Wer hatte auch je von einem Mädchen gehört, das gleichermaßen schön und klug war?
Immerhin ließ sich Elizabeth geduldig den Hof machen, um ihrem Vater einen Gefallen zu tun. Aber es langweilte sie grenzenlos.
Eines Tages tauchte Rhys Williams in der Villa auf, und Elizabeth war selbst erstaunt, wie erregt sie war und wie sehr sie sich freute, ihn wiederzusehen. Er war noch weit attraktiver als in ihrer Erinnerung.
Auch Rhys schien sich über das Wiedersehen zu freuen. »Wie haben Sie denn das angestellt?« fragte er.
»Was meinen Sie?«
»Haben Sie in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?«
Sie lief rot an. »Nein.«
Er wandte sich an Sam. »Wenn die Jungens nicht alle taub, stumm und blind sind, hab’ ich das Gefühl, wir werden Liz nicht mehr lange bei uns haben.«
Bei uns! Elizabeth war vor Freude fast schwindlig, ihn das sagen zu hören. Sie hielt sich, soweit es möglich war, bei den beiden Männern auf, brachte ihnen Drinks, erledigte Aufträge und war glücklich, wenn sie Rhys nur anschauen konnte. Manchmal saß sie im Hintergrund und hörte zu, wenn die beiden Geschäftliches erörterten. Das schlug sie völlig in Bann. Die Männer sprachen von Fusionen, neuen Fabriken, Produkten, die auf dem Markt erfolgreich waren, und solchen, die sich nicht durchsetzen konnten, und diskutierten die Gründe. Elizabeth hörte von den Konkurrenten, von Marktstrategien und Gegenmaßnahmen. Ihr kam das alles sehr verwirrend vor.
An einem Tag, als Sam im Turmzimmer arbeitete, lud Rhys sie zum Lunch ein. Sie führte ihn in den »Red Lion« und sah zu, wie er sich mit den Männern an der Bar am Pfeilspiel beteiligte. Sie bewunderte, wie leicht er sich seiner Umgebung anpasste und überall gleich zu Hause war. Sich in seiner Haut wohl fühlen: Rhys demonstrierte ihr die Bedeutung dieser Redensart.
Sie saßen an einem kleinen Ecktisch mit rot-weiß karierter Decke, aßen shepherd’s pie, tranken Ale dazu und unterhielten sich. Rhys fragte sie über die Schule aus.
»Eigentlich geht’s ganz gut«, gestand Elizabeth. »Langsam komme ich dahinter, wie wenig ich weiß.«
Rhys lächelte. »Dann haben Sie mehr gelernt als die meisten anderen. Im Juni ist es geschafft, nicht wahr?«
»Ja.« Elizabeth überlegte, woher ihm das bekannt war.
»Wissen Sie schon, was Sie dann machen wollen?«
»Nein, noch nicht.«
»Wie wär’s mit Heiraten?«
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, dann ging ihr auf, dass die Frage ganz allgemein gestellt war. »Ich hab’ noch niemanden gefunden.« Sie musste plötzlich an Mlle. Harriot denken und lachte verlegen.
»Was gibt’s«, erkundigte sich Rhys, »ein Geheimnis?«
»Stimmt.« Gern hätte sie es mit ihm geteilt, doch sie spürte, dafür kannte sie ihn noch nicht gut genug. In Wahrheit, ging ihr auf, kannte sie ihn so gut wie gar nicht. Er war für sie nur ein charmanter, gutaussehender Fremder, der ihr aus Mitleid einmal ein Geburtstagsessen in Paris spendiert hatte. Sie wusste, dass er in geschäftlichen Dingen beschlagen war und ihr Vater sich ganz auf ihn verließ. Aber über sein Privatleben, den eigentlichen Rhys Williams, wusste sie gar nichts. Als sie ihn so betrachtete, glaubte Elizabeth neben einem Mann mit vielen Gesichtern zu sitzen, der ein Gefühl zeigte, um andere damit zu verdecken. Kannte ihn überhaupt jemand? fragte sie sich.
Rhys Williams war es auch, der für den Verlust ihrer Jungfräulichkeit verantwortlich war. Der Gedanke, mit einem Mann zu schlafen, kam Elizabeth immer öfter in den Sinn. Das entsprang zum Teil dem starken physischen Bedürfnis, das sie manchmal unvermittelt packte und schüttelte wie ein Sturm, geradezu ein physischer Schmerz, den sie nicht los wurde. Dazu kam eine kaum bezähmbare Neugierde, der Drang zu wissen, was Liebe eigentlich ist. Natürlich konnte sie nicht mit dem erstbesten ins Bett steigen. Es musste jemand Besonderes sein, ein Mann, den sie lieben und achten konnte, so wie er sie.
An einem Samstagabend gab ihr Vater einen Galaempfang in der Villa.
