„Ich setze, wie gesagt, auf Sieg, Milady.“
„Also, wer ist der Tote? Doch nicht etwa der uns bekannte Alexander Henschel?“
„Exakt um ihn handelt es sich, Milady.“
„Die Fakten, James!“
„Ganz knapp berichtet: Der Wagen liegt in einem Weiher bei Wilden, unweit von Siegen. Der Fahrer wurde noch nicht gefunden. Ich werde mir die Örtlichkeit ansehen, nachdem ich Sie ins Hotel gebracht habe.“
„Ich komme mit. Sonst noch etwas von Belang?“
„Sie erben eine weitere Fabrik, Milady. Sie befindet sich in Kirchhundem und sollte offenbar vor Ihnen verheimlicht werden. Vom Rechtsanwalt und dem Richter, die beide schwarze Ringe mit Lemniskaten trugen.“
Lady Marbely machte große Augen. „Demnach ist der dritte Mann tot, der zumindest anfänglich einen ebensolchen Ring besaß. Wenn ich mir all das durch den Kopf gehen lasse, dann deutet doch vieles auf den zweiten Geschäftsführer Hans Obermann hin.“
„Der Schein kann trügen, Milady. Doch wir werden dem düsteren Herrn Obermann auf den Zahn fühlen und uns dann den beiden anderen Ringträgern widmen.“
„Und ich suche mir einen neuen Rechtsanwalt, der das klären soll“, entschied Lady Marbely. „Weiterhin werde ich mich nicht mit diesem Riff Raff abgeben.“
„So sehe ich das auch, Milady. Auch wenn ich nicht ganz sicher bin, was Riff Raff bedeutet.“
„Riff Raff steht für Hoipolloi.“
Der Butler lenkte den Maybach schweigend über die A45.
„Gesindel, Abschaum. Das Allerletzte“, erklärte Milady.
„Ich verstehe.“
„Gut. Aber was ist das für ein Turm?“, fragte die Lady, die ihre Aufmerksamkeit nun wieder der am Maybach vorbeiziehenden Landschaft zugewandt hatte. „Er sieht so aus wie die Villa Andreae.“
„Es handelt sich um den Dillenburger Wilhelmsturm, einem ebenso unheimlichen Ort wie besagte Villa.“
„Unheimlich inwiefern?“
„Zu Füßen dieses Turms, wenn Sie mir dieses gewagte sprachliche Bild erlauben, Milady, befinden sich die Kasematten des alten Schlosses.“
„Und was ist eine Kasematte?“
„Milady mögen entschuldigen. Ich hätte das erklären müssen. Unter einer Kasematte versteht man unterirdische Gewölbe.“
Lady Marbely nickte interessiert. „Das Städtchen möchte ich mir gerne einmal näher ansehen.“
Als sie zehn Minuten später die Talbrücke über dem Landeskroner Weiher passierten, sahen sie einen Polizeiwagen mit eingeschaltetem Blaulicht und Beamte mit Warnwesten, die das durchbrochene Brückengeländer absicherten.
Der Butler nahm die nächste Ausfahrt und fuhr zurück zum Stausee, dessen smaragdgrünes Wasser sauber und kalt wirkte. Auf dem Weiher ankerte ein Motorboot, in dem ein Taucher im Neoprenanzug stand. Der Butler winkte einen Mann, der von seinem Ruderboot aus angelte, zum Ufer und bat ihn, ihm das Boot einige Zeit zu überlassen. Dabei wedelte er mit einem Hunderteuroschein. Der Mann musterte das ungleiche Paar, nahm aber dankend an, setzte sich ans Ufer und warf von dort die Angelschnur in den See, während der Butler mit Lady Marbely, die unbedingt dabei sein wollte, zum Motorboot ruderte.
„Halten Sie Ausschau nach einer gelben Perücke“, bat der Butler. „Künstliche Haarteile sind leichter als Wasser.“
Doch weder er noch die Lady wurden fündig.
Am Motorboot angelangt zückte der Butler einen Europol-Ausweis und erkundigte sich, wo der BMW denn läge.
„In achtzehn Metern Tiefe, direkt unter uns“, antwortete der Taucher. „Ich war schon unten. Jetzt ist mein Kollege dran.“
Der Butler fragte weiter nach dem Zustand des Fahrzeugs und erfuhr, dass die linke Seite, auf der der Fahrer gesessen haben musste, stark beschädigt war. Das Seitenfenster fehlte.
„Und die Airbags?“, fragte der Butler.
