»Und Sie sind auch nicht ohne«, gab Elizabeth zurück. Im selben Moment improvisierte sie einen tänzerischen Fehltritt, und ihr spitzer Absatz landete auf dem großen Zeh des Botschafters. Der stieß einen kleinen Schmerzensschrei aus. Elizabeth war die leibhaftige Reue. »Es tut mir so leid, Exzellenz! Lassen Sie mich Ihnen einen Drink besorgen.«
Schon war sie in Richtung Bar entschwunden. Gewandt schlängelte sie sich durch die Schar der Gäste, ließ ihre Blicke zugleich über den ganzen Ballsaal schweifen, um festzustellen, ob auch alles perfekt war.
Perfektion - das war es, was ihr Vater verlangte. Mittlerweile hatte Elizabeth auf mindestens hundert Partys für ihren Vater die Honneurs gemacht, aber immer noch nicht gelernt, die Dinge auf sich zukommen und an sich vorbeirauschen zu lassen. Jeder Empfang war ein Ereignis, eine Premiere, bei der hunderterlei schiefgehen konnte. Trotzdem war sie nie so glücklich gewesen. Ihre Mädchenträume hatten sich erfüllt: Sie befand sich in der Nähe ihres Vaters, er wollte sie um sich haben, brauchte sie. Sie hatte sich an den Umstand gewöhnt, dass seine Bedürfnisse ganz unpersönlicher Art waren und ihr Wert für ihn allein darauf beruhte, was sie für den Konzern zu leisten vermochte. Das war nun einmal Sam Roffes einziger Maßstab in der Beurteilung von Menschen. Und Elizabeth hatte es vollbracht, die nach dem Tod ihrer Mutter entstandene Lücke zu schließen. Für ihren Vater war sie zu einer perfekten Gastgeberin geworden. Aber da sie außerdem hochintelligent war, bedeutete sie für Sam weit mehr als das. Sie begleitete ihn auf Geschäftsreisen und zu Konferenzen in Flugzeugen, Fabriken, in Botschaften und Palästen. Stets war Elizabeth an seiner Seite. Sie beobachtete, wie ihr Vater seine Macht einsetzte, das Milliardenvermögen, wie er kaufte, verkaufte, Unternehmen stürzen ließ und neue hervorzauberte. Roffe und Söhne war wie ein Füllhorn, und Elizabeth sah, wie ihr Vater Freunde verwöhnte und Feinde am ausgestreckten Arm verhungern ließ. Sie fand diese neue Welt ungeheuer faszinierend, voller interessanter Leute, und Sam Roffe war der unumstrittene Herrscher.
Als sich Elizabeth jetzt im Ballsaal umsah, suchte ihr Blick Sam. Er stand an der Bar, plauderte mit Rhys, einem Premierminister und einem Senator aus Kalifornien. Sam entdeckte seine Tochter und winkte sie zu sich. Auf dem Weg zu ihm durch die festliche Menge dachte sie an die Zeit von damals, vor drei Jahren, als alles begann.
Am Tag ihrer Examensfeier noch war Elizabeth nach Hause geflogen. Ihr Zuhause war zu der Zeit gerade das Apartment am Beekman Place in Manhattan. Rhys war bei ihrem Vater, und irgendwie hatte sie das vorausgeahnt. In den geheimen Ecken ihrer Gedanken hatte sie die Bilder von ihm verwahrt, und immer, wenn sie sich einsam und niedergeschlagen fühlte oder entmutigt war, holte sie die Erinnerung hervor und wärmte sich an ihr. Am Anfang war ihr alles hoffnungslos vorgekommen: ein fünfzehnjähriges Schulmädchen und ein Mann von fünfundzwanzig. Statt zehn hätte der Unterschied genausogut hundert Jahre betragen können. Aber irgendwie schien mathematische Magie im Spiel zu sein: Mit achtzehn erschien ihr die Lücke schon weit weniger groß. Es war, als altere sie schneller als Rhys bei dem Versuch, ihn einzuholen.
Als Elizabeth die Bibliothek betrat, wo sie gerade Geschäftliches besprachen, standen beide Männer auf. »Ach, Elizabeth«, sagte ihr Vater, als sei ihr Erscheinen etwas ganz Alltägliches. »Eben angekommen?«
»Ja.«
»Die Schule liegt also hinter dir.«
»Ja.«
»Na, fein.«
Und das war ihr ganzer Willkommensgruß. Doch Rhys kam lächelnd auf sie zu, schien aufrichtig erfreut, ihr wieder zu begegnen. »Sie sehen fabelhaft aus, Liz. Wie lief’s mit der Matura? Sam wollte ursprünglich zur Feier kommen, aber er konnte einfach nicht weg.«
Er sagte all die Worte, die eigentlich von ihrem Vater hätten kommen müssen.
