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Dick Francis: Angst(Nerve)

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Dick Francis Angst(Nerve)

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Angst und Unsicherheit gehen um auf dem Rennplatz von Dunstable. Art Mathews schießt sich unter den Augen seiner Jockey-Kollegen eine Kugel in den Kopf. Doch er ist nur das erste Opfer einer mysteriösen Unglücksserie. Erst Rob Finn, ein ziemlich Neuer im Geschäft, macht sich an des Rätsels Lösung und gerät prompt in Lebensgefahr.

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Dick Francis

Angst

Kapitel 1

Art Mathews erschoß sich, zu aller Verwunderung, mitten im Paradezirkel auf der Pferderennbahn Dunstable.

Ich stand nur zwei Meter von ihm entfernt, aber es ging so schnell, daß ich ihn nicht einmal hätte abhalten können, wenn wir Schulter an Schulter gewesen wären.

Er hatte den Umkleideraum vor mir verlassen, die schmalen Schultern unter der khakifarbenen Jacke hochgezogen, die er über dem Renndreß trug, den Kopf tief auf der Brust, als sei er in Gedanken. Mir war aufgefallen, daß er auf den beiden Stufen vom Wiegeraum zum Fußweg stolperte, und als ihn unterwegs jemand ansprach, reagierte er nicht. Aber es war der übliche Weg vom Wiegeraum zum Paradezirkel, ein Rennen wie hundert andere. Nichts deutete darauf hin, daß er nach einem kurzen Gespräch mit dem Eigentümer und Trainer des Pferdes, das er reiten sollte, seine Jacke ausziehen, unter ihr, während er sie auf den Boden fallen ließ, eine Pistole hervorholen, die Mündung an die Schläfe setzen und den Abzug durchziehen würde.

Ohne Zögern. Ohne Überlegungspause. Ohne Abschied. Die Gelassenheit dieses Vorgangs war ebenso schockierend wie seine Wirkung.

Er hatte nicht einmal die Augen geschlossen, und sie waren offen, als er zu Boden stürzte, mit dem Gesicht voraus ins Gras, und sein Helm davonrollte. Die Kugel war durch den Schädel gedrungen, und die Ausschußwunde war deutlich zu sehen. Der Knall des Pistolenschusses hallte auf dem Sattelplatz wider, verstärkt durch die hohe Rück-

wand der Tribüne. Köpfe drehten sich suchend, und das geschäftige Summen und Murmeln aus der Menge der Zuschauer wurde leiser und verstummte schließlich ganz, als die schreckliche, unglaubliche, unwiderlegbare Tatsache, daß auf dem hellgrünen Rasen die sterblichen Überreste Art Mathews lagen, keinen Zweifel mehr zuließ.

Mr. John Brewar, der Besitzer des Pferdes, das Art hätte reiten sollen, stand da mit offenem Mund, wie von einem genau gezielten Schlag betäubt. Seine etwas dickliche, gut gepflegte Frau fiel mit der ungraziösen Schlaffheit einer echten Ohnmacht um, und Corin Kellar, der Trainer, für den sowohl Art als auch ich ins Rennen gehen sollten, ließ sich auf ein Knie nieder, packte Art an der Schulter und rüttelte ihn, als könne er einen Menschen wieder zum Leben erwecken, der mit zerschossenem Schädel vor ihm lag.

Die Sonne schien hell. Das Blau und Orange von Arts seidener Bluse glänzte; seine weißen Breeches waren makellos, und seine Reitstiefel schimmerten in mattem Glanz. Mir kam plötzlich der Gedanke, daß es ihn sicher gefreut hätte, wenigstens vom Hals abwärts den bei ihm üblichen gepflegten Eindruck zu vermitteln.

Die beiden Rennleiter eilten herüber und erstarrten zu Salzsäulen. Der Schrecken zwang ihnen die Kiefer auf, verengte ihre Augen. Es gehörte mit zu ihren Pflichten, sich im Paradezirkel aufzuhalten, während die Pferde vor den Rennen im Kreis herumgeführt wurden, damit sie gleichzeitig als Zeugen und Richter fungieren konnten, falls sich Unregelmäßigkeiten ergaben. Etwas derart Ausgefallenes wie der öffentliche Selbstmord eines erstklassigen Jockeis war ihnen wohl noch nicht untergekommen.

Der ältere der beiden, Lord Tirrold, ein großer, hagerer Mann von bürokratischer Engstirnigkeit, beugte sich über Art. Ich sah, wie seine Kaumuskeln hervortraten, dann hob er den Kopf, sah mich an und sagte leise:»Finn… holen Sie eine Decke.«

Ich ging zwanzig Schritte durch den Paradezirkel, wo um eines der für dieses Rennen gemeldeten Pferde Besitzer, Trainer und Jockei herumstanden. Wortlos nahm der Trainer die Decke von seinem Pferd und hielt sie mir hin.»Mathews?«fragte er ungläubig.

