Dick Francis - Galopp(Trial Run)
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Dick Francis
Galopp (Trial Run)
Kapitel 1
Mir fielen mindestens drei Gründe ein, warum ich nicht nach Moskau wollte; einer davon war sechsundzwanzig, blond und gerade dabei, oben ihren Koffer auszupacken.
»Ich kann kein Russisch«, sagte ich.
»Natürlich nicht.«
Mein Besucher seufzte über soviel Beschränktheit und nahm ein vornehmes Schlückchen von seinem Pink Gin. Seine Stimme klang herablassend.
»Niemand erwartet von Ihnen russische Sprachkenntnisse.«
Der Freund eines Freundes hatte ihn telefonisch angekündigt. Er sagte, sein Name sei Rupert Hughes-Beckett; es handele sich um eine etwas - äh - delikate Angelegenheit, und er wäre dankbar, wenn ich eine halbe Stunde Zeit für ihn hätte.
Als ich auf sein Klingeln hin die Haustür öffnete, fiel mir sofort das Wort »Mandarin« ein, und seither hatte jede Geste, jede Betonung diesen Eindruck verstärkt. Ein Mann von ungefähr fünfzig, groß und hager, tadellos und unauffällig gekleidet, umgeben von einer Aura unerschütterlicher Höflichkeit. Die kultivierte Stimme sprach, ohne daß sich die Lippen viel bewegten, als könne ein Anspannen der Muskeln in der Mundgegend an sich schon das Entschlüpfen eines unvorsichtigen Wortes verhindern. Jede Bewegung der Hände war beherrscht, ja sogar die Art, wie er sich nur kurz umsah und sich dann ganz auf mich, seine eigenen Handrücken und das Glas mit seinem Drink konzentrierte.
Männer seines Schlages waren mir nicht unbekannt, und
einige hatte ich sogar gern, Rupert Hughes-Beckett gegenüber jedoch verspürte ich eine unerklärliche Abneigung, die in mir den Wunsch erweckte, nein zu seinen Vorschlägen zu sagen.
»Es würde Sie nicht viel Zeit kosten«, sagte er geduldig. »Wir rechnen mit einer - höchstens zwei Wochen.«
Ich brachte genausoviel behutsame Höflichkeit auf wie er.
»Warum fahren Sie nicht selbst?« fragte ich. »Sie würden viel leichter Zugang finden.«
Ein Hauch von Ungeduld zuckte in seinen Augen auf. »Man hält es für besser, jemand zu schicken, der mit ... äh ... Pferden vertraut ist.«
Schlüpfrige Bemerkungen hätten zu nichts geführt und Rupert Hughes-Beckett kaum gefallen. Außerdem schloß ich aus der abfälligen Art, wie er »Pferd« sagte, daß er von seinem gegenwärtigen Auftrag ebensowenig begeistert war wie ich. Das machte ihn mir nicht sympathischer, aber es erklärte wenigstens, warum ich ihn instinktiv abgelehnt hatte. Er tat sein Bestes, und das war gar nicht wenig, doch mit diesem einen Wort hatte er seine ganze Geringschätzung verraten: Mir war diese Haltung schon zu oft begegnet, ich kannte sie.
»Keine Ritter mehr im Auswärtigen Amt?« fragte ich spöttisch.
»Wie meinen Sie?«
»Warum ich?« wollte ich wissen und hörte in der Frage die ganze Verzweiflung des ungewollt Erkorenen. Warum ich? Ich will nicht. Weg damit. Sucht euch jemand anderen. Laßt mich in Ruhe.
»Man fand wohl, es sollte Ihnen angetragen werden, weil Sie den nötigen ... äh ... Status haben«, erwiderte er und lächelte schwach, als wolle er sich für eine derart extravagante Feststellung entschuldigen. »Und die Zeit natürlich«, setzte er hinzu.
Das ging unter die Gürtellinie, aber mein Gesicht blieb ruhig und ausdruckslos. Ich nahm die Brille ab und hielt sie gegen das Licht, wie um zu sehen, ob sie sauber sei, dann setzte ich sie wieder auf. Eine Verzögerungstaktik, die ich mein Leben lang, häufig ganz unbewußt, angewendet hatte, um mir Zeit zum Überlegen zu verschaffen. Eine Angewohnheit aus der Zeit, als mich ein Rechenlehrer mit sechs Jahren gefragt hatte, was ich mit dem Multiplikator gemacht hätte.
Ich hatte damals die eulenhaften Silbergerahmten abgesetzt und seine plötzlich verschwommenen Umrisse angestarrt, während ich in panischer Angst nachdachte. Was, um Himmels willen, war ein Multiplikator?