Elizabeth fühlte sich verletzt und ärgerte sich gleichzeitig darüber. Es war ja nicht so, dass ihr Vater sie nicht liebte, sagte sie sich. Er hatte sich eben nur einer Welt verschrieben, in der ein Mädchen nicht vorkam. Ein Sohn hätte dort sofort Zugang gefunden, aber mit einer Tochter konnte er nichts anfangen. Sie passte nicht in das Organisationsschema.
»Ich glaube, ich störe.« Elizabeth ging zur Tür.
»Moment mal«, kam ihr Rhys zuvor. Er wandte sich an Sam. »Liz ist gerade zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Da kann sie uns doch bei der Party am Samstagabend behilflich sein.«
Sam blickte sie prüfend an, als gelte es, über eine Neubewerbung zu entscheiden. Jawohl, sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich, war ebenso schön, hatte dieselbe natürliche Art. In Sams Augen blitzte Interesse auf. Dass seine Tochter eine Bereicherung für Roffe und Söhne darstellen könnte, war ihm noch nie in den Sinn gekommen. »Hast du ein Abendkleid?«
Elizabeth sah ihn konsterniert an. »Ich -«
»Das macht nichts. Geh und kauf dir eins. Weißt du, wie man eine Party veranstaltet?«
Elizabeth schluckte. »Natürlich.« Gehörte das nicht zum Stundenplan eines jeden exklusiven Schweizer Internats? Da bekam man den letzten gesellschaftlichen Schliff, wurde auf Grazie getrimmt. »Selbstverständlich weiß ich, wie man eine Party gibt.«
»Ausgezeichnet. Ich habe eine Gruppe aus SaudiArabien eingeladen. Es sind ungefähr -« Er sah Rhys an.
Rhys lächelte Elizabeth ermunternd zu und ergänzte: »Vierzig, vielleicht ein paar mehr oder weniger.«
»Überlas nur alles mir«, verkündete Elizabeth.
Das Abendessen wurde ein komplettes Fiasko.
Elizabeth hatte dem Koch die Speisefolge diktiert: Hummercocktail, als nächstes Cassoulet, dazu Spitzenweine. Unglückseligerweise enthielt das Cassoulet Schweinefleisch, was die Araber ebensowenig anrühren wie Schellfisch. Und alkoholische Getränke sind ihnen ohnehin untersagt. Stumm starrten die Gäste auf die südfranzösische Spezialität und nahmen keinen Bissen. Elizabeth saß ihrem Vater gegenüber an der Spitze der langen Tafel und verging vor Scham, starb innerlich einen langsamen Tod.
Wieder einmal war es Rhys Williams, der ihr zu Hilfe eilte und den Abend rettete. Für wenige Minuten verschwand er im Arbeitszimmer, um zu telefonieren. Schon war er wieder zurück und unterhielt die Gäste mit amüsantem Geplauder, während das Personal den Tisch abräumte.
Die Araber kamen gar nicht dazu, sich ungemütlich zu fühlen, denn innerhalb kürzester Zeit fuhr vor dem Portal eine Flotte von Lieferwagen vor, und wie von Zauberhand wurden die erlesensten Speisen hereingetragen: Kuskus und Lamm am Spieß, Reis, Platten mit gebackenen Hähnchen und Fischgerichte, danach Süßspeisen, Käse und frisches Obst. Alle schwelgten, mit Ausnahme von Elizabeth. Sie brachte keinen Bissen herunter. Jedesmal wenn sie aufzusehen wagte, bemerkte sie, wie Rhys sie beobachtete. Mit Verschwörermiene zwinkerte er ihr zu. Warum, wusste sie selbst nicht, aber Elizabeth empfand ihre Niederlage um so schlimmer, da ausgerechnet Rhys nicht nur Zeuge ihrer Blamage war, sondern auch noch als ihr Retter auftrat. Als die Party endlich zu Ende war und die letzten Gäste in den frühen Morgenstunden widerstrebend gingen, blieben Elizabeth, Sam und Rhys noch im Salon. Rhys schenkte Brandy ein.
Elizabeth holte tief Luft und wandte sich an ihren Vater. »Tut mir leid wegen des Dinners. Wenn Rhys nicht gewesen wäre, dann -«
Aber Sam zeigte keinerlei Gemütsbewegung. »Nächstes Mal gelingt es dir bestimmt besser.«
Und er behielt recht. Von da an ging nichts mehr schief, wenn Elizabeth eine Party organisierte, sei es für vier Personen oder für hundert. Sie betrieb regelrechte Gästeforschung, stellte Vorlieben und Abneigungen fest, wusste, was jeder gerne aß und trank, welche Art von Unterhaltung bevorzugt wurde. Sie legte sich eine Kartei über ihre Gäste an. Und die Freunde und Bekannten fühlten sich geschmeichelt, wenn sie merkten, dass ihr Lieblingswhisky oder die bevorzugte Weinsorte oder Zigarrenmarke eigens für sie bereitgehalten wurde und dass Elizabeth mit ihrem Metier vertraut war und sich angeregt darüber zu unterhalten wusste.
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