Flankiert von den Fußsoldaten, zogen sie durch die auf dem Festland gelegenen Viertel von Tyros, bis sie den großen Damm erreichten. Dort schloß sich ihnen ein weiterer Trupp Soldaten an.
Die schwüle Hitze machte Samu zu schaffen. Ihre Hose klebte ihr schweißnaß an den Beinen und scheuerte an ihren Leisten, so daß sie wünschte, sie würde ein Kleid tragen. Schon auf dem Damm glaubte sie spüren zu können, welche Bedrohung von der Inselstadt ausging.
Dunkle Wolken ballten sich hinter den hohen Festungswällen weit draußen auf dem Meer zusammen. Ob die Meeresgötter die Tyrener wohl unterstützten? Nervös blickte die Priesterin auf die See und dachte daran, daß dort, wo sie jetzt ritt, eigentlich das Meer sein sollte. Der breite Damm kam ihr angesichts der weiten Wasserfläche jetzt so schmal wie eine Nabelschnur vor, und ihr wurde bewußt, wie vergänglich das Werk der Menschen im Vergleich zu den Gewalten der Götter war.
Die Gallier hinter ihr unterhielten sich gedämpft in ihrer seltsamen Sprache, die der Priesterin so fremd wie Vogelgezwitscher war. Ihre Stimmen schienen ein klein wenig schriller zu klingen, und sie lachten auch lauter über ihre Späße als zuvor.
Auch sie schienen die stumme Bedrohung zu spüren, die von der uralten Stadt ausging, die dereinst Melkart seinem Volk als Siedlungsplatz erwählt hatte.
Als sie das neue Tor erreichten, das dort errichtet worden war, wo der Damm auf die Insel traf und die Truppen Alexanders einst eine Bresche in die Stadtmauer geschlagen hatten, ertönten Hörner zu Ehren des Feldherren.
Der Stadtkommandant schrie über den Hörnerklang hinweg seinen Truppen Kommandos zu. Die Tore öffneten sich auf die breite, mit Mosaiken geschmückte Straße, die geradewegs ins Herz der Stadt zum Melkart-Tempel führte. Unübersehbare Menschenmengen flankierten die Straße und drängten sich auf den flachen Dächern der angrenzenden Häuser. Es schien fast, als hätten sich alle Tyrener auf der Insel versammelt, um den Feldherren zu betrachten, der sich gegen den Gott auflehnen wollte und durchsetzte, daß das Aquaeduct gebaut wurde.
Der Stadtkommandant hatte dafür gesorgt, daß jetzt rechts und links des Reitertrupps flankierend Fußsoldaten marschierten. Auch in der Front und im Rücken waren die Reiter abgeschirmt. Laut ertönte der Marschtritt der Soldaten auf den Mosaiken und übertönte das Geräusch der unbeschlagenen Pferdehufe.
Die Menschenmenge war fast still. Hier und dort tuschelten einige leise miteinander und zeigten auf den Feldherren, der für den Einritt in die Stadt einen bronzenen Muskelpanzer angelegt hatte und einen schweren, von einem weißen Federbusch gekrönten Helm trug.
Samu empfand die Blicke der Menschen und ihr Schweigen als bedrohlicher als jeden laut herausgeschrieenen Fluch. Sie hatte den Eindruck, daß die Tyrener auf etwas warteten.
Selbst die Gallier waren verstummt. Nervös musterten sie die Stadtbewohner. Gleißend brach sich das Sonnenlicht auf ihren blankpolierten Speerspitzen.
Vor ihnen öffnete sich jetzt der weite Tempelplatz. Samus Hände krallten sich in die Zügel. Hier würde sich das Schicksal des Feldherren entscheiden! Marcus Antonius hielt sich betont gerade im Sattel. Samu konnte ihn nur von hinten sehen, doch hatte sie den Eindruck, daß er, stolz erhobenen Hauptes, bereit war, die ganze Stadt zu fordern. Ob er sich jetzt größer als Alexander fühlte? Die Priesterin konnte nicht begreifen, warum sich der Magister equitum auf dieses Risiko eingelassen hatte. Wenn sich die Bürger gegen ihn erhoben, dann würden ihn auch seine hünenhaften gallischen Leibwächter nicht mehr retten können.
Einen Herzschlag lang dachte Samu daran, was wohl geschehen mochte, wenn tatsächlich der Gott der Stadt die Herausforderung annehmen würde ... Doch ein Blick auf die zornigen Gesichter der Menschen, die den Tempelplatz wie eine lebende Mauer umschlossen, genügte, um ihr erneut klar zu machen, daß es keines Gottes bedurfte, um die Römer zu vernichten.
