Der alte Mann kniff die Augen zusammen und schaute Dóra misstrauisch an. »Ich dachte, du wüsstest nichts darüber. Ich finde, dafür triffst du aber ziemlich ins Schwarze.«
»Äh, ich kenne nur die Familie«, beeilte sich Dóra zu entgegnen. Sie drehte sich zu Matthias und blinzelte ihm zu. »Also, willst du die Brosche jetzt kaufen?«
»Den Orden«, korrigierte er und zog widerwillig seine Geldbörse hervor. »Was kostet er?«
Sie einigten sich über den Preis, und während der Mann den Orden einpackte, fragte Matthias Dóra: »Wann hast du eigentlich Geburtstag? Ich hab schon ein Geschenk für dich.«
Dóra streckte ihm die Zunge heraus und drehte sich dann zu dem Mann. »Vielen Dank«, sagte sie. Im Zickzack gingen sie zum Ausgang. Als sie bei der Tür angekommen waren, blieb Dóra noch einmal stehen, entschlossen, einen letzten Versuch zu wagen, den Namen des Bauern in Erfahrung zu bringen. Aber sie musste gar nichts mehr sagen.
Der alte Mann stand an seinem Platz hinter dem Tresen, die Hände auf den Tisch gestützt. Er schaute Dóra mit undurchdringlichem Gesicht scharf an, ergriff dann aber das Wort, bevor sie ihre Frage stellen konnte. »Bjarni«, sagte der alte Mann laut und deutlich. »Grímurs Bruder. Bjarni þórólfsson von Kirkjustétt.«
»Dieser Bjarni muss ja ein höchst sympathischer Zeitgenosse gewesen sein«, bemerkte Matthias und legte den Orden auf den Tisch. »Missbraucht seine Tochter und verbreitet Nazipropaganda.« Er drehte den Orden so, dass der Helm und die Schwerter von Dóra wegzeigten. »Ich glaube, der steht dir richtig gut.«
Dóra schob den Orden weg. »Bist du noch ganz dicht?«, sagte sie, »so was würde ich nie tragen. Der bringt bestimmt Pech. Könnte auch auf eine leichte Hirnverletzung hindeuten.« Sie zeigte auf den vor Matthias stehenden Teller. »Iss jetzt lieber, es kommt nicht oft vor, dass ich jemanden zum Essen ausführe.« Sie saßen in einem kleinen Restaurant, in das Dóra Matthias als Entschädigung für den Kauf eingeladen hatte. »Das ist für den Orden, weißt du.«
Sie häufte Pasta auf ihre Gabel und schob sie in den Mund. Als sie den Happen hinuntergeschluckt hatte, schaute sie auf und sagte: »Trotzdem bin ich der Frage, ob das mit Birna zusammenhängt, nicht näher gekommen. Eigentlich weiß ich genauso viel wie vorher.«
»Glaub mir, aus einem Bild von einem Hakenkreuz, das jemand in ein Notizbuch gezeichnet hat, lässt sich wirklich nicht viel schließen.«
»Nein, vielleicht nicht«, entgegnete Dóra. »Ich hab nur so ein Gefühl, dass es wichtig ist.«
»Manchmal sollte man auf seine Gefühle hören«, sagte Matthias. »Aber leider stimmen sie nicht immer.« Er trank einen Schluck Mineralwasser. »Am besten wäre es, wenn du deine Gefühle mit Argumenten untermauern könntest. Am allerbesten mit plausiblen.«
Dóra stocherte mit ihrer Gabel in den Nudeln herum. Mit zufriedener Miene schaute sie auf. »Weißt du, was ich tun sollte?«
»Hm, aufhören, dir den Kopf darüber zu zerbrechen und der Polizei die Ermittlungen überlassen?«, antwortete Matthias hoffnungsvoll.
»Nein«, entgegnete Dóra, »ich müsste mal kurz ins Internet und außerdem Birnas Kalender genauer unter die Lupe nehmen. Ich hab ihn mir nicht so genau angeschaut, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Gut möglich, dass ich was übersehen habe.« Sie stieß mit ihrem Limoglas gegen Matthias’ Mineralwasser. »Darauf trinken wir!«
Dóra saß an der Rezeption an einem Computer mit Internetzugang für die Gäste. In ihrem Zimmer, wo angeblich drahtloser Empfang sein sollte, lag ihr Laptop, aber nach zehn erfolglosen Versuchen hatte sie es aufgegeben und Matthias mit in die Lobby geschleppt. Dóra zeigte auf den Bildschirm. »Das muss er sein. Grímur þórólfsson wurde im Jahr 1890 in Stykkishólmur geboren und starb 1957 in Reykjavík.« Sie hatte im Grabstättenverzeichnis der Reykjavíker Friedhöfe Grímurs Namen gefunden. Sie klickte ihn an und las vom Bildschirm: »Fossvogur Friedhof. Grab H-36-0077.« Triumphierend schaute sie zu Matthias.