Ich nickte bedrückt, bedankte mich für die Decke und trug sie hinüber.

Der zweite Rennleiter, ein mürrischer, stämmiger Mann namens Ballerton, den ich nicht leiden konnte, verlor seine sonst so eifersüchtig gehütete Würde und übergab sich.

Mr. Brewar strich seiner bewußtlosen Frau den Rock glatt und fühlte besorgt ihren Puls. Corin Kellar, der immer noch neben seinem Jockei kniete, fuhr sich unaufhörlich mit der Hand über die Stirn und das Kinn. Sein Gesicht war aschfahl, seine Hand zitterte.

Ich gab Lord Tirrold eine Ecke der Decke, wir falteten sie auseinander und breiteten sie vorsichtig über den Toten. Lord Tirrold starrte den regungslosen, braunen Hügel eine Weile an, dann sah er sich im Kreis der Leute um, die sich für dieses Rennen gemeldet hatten. Er ging hinüber und sprach mit ein paar Männern; kurze Zeit später führten die Stallburschen alle Pferde aus dem Paradezirkel in die Sattelboxen zurück.

Ich sah auf Corin Kellar hinunter und fragte mich, wie einem Mann zumute sein mußte, der einen Menschen zum Selbstmord getrieben hatte.

Ich hörte ein lautes Knacken, dann verkündete eine Stimme über die Lautsprecher, daß wegen eines schweren Unfalls im Paradezirkel die letzten beiden Rennen nicht stattfinden könnten. Der morgige Renntag werde wie geplant abgewickelt, und jetzt möge man bitte nach Hause gehen. Was die ständig wachsende Zuschauermenge rund um den Zirkel aber nicht daran hinderte, die Pferdedecke, unter der Mathews lag, weiterhin sensationslüstern anzustarren.

Nichts regt die Menschen so sehr an wie ein blutiges Unglück, dachte ich tolerant, als ich Arts Helm und Peitsche aufhob.

Der arme Art. Der arme, gehetzte, verfolgte Art hatte sich mit einer Kugel von seinem Elend befreit.

Ich drehte mich um und ging nachdenklich zum Wiegeraum zurück.

Während wir uns umzogen, versuchten wir, den Schock durch Respektlosigkeit zu verdecken. Art, der nach der herrschenden Meinung unter uns Jockeis die führende Position behauptet hatte, obwohl er mit fünfunddreißig Jahren bei weitem nicht der Älteste gewesen war, hatte stets mit großem Respekt rechnen dürfen. Er hatte sich zwar manchmal recht abweisend gegeben, war aber ein anständiger Mensch und ein ausgezeichneter Jockei gewesen. Seine einzige auffallende Schwäche, die wir zu belächeln pflegten, war seine Überzeugung gewesen, daß ein verlorenes Rennen stets auf irgendeinen Makel seines Pferdes oder der Ausbildung zurückzuführen sein mußte, niemals aber auf einen Fehler, den er begangen haben mochte. Wir wußten alle recht genau, daß Art, wie jeder Jockei, gelegentlich einmal irrte, aber das hätte er niemals zugegeben.

«Gott sei Dank war Art wenigstens so rücksichtsvoll, das Wiegen abzuwarten, bevor er sich umgebracht hat«, sagte Tick-Tock Ingersoll, während er seinen blauschwarz gewürfelten Pullover auszog. Sein Gesicht tauchte breit grinsend hinter dem Pullover auf, wurde aber sofort ernst, als niemand lachte.

«Na ja«, sagte er und ließ den Pullover geistesabwesend auf den Boden fallen.»Wenn er schon vor einer Stunde Schluß gemacht hätte, wäre jeder von uns zehn Piepen los.«

Er hatte recht. Unser Renngeld war praktisch verdient, sobald wir auf der Waage gesessen hatten und das Gewicht für korrekt befunden war; es wurde ausbezahlt, ob wir nun ritten oder nicht.

«Dann sollten wir wenigstens die Hälfte für seine Witwe in eine gemeinsame Kasse tun«, meinte Peter Cloony, ein kleiner, stiller, junger Mann mit einer Tendenz zu überschwenglichen Gefühlen, der bei jeder Gelegenheit ungeheures Mitleid mit anderen und mit sich selbst empfand, es allerdings ebenso schnell wieder loswurde.

«Ich denke ja gar nicht daran«, sagte Tick-Tock, der für Cloony nichts übrig hatte.»Zehn Piepen sind für mich zehn Piepen, und Mrs. Mathews schwimmt ja in Geld. Sie bildet sich noch allerhand drauf ein. Da kann einer schon froh sein, wenn ich ihr guten Tag sage.«

«Irgendwie muß man aber seinen Respekt bekunden«, sagte Peter eigensinnig, sah uns alle mit feuchten Augen an, ohne aber Tick-Tocks grimmigen Blick zu erwidern.

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