Keuchend hetzte Philippos die letzten Treppenstufen hinauf.
Vom Platz her konnte er den schweren Marschtritt der Legionäre hören. Nicht mehr lange, und der Ägypter würde schießen. Wahrscheinlich konnte er Marcus Antonius schon sehen!
Ein letzter großer Schritt, und er stand auf dem Flachdach des Tempels. Im gleichen Augenblick, in dem Philippos das Dach betrat, hatte Hophra sich umgedreht, um einen Brandpfeil in einem kleinen Becken voller glühender Kohlen zu entzünden.
Mit fließender Bewegung riß er den Pfeil hoch, legte ihn auf die Sehne und spannte den Bogen.
Mit einem Sprung warf sich der Arzt nach vorne und versuchte, noch im Fallen sein Kurzschwert zu ziehen. Der Pfeil sirrte von der Sehne. Mit einem Rauschen loderten die Flammen auf, als das Geschoß kaum eine Handbreit seinen Kopf verfehlte. Für einen winzigen Augenblick glaubte Philippos sogar, die Hitze der Glut auf der Wange zu spüren.
Fluchend plagte sich der Grieche wieder auf und stürmte dem Meuchler entgegen. Der Ägypter bückte sich ohne Hast und hob einen neuen Pfeil auf. Vielleicht fünfzehn Schritt trennten sie noch voneinander.
Philippos riß sein Schwert hoch. Er würde es nicht mehr schaffen, den Söldner zu erreichen, bevor dieser den nächsten Pfeil abfeuerte. Schon lag das tödliche Geschoß auf der Sehne.
Mit einem Wutschrei schleuderte der Arzt dem Söldner sein Kurzschwert entgegen.
Hophra zog die Bogensehne bis weit hinter das Ohr. Mit einem Schritt zur Seite versuchte er, dem Gladius auszuweichen.
Dann ließ er die Sehne los, und der Pfeil stieg steil in den Himmel. Der Bogen entglitt seinen Händen. Fassungslos starrte er an sich herab. Das Kurzschwert hatte seinen Leinenpanzer durchschlagen und war ihm tief in den Bauch gedrungen. Er sank auf die Knie und stürzte nach vorn.
Philippos stieß ein inbrünstiges Dankgebet an die Pallas hervor. Er glaubte zu wissen, daß die Göttin ihm bei diesem glücklichen Wurf die Hand geführt hatte. Sobald sich Gelegenheit dazu ergab, würde er ihr eine Ziege opfern.
Vom Meer ertönte dumpfes Donnergrollen, und eine Sturmböe fegte über das langgezogene Tempeldach. Triumphierend blickte sich der Grieche nach Abimilku um. Der Kapitän war auf der Treppe noch dicht hinter ihm gewesen, doch jetzt lag er lang hingestreckt auf dem Dach. Der Pfeil, der für Philippos bestimmt gewesen war, hatte ihn dicht unterhalb des Halses in die Schulter getroffen. Pulsierend schoß ihm das Blut aus der Wunde. Ein Blick auf die Wunde reichte Philippos, um zu erkennen, daß nur Asklepios selbst diese Blutung stillen könnte.
Abimilku bewegte schwach die Lippen. Der Arzt kniete neben ihm nieder.
»Melkart ... hat ... Verrat bestraft ...«
Philippos griff nach der Rechten des Seemanns und drückte sie sanft. »Du hast das Richtige getan, mein Freund. Du hast deine Stadt vor dem Untergang bewahrt. Ich bin sicher, Melkart ist .«
Abimilkus Augenlider begannen zu flattern. »Er war in . ihm. Er hat . seine Hand . gelenkt. Der . Pfeil .
Er ... hat ... mich bestraft ...« Die Augen des Phöniziers weiteten sich. Ein Schwall Blut quoll über seine Lippen. Sein Blick war starr auf die Sonnenscheibe gerichtet.
»Du irrst dich. Du hast das Richtige getan. Hophra war der Verräter. Nicht du. Hörst du mich? Wie kannst du nur solchen Unsinn glauben? Du hattest recht!« Philippos redete immer weiter auf Abimilku ein, obwohl er genau wußte, daß der Seemann ihn nicht mehr hören konnte.
Das Warten wurde Samu langsam unerträglich! Ihr Pferd schnaubte, so als spüre es genau die Unruhe der Reiterin. Es mochte schon eine halbe Stunde vergangen sein, seit Marcus Antonius mit den Priestern im Tempel verschwunden war. Zwei seiner Tribunen und zwei Leibwachen begleiteten ihn. Die anderen warteten auf dem Vorplatz.
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