»Ich will dir deine Genugtuung wirklich nicht nehmen, Dóra, aber was haben wir davon?«
»Ich würde gerne wissen, was auf dem Grabstein steht. Wer weiß, vielleicht liegt Kristín neben ihm? Leider lässt sich das über die Grabnummern nicht feststellen, also bin ich gezwungen, jemanden zum Friedhof zu schicken.«
»Wen denn?«, fragte Matthias.
»Den rettenden Engel«, antwortete Dóra, »unsere Bella.«
»Doch, Bella. Ich möchte, dass du zum Fossvogur Friedhof fährst und ein Grab für mich suchst.« Dóra stöhnte leise und verdrehte die Augen. »Ja, und sag mir, was auf dem Grabstein steht und ob neben ihm oder in der Nähe eine gewisse Kristín liegt.« Sie schwieg eine Weile, lauschte den Einwänden der Sekretärin, fiel ihr aber am Ende ins Wort. »Natürlich ist mir klar, dass du nicht gleichzeitig im Büro und auf dem Friedhof sein kannst. Es dauert nicht lange. Du kannst die Anrufe auf dein Handy umleiten, und ruckzuck sitzt du wieder an deinem Platz.« Dóra fasste sich beim Zuhören an die Stirn. »Gut. Und sag mir Bescheid, was du rausgefunden hast.« Sie legte auf. »Puh. Warum kann ich nicht einfach eine normale Sekretärin haben, die sich darüber freut, mal an die frische Luft zu kommen?«
Matthias lächelte. »Sie ist schon in Ordnung. Du musst ihr nur eine kleine Chance geben.« Er lag im Bett, zufrieden mit Gott, der Welt und Bella. Ihr hatte er es zu verdanken, dass Dóra und er einen Moment für sich hatten und er die Richtung bestimmen konnte. Bella war beim ersten Mal nicht ans Telefon gegangen. Auch nicht beim zweiten und dritten Versuch. Daher hatte Dóra beschlossen, ihr eine halbe Stunde Zeit zu geben, bevor sie einen vierten Versuch startete.
Dóra nippte im Bademantel an ihrem Kaffee, den sie in der winzigen Kaffeemaschine auf dem Zimmer zubereitet hatte. Vor ihr auf dem kleinen Beistelltisch lag Birnas Kalender. Eifrig tippte sie mit dem Finger auf eine Seite. »Das ist merkwürdig.« Sie schaute zu Matthias, der halb schlummernd unter der Decke in dem großen Bett lag.
»Willst du sichergehen, dass deine Fingerabdrücke auch ganz bestimmt in dem Buch sind, falls es der Polizei in die Hände fällt?«, fragte er schläfrig.
»Nein, hör zu«, sagte Dóra eindringlich, »hier auf der Seite vor dem Hakenkreuz beschreibt sie die Kisten, die ich unten im Keller durchgesehen habe.« Sie hob das Buch hoch und zeigte Matthias die geöffnete Seite. »Guck mal, hier ist eine Liste über den Inhalt. Sie muss auf dieselben Dinge gestoßen sein wie ich, also auch auf die Nazifahne.«
»Und?«, fragte Matthias. »Was hat deine großartige Entdeckung zu bedeuten?«
Dóra legte den Kalender beiseite. »Ich weiß es nicht genau«, sagte sie und blätterte weiter zu der Seite mit dem Hakenkreuz. »Es ist doch offensichtlich, dass sie das wichtig fand, wenn man bedenkt, wie sorgfältig sie das Symbol gezeichnet und wie oft sie die Linien nachgezogen hat. Sieh nur.« Wieder hob sie das Notizbuch für Matthias in die Höhe.
Er kniff die Augen ein wenig zusammen und ließ sich dann wieder aufs Kissen fallen. »Ja, die Skizze ist tatsächlich sehr detailliert. Was hat sie danebengeschrieben?«
»Alles Mögliche«, sagte Dóra, »manches ist nicht lesbar, weil sie es wieder durchgestrichen hat, aber ich kann Hakenkreuz?? lesen, und hier steht Wo war er damals?? Dann sind da irgendwelche Telefonnummern, die ich leider nicht richtig entziffern kann, weil sie durchgestrichen sind.«
»Vielleicht nachdem Birna sie durchtelefoniert hatte?«, meinte Matthias.
»Fünf, acht irgendwas«, sagte Dóra, die Nase im Buch. Sie richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Warte mal, ich hab doch die Nummern notiert, die Birna von dem Telefon in ihrem Zimmer aus angerufen hat. Die könnte ich mal testen.« Dóra zog einen Zettel aus der Tasche, stand auf und ging zum Telefon. Sie wählte die erste Nummer und wartete, während es klingelte. Endlich wurde abgenommen. KB Bank, guten Tag! tönte es vom anderen Ende der Leitung. Dóra legte auf. »Fehlanzeige«, sagte sie zu Matthias und probierte die nächste Nummer. Als endlich abgenommen wurde, legte sie den Finger auf die Lippen, um Matthias zu bedeuten, er solle ruhig sein.
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