»Ziehen Sie Ihr schönstes Kleid an«, empfahl Rhys Elizabeth. »Ich möchte mit Ihnen angeben können.«
Elizabeth war vor Freude außer sich. Natürlich glaubte sie, Rhys hätte sie für den Abend als seine Partnerin erkoren. Als er dann kam, hatte er eine schöne blonde Italienerin im Schlepptau, eine römische Prinzessin. Elizabeth war so wütend und enttäuscht, dass sie die Party um Mitternacht mit einem bärtigen russischen Maler verließ und sich dem Mann, der nicht mehr nüchtern war, hingab.
Das kurze Abenteuer entpuppte sich als eine Katastrophe. Elizabeth war so nervös und Wassilow, der Maler, so betrunken, dass es eine riesige Enttäuschung wurde. Das Vorspiel erschöpfte sich darin, dass Wassilow die Hosen fallen ließ und ins Bett plumpste. Da war Elizabeth bereits kurz davor, die Flucht zu ergreifen, aber sie bezwang sich. Schließlich musste Rhys für seine Untreue bestraft werden. Also zog sie sich aus und kroch in des Künstlers Bett. Im nächsten Moment, ohne dass Zärtlichkeiten vorausgingen, drang Wassilow in sie ein.
Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Elizabeth. Nicht gerade unangenehm, doch sie konnte beim besten Willen auch nicht behaupten, die Erde hätte gebebt. Wassilows Körper zuckte ein paarmal schnell hintereinander, und Sekunden später war sein lautes Schnarchen zu hören. Da lag sie nun, von tiefer Selbstverachtung ergriffen. Das war es also, wovon die Lieder, Bücher und Gedichte handelten. Sie musste an Rhys denken und hätte am liebsten geheult. Leise zog sie sich an und ging nach Hause. Als der Maler sie am nächsten Morgen anrief, ließ Elizabeth ausrichten, sie sei nicht da. Am darauffolgenden Tag musste sie ins Internat zurück.
Sie flog mit dem konzerneigenen Flugzeug in die Schweiz. Auch ihr Vater und Rhys Williams waren an Bord. Die Maschine, eine normale Ausführung und für den Transport von hundert Passagieren geeignet, war in einen Luxuskreuzer verwandelt worden. Im Heck lagen zwei große, elegant ausgestattete Schlafzimmer, komplett mit Bädern, im Mittelteil Büro und behaglicher Wohnraum mit Gemälden an den Wänden, schließlich im Bug, hinter dem Cockpit, eine Bordküche mit allen Schikanen. Für Elizabeth war dieses Flugzeug der fliegende Teppich ihres Vaters.
Die meiste Zeit unterhielten sich die beiden Männer über Geschäfte. Als Rhys Zeit hatte, spielte er mit Elizabeth eine Partie Schach. Sie rang ihm ein Unentschieden ab, und er lobte ihre Klugheit. Sie errötete vor Freude.
Wie im Flug vergingen die letzten Schulmonate. Langsam wurde es für Elizabeth Zeit, an die Zukunft zu denken. Ihr fiel Rhys’ Frage ein: Wissen Sie schon, was Sie machen wollen? Sie war sich noch nicht im klaren. Der alte Samuel hatte es fertiggebracht, dass sie das Familienunternehmen faszinierte. Sie wusste jetzt, sie würde gern darin mitarbeiten. Aber wie das bewerkstelligen? Zu Beginn konnte sie vielleicht ihrem Vater assistieren. Ihr fielen all die Geschichten über ihre Mutter ein, was für eine hervorragende Gastgeberin sie gewesen war und wie Sam nicht mehr auf sie verzichten konnte. Ja, sie würde versuchen, den Platz ihrer Mutter einzunehmen. Ein Anfang war es auf jeden Fall.
Mit der freien Hand kniff der schwedische Botschafter Elizabeth sanft ins Hinterteil. Sie tanzten über das Parkett, und Elizabeth versuchte, den Annäherungsversuch zu ignorieren. Ihrem Lächeln war nichts anzumerken. Ihr erfahrener Blick nahm das glanzvolle Treiben um sie herum wahr, die elegant gekleideten Gäste, das Orchester, Diener in Livree, das Büffet, beladen mit exotischen Köstlichkeiten und erlesenen Weinen. Zufrieden stellte sie fest: eine gelungene Party.
Schauplatz war der Ballsaal ihres Hauses auf Long Island, zweihundert Gäste, jeder einzelne wichtig für Roffe und Söhne. Elizabeths Tanzpartner machte sich wieder bemerkbar: Der schwedische Botschafter presste seine elegante Gestalt immer fester an ihren Körper, jetzt ganz eindeutig auf Eroberung aus. Als nächstes fühlte sie seine Zungenspitze in ihrem Ohr und vernahm sein Flüstern: »Sie sind eine wundervolle Tänzerin -«
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