut durchdringen.
Plötzlich hörte man ein donnerndes Geräusch, die Tüte bewegte sich und es schimmerte etwas Licht durch das Papier. Jemand hatte die Tasche geöffnet. Dann gab es einen lauten Knall und alles wurde wieder dunkel. Sie warteten und fragten sich, was als Nächstes geschehen würde.
Alyson Bender wusste, dass man die Studenten möglichst schnell in den Generator zurückbringen musste, damit sie ihre richtige Größe wiedererlangten. Allerdings konnte sie selbst den Generator nicht bedienen. Es war schon längst Feierabend, und die meisten Mitarbeiter waren inzwischen gegangen. Nanigen war fast menschenleer.
Sie fand Drake in der Tierhaltung. Das Gespräch mit den Polizeibeamten war zu Ende, und er suchte gerade sorgfältig das gesamte Labor ab. Er schaute in jede Ecke und jeden Schrank und lugte in jedes Terrarium und jeden Käfig.
Er starrte sie mit eiskalten Augen an. »Hast du sie rausgelassen?«
»Nein, das schwöre ich, Vic.«
»Ich werde morgen eine Generalreinigung dieses Labors veranlassen. Sie werden alle Tiere töten, den gesamten Raum mit Gas sterilisieren und dann mit Bleichmittel auswaschen.«
»Das ist … das ist gut, Vin.«
»Wir haben keine andere Wahl.« Er fasste sie am Arm. »Geh heim und ruh dich etwas aus. Ich bleibe noch eine Weile hier. Wir müssen sie unbedingt finden.«
Sie schaute ihn dankbar an. Dann eilte sie in ihr Büro, schnappte sich ihre Tasche und eilte nach draußen. Mirasol war bereits heimgegangen, der Empfangsbereich leer. Am wolkenlosen Himmel überstrahlte die volle Mondscheibe die Sterne. Sie hätte diese Nacht wohl wunderbar gefunden, wenn ihr Kopf nicht ganz mit dem Chaos beschäftigt gewesen wäre, in das sie da geraten war. Sie stieg in den BMW, der ihr als Firmenwagen zur Verfügung stand. Sie legte die Tasche auf den Beifahrersitz und brauste davon.
Vin ging in die verlassene Lobby zurück, wobei er sich vorsichtig im Schatten hielt. Als er hörte, wie Alyson ihren Wagen anließ und losfuhr, rannte er nach draußen zu seinem Bentley und fuhr ihr hinterher. Wo waren ihre Rücklichter? Er kam zum Farrington Highway. Links oder rechts? Er bog nach links ab. Dort ging es nach Honolulu. Sie würde wahrscheinlich diesen Weg wählen. Als er den Wagen stark beschleunigte, wurde er regelrecht in seinen Sitz hineingepresst, und ein Gefühl von Macht und Stärke stieg in ihm auf.
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