»Ich habe ihn nicht gesehen, Sir. Ich war’s nicht, Sir.«
Sein sardonisches Gelächter hörte ich heute noch. Aus dem Silberrahmen wurde ein Goldrahmen, dann Plastik und schließlich Schildpatt, aber ich nahm immer noch die Brille ab, wenn ich keine Antwort wußte.
»Ich habe Husten«, sagte ich. »Und es ist November.«
Die Albernheit dieser Erklärung wurde durch das tiefe Schweigen noch unterstrichen; Hughes-Beckett neigte den Kopf über sein Glas.
»Ich fürchte, die Antwort ist nein«, sagte ich.
Er hob den Kopf und betrachtete mich ruhig und höflich.
»Man wird enttäuscht sein«, stellte er fest. »Ich möchte fast sagen ... äh ... bestürzt.«
»Sie schmeicheln mir.«
»Man war der Ansicht, daß Sie ...« Er ließ den Satz unbeendet.
»Wer war der Ansicht?« fragte ich. »Wer genau?«
Sanft schüttelte er den Kopf, stellte das leere Glas ab und stand auf.
»Ich werde Ihre Antwort übermitteln.«
»Und mein Bedauern.«
»Wie Sie wünschen, Mr. Drew.«
»Ich hätte keinen Erfolg gehabt«, tröstete ich. »Ich bin kein Detektiv, ich bin Bauer.«
Er warf mir einen Seitenblick zu; ein weniger beherrschter Mensch hätte wahrscheinlich gesagt: »Reden Sie keinen Blödsinn.«
Ich ging mit ihm in die Halle, half ihm in den Mantel, öffnete die Tür und sah ihm nach, wie er barhäuptig durch die eisige Dunkelheit zu dem wartenden Daimler mit Chauffeur ging. Zum Abschied ließ er mich noch fünf Sekunden sein ausdrucksloses Gesicht durch die Scheibe sehen. Dann fuhr der schwere Wagen knirschend über den Kies die Auffahrt hinunter. Ich hustete in der kalten Luft und kehrte ins Haus zurück.
Emma kam in ihrer lässigen Freitagabendaufmachung die geschwungene Regencytreppe herunter: Jeans, kariertes Baumwollhemd, ausgeleierter Pullover und Cowboystiefel. Falls das Haus noch einmal so lange stand, würden die Mädchen des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts in diesem anmutigen Rahmen ebenso deplaziert wirken, überlegte ich flüchtig.
»Bleibt’s bei Fischstäbchen und Glotze?« fragte sie.
»Mehr oder weniger.«
»Du hast schon wieder Bronchitis.«
»Ist aber nicht ansteckend.«
Sie erreichte den Fuß der Treppe und ging ohne stehenzubleiben in die Küche. Bei ihr dauerte es immer eine Weile, bevor der Streß der Woche von ihr abfiel. Ich war die unfreundliche Begrüßung und die kratzbürstigen Zurückweisungen der ersten Stunden schon gewöhnt. Ich versuchte gar nicht mehr, ihr liebevoll entgegenzukommen. Vor zehn ließ sie sich keinesfalls küssen, vor Mitternacht nicht lieben und erst Samstag zur Teezeit war sie ganz sie selbst. Sonntags gammelten wir stillvergnügt vor uns hin, und Montagmorgen um sechs war sie wieder auf und davon.
Lady Emma Louders-Allen-Croft, Tochter, Schwester und Tante von Herzögen, hielt viel vom, wie sie es nannte, Ethos der berufstätigen Frau. Sie arbeitete ganztags, ohne Vergünstigungen, in einem gutgehenden Londoner Warenhaus, wo sie trotz ihres Strebens nach sozialer Benachteiligung kürzlich zur Einkäuferin für Bettwäsche in der zweiten Etage befördert worden war. Emma, mit überdurchschnittlichen organisatorischen Fähigkeiten ausgestattet, grämte sich über ihren Aufstieg; diese Art Geistesverwirrung konnte man in direkter Linie bis zu ihrer Schulzeit zurückverfolgen, wo sie in einem teuren Institut für höhere Töchter im stramm linksgerichteten Soziologieunterricht gelernt hatte, daß Verstand elitär, manuelle Arbeit hingegen der direkte Weg zur Seligkeit sei.
Ihr Trachten nach Aufopferung hatte zu kräftezehrenden Jahren als Kellnerin in Cafes und Verkäuferin in verschiedenen Läden geführt, schien aber ungebrochen. Ohne Stellung wäre sie keineswegs verhungert, hätte sich aber möglicherweise dem Alkohol oder Rauschgift ergeben.
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