„Die haben sich geöffnet.“
„Gibt es Spuren einer Manipulation am Fahrzeug?“
„Das können wir noch nicht sagen. Dazu müssen wir den Wagen heben, und das kann noch dauern, bis wir ein Schiff mit einem Kran hierherbekommen.“
„Sie verständigen mich, sobald das der Fall ist und wenn die Leiche des Fahrers gefunden wird“, bat der Butler und reichte dem Mann seine Visitenkarte.
„Das Wasser des Weihers ist zwar klar, aber doch sehr tief. Ich denke, wir müssen warten, bis der Tote von selbst an die Oberfläche kommt“, erklärte der Taucher.
Der Butler überlegte, einen Blick in die Tiefe zu tun, doch der leichte Regen, der Lady Marbely im Boot frösteln ließ, hielt ihn davon ab, und er entschloss sich, zum Ufer zurückzukehren.
„Lassen Sie mich rudern, James! Mir ist kalt. Etwas Bewegung wird mir guttun“, sagte die Lady in entschiedenem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Der Butler öffnete seinen Schirm und schützte Lady Marbely gegen den nun stärker werdenden Regen.
Nur wenig später zuckte er zusammen, als die Lady einen fürchterlichen Schrei ausstieß.
Der Butler nahm an, sie habe den Leichnam des Geschäftsführers im kühlen Gewässer des Landeskroner Weihers entdeckt, doch die Lady klärte ihn auf, dass sie ihren Ehering verloren habe. Ein letztes und ihr sehr wertvolles Andenken an ihren verstorbenen Graham. Dicke Tränen kullerten über das von der Kälte rosige Gesicht der Lady.
„Ich werde selbstverständlich alles unternehmen, den Ring zu finden. Wir sind zum Glück nahe beim Ufer. Man sieht hier bis zum Grund. Warten Sie, ich stoße ein Ruder in den Schotter, damit ich die Stelle wiederfinde.“
„Aber Sie werden doch nicht … Nein, James, das kann ich nicht zulassen.“
Der Butler, der mit dem Ruder mühsam ans Ufer gelangt war, brachte Lady Marbely zum Wagen, watete dann in voller Montur, den Schirm als Regenschutz verwendend, zu der bezeichneten Stelle am Ufer. Doch sosehr er sich bemühte, der Ring war nicht zu finden. Den Schirm in der einen, das Ruder in der anderen Hand, schritt er würdevoll zurück ans Ufer, wo er dem Kofferraum des Maybachs eine trockene Ersatzmontur entnahm. Wieder perfekt gekleidet, setzte er sich ans Lenkrad, wo er bedauernd zugeben musste, dass die Mission der Rettung des Eherings leider nicht von Erfolg gekrönt gewesen war.
„Vergessen Sie den Ring, James! Das interessante Schauspiel, das Sie eben boten und das ich im Rückspiegel verfolgen durfte, hat mich voll und ganz entschädigt. Wollen Sie nicht zu den Chippendales gehen?“
„Dafür ist es zu spät, Milady. Ein Mann mittleren Alters hat dort nichts verloren.“
„Aber Sie sind doch höchstens …“
„Neunundvierzig Jahre alt.“
„Sage ich ja. Nicht einmal fünfzig.“
„Schönheit des Leibs wird viel beacht’ und ist dahin doch über Nacht.“
„Sehr schön! Von Ihnen?“
„Nein, Milady. Sebastian Brandt, Das Narrenschiff .“
„Wie wahr“, sagte Lady Marbely und begann ihre vollen Lippen zu schminken.
*
„So geht das nicht! Euer Unvermögen gefährdet den Ausbau unserer Bewegung. Und das lasse ich nicht zu!“ Die Stimme des Führers klang entschlossen. Er schrie die beiden Männer an, die vor seinem breiten Schreibtisch standen.
„Wir sind keine Killer“, sagte der Richter.
„Wir haben im Rahmen unserer beruflichen Möglichkeiten getan, was wir konnten. Die Engländerin erfuhr nichts von der Fabrik in Kirchhundem“, verteidigte sich der Rechtsanwalt.
„Und wie erklärt ihr euch, dass eben diese Frau jetzt auf der Suche nach eben dieser Fabrik ist?“, fragte der Führer mit schneidender Stimme.
„Der verdammte Butler. Er hat Verdacht geschöpft und …“
Der Führer unterbrach den Richter: „Jeder Mensch mit Verstand weiß, dass das verluderte Siegener Werk nicht so viel Geld abwerfen kann. Und damit genug! Wir wenden uns jetzt der Zukunft zu. Wenn ihr auf eine solche Wert legt, dann korrigiert eure Fehler.“
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